Diesel:Grenzwertig

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Madrid, weihnachtlich erleuchtet. Gemeinsam mit Paris und Brüssel hat die Stadt gegen erhöhte Abgasgrenzwerte für neuere Diesel geklagt und Recht bekommen. (Foto: Javier Soriano/AFP)

Das EU-Gericht kippt laxe Schadstoffregeln der Europäischen Kommission für Euro-6-Diesel. Es wurden Kompetenzen überschritten.

Von Markus Balser, Michael Bauchmüller und Max Hägler, Berlin/München

Im Kampf gegen zu schmutzige Luft haben die drei europäischen Metropolen Paris, Brüssel und Madrid erfolgreich gegen die Lockerung von Grenzwerten bei neuen Abgastests auf der Straße geklagt. Das EU-Gericht in Luxemburg entschied am Donnerstag, dass die EU-Kommission Stickoxid-Grenzwerte für Autos der Norm Euro-6 zu Unrecht einseitig neu berechnet habe. Die Behörde habe dabei ihre Kompetenzen überschritten. Die beanstandete Verordnung muss jetzt überarbeitet werden. Die EU-Kommission sei zur Neufestsetzung "außerordentlich hoher" Grenzwerte für Stickoxid nicht befugt gewesen, erklärten die Richter. Bei dem Rechtsstreit geht es um ein Kuriosum. Die Kommission hatte nach der Diesel-Affäre zwar die Abgastests verschärft und im vergangenen Jahr beschlossen, dass Autos Grenzwerte nicht nur im Labor, sondern auch bei Tests auf der Straße einhalten müssen. Sie war der Autoindustrie jedoch mit einem höchst umstrittenen Instrument entgegen gekommen: dem sogenannten "Konformitätsfaktor". Dies bedeutete, dass die Hersteller bei Einführung der neuen Tests seit 2017 die Grenzwerte für eine Übergangsphase überschreiten dürfen - anfangs um mehr als das Zweifache. Und zwar ganz legal. Offiziell begründet wurde dies mit dem Ausgleich statistischer und technischer Ungenauigkeiten bei der Umstellung. Umweltschützer lobten das Urteil. "Der Versuch, durch eine Art Umrechnungsfaktor Diesel auf die Straße zu schicken, die im Realbetrieb dreckiger sein dürfen als in der maßgeblichen Verordnung vorgesehen, ist damit gescheitert", sagt BUND-Verkehrsexperte Arne Fellermann. Folgen hat das Urteil zunächst für die drei klagenden Städte. Sie hatten Fahrverbote eingeführt und befürchtet, dass wegen der EU-Regeln auch solche Autos in Sperrzonen einfahren dürfen, die die Grenzwerte nicht einhalten können. Das Gericht entschied, die Kommission habe ihre Kompetenzen überschritten. Die beanstandete Verordnung muss jetzt überarbeitet werden. Allerdings gilt dafür eine Frist von 14 Monaten, in der die aktuelle Regelung unangetastet bleibt.

Behörden und Verbände rechnen nicht mit unmittelbaren Folgen für Deutschland. "Auf Fahrverbote hat das Urteil keine Auswirkungen", hieß es in Regierungskreisen. "Das war ein Verfahrensfehler." Der ADAC erklärte nach der Entscheidung, es gebe aktuell auch keine unmittelbaren Auswirkungen für deutsche Euro-6-Halter.

In der deutschen Autoindustrie herrscht dennoch Verunsicherung. "Nicht die Vorgaben an sich werden als rechtswidrig eingestuft, sondern nur der Weg ihrer Entstehung", heißt es beim Lobbyverband VDA. Das ist für die Industrie weniger schlimm - aber immer noch herausfordernd: "Wie sich das Urteil konkret auswirkt, ist völlig offen", so die Einschätzung des VDA. Für ganz neue Diesel-Autos wird das alles wohl weniger ein Problem sein, sie unterbieten mittlerweile die meisten Vorgaben, auch ohne dass der Grenzwert aufgeweicht werden muss.

Nach Einschätzung von Umweltexperten könnte das Urteil langfristig das Ende von Euro-6-Dieseln einläuten, wenn die Kommission den Grenzwert von 80 Milligramm beibehalten müsste. Das würde Wagentypen betreffen, die in den vergangenen Jahren auf den Markt kamen und noch immer verkauft werden. Die Deutsche Umwelthilfe, der kräftigste Vorkämpfer für saubere Luft, freut sich über das Urteil: "Das ist das Sahnehäubchen des Jahres", sagt Jürgen Resch, der den "Konformitätsfaktor" Verschlechterungsfaktor nennt. Überall gälten harte Normen, etwa bei Bremsen, nun zeige sich auch: Bei der Luft sei das wohl auch so, ohne dass das aufgeweicht werden könne. Dies führe hoffentlich dazu, so Resch, dass nun endlich alle Dieselwagen mit Reinigungs-Hardware nachgerüstet werden.

© SZ vom 14.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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