Digitalisierung:Kleine Helfer

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Gibt's diesen Lippenstift auch in Blau? Fragen wie diese können die Mitarbeiter der britischen Drogeriekette Boots sofort beantworten - per App. (Foto: oh)

Hübsche Oberfläche, mächtige Datenbanken im Hintergrund: IBM baut spezialisierte Apps für verschiedene Industrien. Sie können nur eines - aber das ist auch genau die Absicht.

Von Helmut Martin-Jung, München

Der Fluggast auf Platz 26D ist nervös und auch ein bisschen verärgert. Da die Maschine zu spät abgehoben hat, wird er seinen Anschlussflug nicht mehr erwischen. Da kommt der Flugbegleiter, in der Hand ein iPad. Er zeigt dem Passagier, auf welche anderen Flüge er ihn umbuchen kann. Gemeinsam wählen sie einen, kurz darauf treffen die neuen elektronischen Tickets schon auf dem Handy des Fluggastes ein. Und alle sind glücklich: Der Passagier, weil er seine Sorgen los ist, der Flugbegleiter, weil er nicht bloß trösten, sondern wirklich helfen konnte.

Noch ist diese App nur ein Pilotprojekt, doch schon bald wollen Fluggesellschaften wie Delta und Air Canada sie einsetzen. Es ist eine App von vielen, die IBM in Kooperation mit Apple und den jeweiligen Kunden entwickelt.

IBM? Der Konzern stellt wie vor Jahrzehnten zwar noch immer Großrechner her, eine Art Markenzeichen von Big Blue, wie die Firma gerne genannt wurde. "Ja, wir sind Big Blue", sagt Urs Schollenberger, "aber wir sind auch die größte digitale Agentur". Schollenberger leitet bei IBM eine Abteilung, die Apps für Mobilgeräte programmiert. Ganz bewusst habe IBM dabei auf Apple als Partner gesetzt: "Wir wollen den Wow-Effekt in die Business-Welt bringen", beschreibt er das Ziel.

IBM kümmert sich dabei um das Backend, also die Anbindung an Datenbanken und Server im Hintergrund - zum Beispiel die Flugdaten und die Buchung der Tickets. Die Oberflächen der Apps werden in Zusammenarbeit mit Apple gestaltet. Oberstes Prinzip dabei: Die Apps sollen sich von selbst erschließen, "sie müssen einfach und intuitiv zu bedienen sein", sagt Schollenberger. Bei Business-Apps ist das oft nicht ganz so einfach. Deshalb setzt IBM mit voller Absicht auf Reduktion: Jede der Apps ist nur für einen einzigen Zweck da, soll diesen aber sowohl simpel als auch effektiv erledigen.

Wie so oft, ist das Einfache das Schwierige. Zum einen, sagt Schollenberger, gehe es ja nicht bloß darum, eine schöne, einfach zu verstehende Oberfläche zu bauen. Die Operationen im Hintergrund müssen auch fehlerfrei laufen. Aber auch Nutzer-Oberflächen zu designen, die wirklich einfach sind, die das tun, was die Anwender in der Praxis brauchen, ist aufwendig, wie Schollenberger erzählt. "Das darf kein billiger Abklatsch einer normalen Webseite sein, die man dann auf dem Mobilgerät hin- und herschieben muss."

Die Wartungstechniker können im Außeneinsatz die Daten der Maschine abrufen

Und damit die App so gebaut werden kann, wie die Praktiker sie auch brauchen, gehen IBM-Designer zu den Endanwendern, um selbst zu sehen, wo den Nutzern der Schuh drückt. Für den Energieversorger RWE entwickelte IBM eine App für die Wartungstechniker, die sich um die riesigen Braunkohle-Bagger kümmern.

Davor waren die Techniker mit Papier und Bleistift unterwegs, obwohl bereits viele Daten in einem SAP-System erfasst wurden. Die Maschinen waren dazu bereits mit Sensoren ausgestattet, um frühzeitig Wartungsmaßnahmen einleiten zu können. IBM-Mitarbeiter begleiteten Wartungstechniker bei der Arbeit, einer der Techniker flog sogar nach Cupertino zu Apple, um sich mit den Designern dort über die Gestaltung der App und das passende Gerät abzustimmen. Am Ende wählte er ein iPad mini: Groß genug, um damit sinnvoll zu arbeiten, klein genug, dass es noch in die Brusttasche der Arbeits-Latzhose passt. Auf dem iPad erhalten die Arbeiter nun bereits an Ort und Stelle die Informationen aus dem SAP-System und können neue Erkenntnisse hinzufügen.

Die Einsatzgebiete der Apps sind nahezu unbegrenzt. In Japan beispielsweise vertreibt die Post iPads mit speziell für ältere Menschen geschriebenen Apps. Auf ihrer sehr einfach gehaltenen Oberfläche können die Senioren mit einem Knopfdruck einen Chat mit einem Familienmitglied starten. IBM ist dabei für die Plattform im Hintergrund zuständig.

Mit dem einmaligen Programmieren einer App ist es aber natürlich nicht getan. Wartung, Anpassung, Fehlerbeseitigung - es bleibt immer genug zu tun. In manchen Firmen, sagt Schollenberger, übernimmt das die IT-Abteilung. Andere überlassen auch das IBM oder einer von deren Partnerfirmen. Auch wo die Daten liegen, spielt keine Rolle. Das kann in einem Rechenzentrum außerhalb der Firma sein, aber auch auf den eigenen Servern.

Allein IBM hat für eigene Zwecke etwa 200 Apps im Einsatz. Geladen werden sie nicht über Apples Appstore, sondern über einen firmeneigenen. Auf die Administratoren in den Firmen kommt somit einiges zu. Nicht nur sie, auch manche Mitarbeiter sind nicht immer glücklich über die Apps. Zwar werde durch sie das Wissen der Firma demokratisiert, "aber es gibt auch Widerstand", sagt Schollenberger. Daher müsse man die Mitarbeiter in den Prozess einbeziehen und sie auf Veränderungen vorbereiten.

© SZ vom 20.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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