Digitalisierung:Deutsche Firmen werden abgehängt

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Deutschland soll zur Digitalnation werden, Kanzlerin Angela Merkel empfängt regelmäßig Vordenker aus den USA. Aber reagiert sie schnell genug? (Foto: Peter Steffen/AP)

Experten warnen: Der digitale Wandel vollzieht sich so schnell, dass Politik und Unternehmen nicht hinterherkommen.

Von Marc Beise, München

Der Termin an diesem Mittwoch um elf Uhr im Bundeskanzleramt ist nach dem Geschmack von Angela Merkel. Die Übergabe von Gutachten ist für die Regierungschefin meist kein Vergnügen, üblicherweise bekommt sie vor allem Fehler und Versäumnisse vorgehalten. Wenn es aber um den digitalen Wandel geht, dann kann sich die Kanzlerin etwas entspannen. Ihr muss man die Bedeutung des Themas nicht erklären. Seit Jahren versucht sie, in öffentlichen und vertraulichen Gesprächen den Umbau Deutschlands zur Digitalnation voranzutreiben, immer wieder empfängt sie die Vordenker aus dem kalifornischen Silicon Valley im Kanzleramt.

Die Frage ist aber: Reagiert Merkel, reagiert die deutsche Politik insgesamt schnell genug?

Die digitale Revolution, da sind sich viele Experten einig, ist in vollem Gang. Die Verarbeitung immer größerer Datenmengen, die Perfektionierung von Robotern, die Fortschritte bei der künstlichen Intelligenz - der Wandel nimmt immer mehr Geschwindigkeit auf. Wo genau die deutsche Politik und die Unternehmen in diesem Rennen stehen, wird man ab Mittwoch aus dem Jahresgutachten der Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) ablesen können, das dann der Kanzlerin übergeben werden wird. Der Termin findet jährlich statt, hat aber diesmal eine besondere Bedeutung: Es handelt sich um das zehnte Gutachten; damit ist es Zeit für eine Bilanz.

Andere Staaten fördern Unternehmer mit Steuerrabatten

Seit einer Dekade berät die Kommission unter der Leitung des Münchner Professors Dietmar Harhoff, Direktor am Max-Planck-Institut für Innovation und Wettbewerb, die Bundesregierung. Seit 2005, dem Beginn von Merkels Kanzlerzeit, hat Deutschland einige Erfolge erzielt, so hat es die Kommission in vielen Sitzungen ermittelt. Unternehmen und der Staat investieren immer mehr Geld in Forschung und Entwicklung, die Universitäten werden auf die neuen Herausforderungen ausgerichtet, auch die Menschen lernen dazu.

Aber die Welt wartet nicht auf Deutschland. Auch wenn einiges geschehen ist, sind besonders innovative Regionen in den USA, in China, aber auch im europäischen Ausland weit voraus. Aber ausgerechnet Deutschland mit seiner weltweit erfolgreichen Industrie kann sich das nicht leisten. So werden die Forscher Merkel auch eine Mängelliste vorlegen. Die beginnt im staatlichen Bereich, wo die digitale Infrastruktur zu langsam nachgerüstet wird. Wenn Deutschland sich damit beruhige, international Durchschnitt zu sein, so sei dies gefährlich anspruchslos. In der Bundesregierung arbeiteten zu viele Abteilungen mehr gegen- als miteinander, die digitale Kompetenz müsse gebündelt und am besten im Kanzleramt koordiniert werden.

Im Unternehmenssektor wiederum droht offenbar eine digitale Spaltung. Viele kleine und mittlere Unternehmen haben die Bedeutung der anstehenden Veränderungen noch nicht erkannt. Ihnen fehlen aber auch die finanziellen Möglichkeiten, notwendige Veränderungen konsequent anzugehen. 28 von 35 Industriestaaten fördern längst gezielt Forschung und Entwicklung mit steuerlichen Maßnahmen - Deutschland nicht. Das führt beispielsweise zu Wettbewerbsnachteilen gegenüber französischen Firmen, denen vom Staat ein Teil der Steuerschuld gestundet oder sogar erlassen wird.

In einem zentralen Abschnitt ihres Gutachtens werden die Innovationsforscher deshalb steuerliche Förderung für Unternehmen fordern - ausdrücklich aber zunächst nur für kleine und mittlere Unternehmen, die hier besonders bedürftig seien und auf entsprechende Förderung auch stark reagieren.

Das Thema wird seit Jahren diskutiert, und nun vor der Bundestagswahl im September 2017 wohl nicht mehr umgesetzt werden können. Deshalb richten die Forscher ihre Hoffnung bereits auf die neue Regierung. Der werden sie ihr Gutachten erneut auf den Tisch legen.

© SZ vom 15.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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