Die Suche nach dem Pfand:Ein Schatz aus Plastik

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Im Schnitt sind es zwei bis drei Euro, an guten Tagen sind zehn Euro drin: Andreas Greiner durchstöbert die Mülleimer in der Frankfurter City.

Harald Freiberger

Es ist ein kalter, feuchter Herbsttag in der Frankfurter Innenstadt, die Leute tragen schon Handschuhe. Andreas Greiner, 51, würde nicht weiter auffallen in der Menschenmenge, er ist sauber gekleidet, dunkler Pullover, helle Jacke, Jeans, schwarze Schuhe. Man muss genauer hinschauen, um etwas Unordentliches an ihm zu entdecken: Unten hängen weiße Fransen aus den Hosenbeinen, er hat die Enden mit der Schere abgeschnitten. "Die Jeans hat mir mein Nachbar geschenkt, dem war sie zu eng geworden, mir passt sie, sie war nur etwas zu lang", sagt er.

Eine große Plastikflasche bringt 25 Cent Pfand. (Foto: Foto: ddp)

Aber das ist nicht der Grund, warum die Leute manchmal stehenbleiben und ihm hinterherblicken, wenn er mit seinen zwei Stofftaschen durch die Straßen schlendert. Sie werden auf ihn aufmerksam, wenn er einen Abfalleimer ansteuert und einen kurzen Blick hineinwirft. Meist geht er dann gleich weiter, manchmal kramt er noch im Eimer bevor er weiterzieht, selten holt er eine Flasche aus dem Eimer, schaut auf das Etikett und dreht den Verschluss auf. Wenn sie gut ist, schüttet er die Neige aus der Flasche, dreht den Verschluss wieder zu und steckt sie in seine Stofftasche.

Im Zickzack-Kurs durch die Straßen

Andreas Greiner sammelt Pfandflaschen. Seit in Deutschland 2006 das jetzt geltende Pfandsystem eingeführt wurde, hat sein "Berufsstand" enormen Zulauf erhalten. Man sieht sie überall, die Menschen mit den Plastik- oder Stofftaschen, die im Zickzack-Kurs durch die Straßen laufen, von einem Abfalleimer zum nächsten. Es sind Menschen, die am Rand der Gesellschaft stehen, deshalb blicken ihnen die Leute hinterher.

"Die Blicke stören mich nicht", sagt Greiner. "Was ist schon so besonders dran?" Er hebt in einem Abfalleimer eine Plastiktüte kurz hoch, was ist schon dabei, früher hat er in der Kneipe gearbeitet, da ging es viel dreckiger zu. Es gibt auch Grenzen für ihn. "Wenn Ketchup dran klebt, dann lange ich nicht hin", sagt er. Er lehnt es auch ab, in privaten Mülltonnen zwischen Eier- und Orangenschalen nach Flaschen zu kramen, so wie es einige seiner Kollegen tun.

Bahnhöfe als lukrative Reviere

Kollegen? Ja, man kennt sich, man trifft sich immer wieder in denselben Straßen und Parks. Man redet vielleicht nichts miteinander, aber man weiß, wie der andere tickt, Flaschensammler bilden eine Branche, und in der geht es zu wie in der normalen Marktwirtschaft: Es gibt Konkurrenz, Spezialisierung, Flaute und Boom, Angebot und Nachfrage.

Die Arbeitskraft fließt dorthin, wo die Chancen am größten sind. An vielen Bahnhöfen findet man zum Beispiel einen festen Stamm von Sammlern, die sich in eintreffenden Zügen die leeren Flaschen holen. Damit sie sich nicht ins Gehege kommen, haben sie manchmal sogar die Gleise aufgeteilt. Neuankömmlinge werden nicht geduldet. Es ist ein gesättigter Markt. Die Nische von Andreas Greiner ist die Nacht. "Ich gehe oft bis in den frühen Morgen, da ist kein anderer mehr unterwegs." Nachts zu arbeiten, macht ihm nichts aus, das ist er gewohnt von seinem früheren Job in der Kneipe. Als einziger Sammler hat er eine Taschenlampe, sie ist sein Alleinstellungsmerkmal, wenn man so will.

Das Mainufer ist eigentlich eine gute Gegend, vor allem im Sommer, wenn die jungen Leute auf den Wiesen liegen. "Da hab ich manchmal in fünf Minuten eine Tasche voll", sagt Greiner. Aber heute ist nicht Sommer, es ist kalt und feucht, die Leute trinken nichts oder nur Kaffee, er sieht die leeren Becher im Abfall, die teuren von Starbucks, für einen müsste er allein 40 Bierflaschen sammeln. Greiner rechnet alles in Pfand um. Ein Euro sind zwölf Bierflaschen zu acht Cent Pfand, sieben Wasserflaschen zu 15 Cent oder vier Plastikflaschen zu 25 Cent.

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Mit dem Sammeln angefangen hat er vor drei Jahren, als Frührentner ging er viel spazieren, "und wenn ich eh so viel unterwegs bin, kann ich das mit dem Nützlichen verbinden." Das Arbeiten musste er aufhören, weil er krank wurde, "eine Magen-Darmgeschichte", sagt er und zeichnet eine Linie über den Bauch, vom Brustbein bis zum Schambein; das ist die Narbe von der Operation.

Andreas Greiner auf seiner täglichen Tour durch das Frankfurter Bankenviertel. (Foto: Foto: hf)

Zwei Plastikflaschen sind ein Video

Eigentlich brauche er das Geld nicht, er kann von seinen 359 Euro Frührente plus dem Mietzuschuss leben. Er sammelt, um sich zu beschäftigen. Mit dem Pfandgeld leistet er sich zwischendrin mal etwas Besonderes, eine Tasse Kaffee am Stehimbiss, eine Fernsehzeitschrift, heute hat er sich in einem Billigladen ein Video für 50 Cent gekauft, das sind zwei Plastikflaschen.

Ein Mann auf dem Fahrrad kommt ihm entgegen, an seinem Lenker hängen zwei große Plastiktüten. "Jetzt brauche ich eigentlich gar nicht weitergehen, der hat alle Abfalleimer geleert", sagt Greiner. Er biegt vom Mainufer ab in Richtung Taunusanlage, einem Grünstreifen mit vielen Abfalleimern, der sich am Rande des Bankenviertels durch die Stadt zieht. Es geht vorbei an der blauen Euro-Skulptur vor der Europäischen Zentralbank. Die Anlage war früher bekannt für ihre Drogenszene, die Stadt hat aufgeräumt, jetzt sind nur noch vereinzelt Junkies zu sehen, auf einer Bank sitzt eine junge Frau, deren Körper zuckt. Das Viertel ist für Greiner nicht das beste, weil "die Junkies auch nichts zu verschenken haben, die nehmen ihre leeren Flaschen selber mit".

Das Auffällige ist die Nähe von Drogenabhängigen und Bankern. Mit eiligen Schritten läuft ein sehr korrekt gekleideter junger Mann durch die Anlage, man hört ihn schon von Weitem, er zieht einen Rollkoffer hinter sich her. "Das sind die größten Angeber auf der ganzen Welt", regt sich Greiner auf. Mittags sehe er sie immer, wie sie "irgend so einen Chinafraß in sich hineinschaufeln, an jedem Ohr ein Handy". In letzter Zeit seien sie kleinlaut geworden, weil sie vom Staat gerettet werden mussten, aber "das dauert jetzt noch drei, vier Monate, dann sind sie wieder ganz die Alten". Doch eigentlich könne ihm das egal sein, er zahle ja keine Steuern.

Kontakt zu alten Freunden abgebrochen

Greiner nennt sich selbst einen "absoluten Antikapitalisten". Jetzt könne man natürlich sagen: Klar bist du Antikapitalist, weil du kein Geld hast. Aber bei ihm sei das umgekehrt: "Ich war immer schon Antikapitalist, und deshalb habe ich mich gar nicht ums Geld bemüht."

Andreas Greiner redet sich in einen Wortschwall hinein, man muss ihn gar nichts mehr fragen. Wahrscheinlich ist er froh, reden zu können. "Ich habe niemanden mehr", sagt er. Den Kontakt zu seinen alten Freunden hat er abgebrochen, sie stammten aus der Zeit, als er noch getrunken hat. "Als ich einmal abends um neun schon zehn Flaschen Bier hatte und nicht einmal etwas spürte, wusste ich, dass es so nicht weitergehen kann", sagt er. Vor fünf Jahren war das, seitdem trinkt er nicht mehr. Seine Freunde von früher fragen ihn: "Soll ich mit dir etwa Kaffee trinken gehen?"

Einmal traf er seine frühere Freundin auf der Straße. Er hatte sie in der Kneipe kennengelernt, in der er arbeitete, sie war 20 Jahre jünger als er, es hat nicht geklappt wegen des großen Altersunterschieds. "Die hat schon etwas geguckt, als sie gesehen hat, dass ich sammle."

Zwei bis drei Euro pro Tag

Es geht weiter an der Alten Oper vorbei, durch die Fressgass, im Zickzack, von Abfalleimer zu Abfalleimer, doch der Tag ist nicht gut. Wenn es im Herbst kalt wird, ist das die schwierigste Zeit, weil sich die Leute noch nicht an die Temperaturen gewöhnt haben. Im Winter wird draußen wieder mehr getrunken. Es ist inzwischen dunkel, Greiner will noch einmal bei einem Park in der Nähe vorbeischauen, da hat er vorher ein paar Jugendliche sitzen sehen, vielleicht haben sie ihre Flaschen liegenlassen. Danach ist Schichtende: Andreas Greiner hat zwei Flaschen zu 25 Cent und zwei zu acht Cent in seiner Tasche.

An guten Tagen im Sommer nimmt er schon einmal zehn Euro ein, im Schnitt sind es zwei bis drei Euro am Tag. Er kann das genau sagen, weil er Buch führt. Von Januar bis Oktober kam er auf 850 Euro, "das kann sich doch sehen lassen". Manchmal schauen ihn die Leute auch gar nicht komisch an, sie sagen ihm, dass sie das gut finden, was er macht. "Besser als stehlen", sagen sie.

© SZ vom 11.11.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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