Die richtige Anlagestrategie - eine Illusion:Wildbahn Börse

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Nicht effizient, sondern evolutionär: Darwins Evolutionstheorie erklärt die Instabilität der Finanzmärkte. Ökonomisch rationales Handeln an den Märkten ist demnach nur noch ein Sonderfall.

Markus Zydra

Der Kapitalmarkt-Professor läuft mit einem Studenten über die Straße, als der plötzlich ausruft: "Da vorne liegt ein 100-Euro-Schein, soll ich ihn aufheben?" Da sagt der Gelehrte: "Bemühen Sie sich nicht, wenn er echt wäre, hätte ihn schon längst jemand aufgehoben."

Die Darwinsche Evolutionstheorie für die Börse: Wettbewerb kann individuelles Verhalten für die Gesellschaft nützlich machen - muss es aber nicht. (Foto: Collage: sueddeutsche.de)

Dieser fiktive Dialog beschreibt die wohl einflussreichste Hypothese der Wirtschaftswissenschaft. Demnach sind Märkte effizient. Ein besitzerloser echter 100-Euro-Schein bleibt niemals liegen, ein kaputtes Radio am Bordstein hingegen schon.

Dieses Axiom prägt die Finanzmärkte bis heute. Demnach können sich an Börsen eigentlich keine Spekulationsblasen bilden - oder zumindest nicht lange halten. Schließlich wissen Händler ganz schnell, "ob der Schein echt ist". Günstige Aktien werden sofort gekauft, teure Papiere sofort verkauft, und so bildet sich am freien Markt ein fairer Gleichgewichtspreis.

Brutal widerlegt

Der schottische Philosoph und Begründer der Nationalökonomie Adam Smith sprach im 18. Jahrhundert von der "unsichtbaren Hand", die das gesellschaftliche Glück erhöht, wenn jeder Einzelne sein persönliches Glück zu steigern versuche, wozu auch die Nachfrage nach Gütern in einer Volkswirtschaft gehört. Märkte sind demnach effizient und nützlich. Das mag sein, aber zu welchem Preis?

Denn so eingängig die Effizienzhypothese daherkommt, so brutal ist sie in den vergangenen Jahren widerlegt worden. 1998, 2000 und 2007 kam es zu schlimmen Börsenkrisen. Wie kann eine Aktie im Februar 40 Euro wert sein und zwei Monate später nur noch 2,50 Euro? Welcher der beiden Preise ist fair? Und wenn jeder einzelne dieser Preise an dem bestimmten Handelstag fair bemessen war - welche Aussagekraft haben Preise dann überhaupt?

Die Effizienztheorie geht davon aus, dass Preise an den Börsen die beste Richtschnur sind für den Wert ökonomischer Vermögenswerte und somit die beste Basis für Investitions- und Produktionsentscheidungen.

Der Grund: Alle weltweit verfügbaren Informationen zu einer Aktie sind in der Notierung verwurstet, denn die unsichtbare Hand bündelt alle Käufe und Verkäufe der Menschen in einem Preis. Jedes Geschäft basiert dabei auf der vernünftigen Abwägung der individuell verfügbaren Informationen.

Ungeheure Anziehungskraft

Diese rationale Sichtweise hat seit den fünfziger Jahren eine ungeheure Anziehungskraft auf Ökonomen ausgeübt, weil sie eine Sozialwissenschaft wie die Lehre der Ökonomie mit den Methoden der Naturwissenschaft beschreiben konnte. Alles wurde so schön mathematisch und logisch. Aufgrund der Effizienzvermutung war es nur folgerichtig, die Finanzmärkte zu deregulieren und den globalen Finanzsektor zu expandieren - und das alles, um damit die größte Finanzkrise seit 1929 auszulösen?

Was treibt die Finanzmärkte? Ist es die Vernunft, die Psychologie oder das Gen des Menschen? Vielleicht liegen die 100 Euro auf der Straße, weil alle Passanten davon ausgegangen sind, dass irgendjemand die Echtheit des Scheins überprüft hat, obwohl es niemand getan hat.

Die Effizienztheorie besagt, dass eine überteuerte Aktie am Markt schnell auf den fairen Preis zurückfällt, weil vernünftige Marktteilnehmer ihr Kapital bündeln, um auf fallende Kurse zu wetten, durch sogenannte Leerverkäufe. Eigentlich ein sicheres Geschäft, doch John Maynard Keynes sagte schon in den dreißiger Jahren, Märkte könnten länger irrational bleiben als man selbst flüssig. Niemand weiß, wie lange der Irrsinn anhält.

Viele überschätzen sich

Natürlich hätte man ab 2006 gegen die steigenden Aktienkurse wetten können, doch kaum jemand kann sich das leisten. Der Konformitätsdruck in der Finanzbranche und die Angst, den Job zu verlieren, machen es sehr schwer, gegen die Mehrheit anzugehen.

Deshalb kaufen Anleger ihre Aktien dann, wenn sie teurer werden, und kaufen nicht, wenn die Preise fallen. Konsumenten verhalten sich genau andersherum. Viele Investoren überschätzen sich auch. Sie ahnen, dass der Preis zu hoch ist, hoffen aber, rechtzeitig aussteigen zu können. Die Behavioural-Finance-Forschung hat diese Irrationalität gut dokumentiert.

Einige Finanzwissenschaftler greifen nun auf die Evolutionstheorie des Naturwissenschaftlers Charles Darwin zurück. Investoren befinden sich demnach in freier Wildbahn; konkurriert wird um die beste Anlagestrategie. Beute ist das Kapital, die Selektion geschieht über Gewinn und Verlust. Mutationen sind finanztechnische Neuerungen, etwa Derivate.

Ein solcher Markt ist nie im Gleichgewicht, er verändert sich ständig, und Investoren, rational und irrational, machen Fehler bei der Anpassung. Versuch und Irrtum bestimmen die Entwicklung, Strategien beeinflussen sich gegenseitig. Wenn zu viele Anleger dieselben Papiere kaufen, wird es selbstzerstörerisch. Wie wenn Raubkatzen alle Beutetiere wegfressen und deshalb verhungern. Das ist nicht effizient, aber evolutionär.

Dauernde Unruhe

Adam Smith' unsichtbare Hand ist in dieser Darwin'schen Erklärungswelt ein Sonderfall. Wettbewerb kann individuelles Verhalten für die Gesellschaft nützlich machen - muss es aber nicht. Die Dynamik der Finanzwelt führt zu einer dauernden Unruhe im System, die zunimmt, weil die Finanzmärkte sich immer stärker vernetzen. Daraus folgt, dass es die richtige Anlagestrategie nicht geben kann, sondern nur eine den Umständen angepasste.

Für Privatsparer ist die Auswahl der Geldverwalter, die unter diesen Prämissen lange Erfolg haben, leider begrenzt. Die Marktregel, dass brillante Köpfe knapp sind, gilt wohl ewig weiter.

© SZ vom 14.08.2009/pak - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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