Doku-Spiel Fort McMoney:"Eine extrem reiche und doch sehr dunkle Stadt"

Lesezeit: 3 Min.

Öl und Jobs, Reichtum und Zerstörung - Fort McMurray ist eine Boomtown im Norden Kanadas, regiert von Energiekonzernen. SZ.de präsentiert das Doku-Spiel von David Dufresne, in dem die Spieler die Herrschaft über die Stadt übernehmen. Im Interview spricht der Autor über die entscheidende Frage: Wie abhängig sind wir?

Von Nakissa Salavati

In wuchtigen Bildern hat David Dufresne für sein Computerspiel die Atmosphäre von Fort McMurray eingefangen, der rasant wachsenden, reichen Öl-Stadt im Norden Kanadas. Das Ergebnis heißt "Fort McMoney". Dufresne bezeichnet es als Doku-Spiel: Der Spieler erfährt in dokumentarischen Aufnahmen und Interviews, wie die Bewohner der Stadt denken, bestimmt mit anderen Spielern aber auch die virtuelle Zukunft der Stadt. Im Interview erklärt er, welches Ziel er als Autor des Spiels verfolgt und warum die Kultur des Internets für "Fort McMoney" so wichtig ist.

Süddeutsche.de und Le Monde sind Medienpartner von Arte bei dem Doku-Game. Es wird von der kanadischen Medienförderung CMF/FMC mitfinanziert, vom kanadischen Filmboard ONF/NFB und der Firma Toxa produziert.

SZ: Warum haben Sie ein Doku-Spiel entwickelt? Sie hätten ja ebenso eine klassische Dokumentation drehen können.

"Das Format der Gegenwart": David Dufresne hat das Spiel Fort McMoney entwickelt. (Foto: PHILIPPEBRAULT/AGENCEVU; Philippe Brault)

David Dufresne: Ich will die Geschichte anders vermitteln, als es eine Dokumentation macht. Ich will die Mauern und Regeln der bisherigen Erzählweisen einreißen. Bisher werden Geschichten meist linear erzählt - Anfang, Mitte, Schluss. Dokumentationen mit diesem klassischen Ansatz haben oft nur noch wenige Zuschauer, ein Film erreicht sein Ziel kaum, zum Nachdenken anzuregen. Aber genau das möchte ich mit meinem Doku-Spiel: Interesse wecken, was uns die Ölproduktion kostet oder auch bringt, welche Auswirkungen sie auf die Umwelt hat.

Aber kann ein Spiel wirklich eine möglichst objektive Beschreibung sein, so wie es die Dokumentation versucht?

Das Spiel ist so realistisch, ehrlich und objektiv wie möglich. Die Spieler werden die Möglichkeit haben, sich für Extreme zu entscheiden: Sie können die Ölproduktion im virtuellen Fort McMurray lahm legen - das wäre der Erfolg der Umweltschützer. Sie können aber auch die boomende Stadt und die Produktion von fünf Millionen Barrel Öl am Tag am Laufen halten - das wäre der Erfolg der Industrie.

Es geht im Spiel aber nicht darum, dass eine Seite gewinnt oder verliert. Es geht darum, dass der Spieler abwägt, argumentiert, debattiert. Er kann sich die Meinungen der Obdachlosen, der Bürgermeisterin oder der Chefs des Konzerns Total anhören. Gleichzeitig haben wir die Grundprinzipien des Journalismus beachtet, also die strenge Überprüfung der Fakten und Quellen. Das ist die Basis. Die Kamera wiederum ermöglicht einen distanzierten und genauen Blick auf diese extrem reiche und doch sehr dunkle Stadt.

Die Ölstadt Fort McMurray im kanadischen Bundesstaat Alberta (Foto: Fort McMoney)

Halten Sie das Doku-Spiel für das Dokumentationsformat der Zukunft?

Der Zukunft nicht unbedingt, aber der Gegenwart. Ob es das Doku-Spiel in fünf bis zehn Jahren noch gibt: keine Ahnung. Das Format funktioniert jetzt gerade, in diesem Moment. Ich glaube aber schon, dass die interaktive Dokumentation immer wichtiger wird. Das Doku-Spiel ist eine Form davon, die noch weiter entdeckt, weiter ausprobiert werden muss. Wir sind so weit gegangen wie es uns bisher möglich war. Ich glaube zwar nicht, dass die klassische, linear erzählte Dokumentation tot ist. Zum Glück. Aber mit dem Doku-Spiel ist es ein bisschen so, als hätte der Kinofilm noch einmal Farbe und Ton entdeckt.

Aber warum gerade jetzt?

Vor 20 Jahren war das Internet nicht schnell, die Auflösung der Computerbildschirme nicht hoch genug. Heute sind die Möglichkeiten des Netzes enorm, das Internet hat Kino-Qualität. Im Gegensatz zum Kino kann aber jeder auf eigene Faust Fort McMurray entdecken und mit anderen Spielern über das Schicksal der Stadt bestimmen. Genau das ist ja die Idee des Internets: Teilen, verbinden, verlinken, die Kollektivität. Diese 20 Jahre alte Kultur verbinden wir mit der des Videospiels.

Wie sah ihre Arbeit als Spiel-Entwickler für Fort McMoney aus?

Wir haben 60 Tage lang gedreht und mehr als 6000 Kilometer zurückgelegt, das Gebiet um Fort McMurray ist etwa so groß wie Ungarn. Wir haben sehr viele Menschen getroffen, um mit ihnen zu sprechen. In dieser Zeit habe ich nach und nach das Drehbuch geschrieben. Zusammen mit Game-Designern habe ich das Spiel anderthalb Jahre lang entwickelt.

Eingefangen haben sie die Stadt in teilweise bedrückenden Bildern. Die Bewohner in Fort McMurray sind radikal - für oder gegen das Öl.

Ja, viele sind sehr nervös geworden, seit die Ölproduktion öffentlich von Medien kritisiert wird. Doch statt sie zu beschuldigen, sollten wir uns fragen: Wie abhängig sind wir von diesem besonders umweltschädlich geförderten Öl aus Teersand? Denn ohne uns, ohne mein iPhone, ohne Ihres, bräuchten wir Energie nicht in diesem Maße. Hinter all der Diskussion über das Öl sprechen wir aber eigentlich über den Kampf, in dem wir uns alle ständig befinden: Fort McMoney ist ein Spiel über den Kapitalismus.

Was passiert mit Fort McMurray, wenn das Öl ausgeht?

Dann wird die Stadt wieder zu dem, was sie einmal war: klein und unbedeutend.

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