Digitalkolumne "Femme digitale":Öffentlich nackt

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An dieser Stelle schreiben jeden Dienstag Marc Beise, Helmut Martin-Jung, Jürgen Schmieder und Kathrin Werner im Wechsel. Illustration: Bernd Schifferdecker (Foto: N/A)

Immer öfter landen Fotos und Videos von Frauen ohne ihr Einverständnis auf Pornoplattformen. Es braucht endlich strengere Regulierung.

Von Kathrin Werner

Die Pornoplattform xHamster hat einen guten Überblick darüber, worauf Menschen stehen. Ergebnis: Sex, dem Menschen im Internet zusehen wollen, wird einerseits weniger hart, Suchbegriffe wie "Gangbang" verlieren an Nachfrage. Andererseits gibt es einen Fetisch für Aufnahmen, die im Geheimen gemacht worden sind, etwa mit versteckter Kamera. "Exposed" oder "Hidden Cam" sind zunehmend beliebte Suchbegriffe. "Das Interesse an Amateur- und hausgemachten Inhalten ist stark gestiegen", teilte xHamster mit. Das beinhalte "natürliche" Körper und "authentische Situationen (etwa Sex in der Öffentlichkeit oder voyeuristische Inhalte)".

Was das Unternehmen hier so quasi-sozialwissenschaftlich mitteilt, hat allerdings eine wichtige Komponente, die es nicht erwähnt: Bei dieser Art der Pornografie gibt es Opfer. Meist sind es Frauen, die unfreiwillig zum Lustobjekt von Fremden wurden. Eine von ihnen ist Anna Nackt. Sie heißt nicht wirklich so, aber sie hat den Namen für die Öffentlichkeit gewählt und auch eine gleichnamige Organisation gegründet, die Opfern von bildbasiertem Missbrauch im Netz hilft. Richtig belastbare Zahlen dazu, wie oft Frauen Opfer davon werden, dass Menschen ohne ihr Wissen oder gegen ihren Willen Nacktfotos oder -videos ins Internet stellen, gibt es leider nicht, sagt Anna Nackt. Aber sie schätzt anhand von Untersuchungen aus anderen Ländern wie Australien, dass jede fünfte Frau betroffen ist.

Jede fünfte. Das sind Hunderttausende Frauen. Trotzdem redet kaum jemand über diese Art von Gewalt. Das liegt daran, dass es vielen Frauen peinlich ist, mit ihrer Geschichte an die Öffentlichkeit zu gehen. Und dass viele Politiker das Thema zum einen unterschätzen und zum anderen sich nicht zum großen Unterstützer von nackten Frauen aufschwingen wollen. Doch es ist die Aufgabe der Politik, einzugreifen und die Betroffenen zu schützen - und zwar jetzt.

Eine repräsentative Umfrage in allen EU-Staaten im Auftrag der Organisation Hate Aid und der Alfred-Landecker-Stiftung ergab gerade, dass 30 Prozent der Frauen fürchten, dass geklaute oder gefälschte Nacktbilder von ihnen im Internet veröffentlicht werden. Pro Jahr melden Menschen 3000 Vorfälle bei der von der britischen Regierung finanzierten Hotline für die Opfer von Revenge Porn.

Bei Anna passierte es vor zweieinhalb Jahren. Am 18. März 2019 meldete sich ein Schulfreund bei ihr und wies sie darauf hin, dass er Nacktbilder von ihr auf einer Pornoplattform gefunden habe. "Im ersten Moment hatte ich das Gefühl, mir würde der Boden unter den Füßen weggerissen", sagt die heute 30-Jährige. "Es war ein Gefühl des starken Kontrollverlusts." Mehr noch als Scham, der erst später kam, spürte sie Angst, dass diese Fotos nie mehr aus dem Internet verschwinden werden, dass sie jemand nehmen und an ihre Familie, an Freunde, an Arbeitgeber schicken könnte, dass sie jeder sieht, der sie kennt.

Sie ließ die Bilder löschen, kurz darauf tauchten sie wieder auf

Sie setzte sofort alles daran, die Bilder löschen zu lassen. Doch wie sollte das gehen? Sie wusste nichts über Pornoplattformen und ihre Regeln. "Es gibt nicht genügend Unterstützungsangebote", sagt sie. Bei einigen Pornoplattformen gelang ihr die Löschung dann zwar schnell, bei anderen dauerte sie Wochen. Doch auch wenn sie gelöscht wurden, tauchten sie oft kurze Zeit später wieder auf. Nutzer hatten sie auf ihre Computer heruntergeladen und dann wieder hoch. Annas Kampf nimmt kein Ende. Heute glaubt sie, dass jemand die Bilder aus ihrer Dropbox geklaut hat und ärgert sich über sich selbst, dass sie solch sensible Daten dort in der Cloud gespeichert hatte.

Gerade kämpft sie dafür, dass die Pornoplattformen stärker reguliert werden, vor allem durch den Digital Services Act, an dem die Europäische Union gerade arbeitet. Anna Nackt fordert gemeinsam mit anderen Organisationen, dass die EU die Plattformen unter anderem dazu zwingt, die Inhalte binnen eines Tages von der Website zu nehmen, falls sie gemeldet werden und mehr Menschen anzustellen, die Bilder und Videos auf potenzielle Rechtsverletzungen zu prüfen. Außerdem müsse die Polizei und Justiz besser geschult werden.

Pornoplattformen brauchen strengere Regeln, Frauen dürfen im Netz kein Freiwild werden. Diese Woche beschäftigt sich das EU-Parlament mit dem Thema Internetregulierung. Auch der Fetisch von geheim fotografierten Nacktbildern muss auf die Agenda.

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