Deutsche Bahn:Verlorene Minuten

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Die Deutsche Bahn beförderte mehr Passagiere, aber sonst war 2017 ein Pannenjahr: Verspätungen, Baustellen, Streckensperrungen, steigende Schulden. Der Vorstand verspricht Besserung, einfach wird das nicht.

Von Markus Balser, Berlin

Graue Holzverkleidung, weiße Tresen: Die Konzernstrategen der Deutschen Bahn hatten ihre sechs Vorstände für die Bilanzpressekonferenz am Donnerstag ziemlich kundenfreundlich auf dem Podium hinter einer Art Bahnschalter platziert. Vorstandschef Richard Lutz und seine Kollegen sollten vor Kameras und Journalisten ganz offensichtlich so kundennah wie möglich auftreten. Die Botschaft des Konzerns war klar: Nach einem Pannenjahr mit Stürmen, Baustellenrekord und Streckensperrungen will die Bahn auf ihre Kunden zugehen und in den nächsten Monaten für weniger Enttäuschungen am Bahnhof sorgen.

Für sein erstes Jahr als Bahn-Chef musste Lutz in Berlin eine ziemlich gemischte Bilanz veröffentlichen. Zwar sind im vorigen Jahr so viele Menschen wie nie zuvor mit Fernzügen der Bahn gefahren. Mehr als 142 Millionen Fahrgäste stiegen beim Staatskonzern in ICEs und ICs ein - gut drei Millionen mehr als noch ein Jahr zuvor. Vor allem die Pleite der Fluggesellschaft Air Berlin und mehrere Billigticket-Aktionen führten zu dem starken Anstieg. Der Umsatz stieg mit der Passagierzahl auf den Rekord von 43 Milliarden Euro, der Gewinn auf gut zwei Milliarden Euro. "Wirtschaftlich war das ein gutes Jahr", stellte Lutz fest. Doch wer mit der Bahn fuhr, für den war es nicht immer alles gut. Denn viele Fahrgäste kamen mit mehr Verspätung ans Ziel. Eigentlich war für 2017 ein Zielwert von 80 Prozent pünktlicher Züge geplant. Die Bahn-Mitarbeiter würden sich auf die "Jagd nach jeder verlorenen Minute" machen, hatte Lutz noch bei seinem Start im Frühjahr 2017 angekündigt. Doch nach Pannen und Unwettern stand am Ende dann doch nur ein Wert von 78,5 Prozent. "Das ärgert uns", sagte Lutz. Ziel sei ein "Sprung nach oben" gewesen. Das habe man aber nicht geschafft.

Mehr als 142 Millionen Fahrgäste stiegen 2017 beim Staatskonzern in ICEs und ICs ein – gut drei Millionen mehr als noch ein Jahr zuvor. (Foto: Daniel Karmann/dpa)

Zwar hat sich der Bahnvorstand für dieses Jahr erneut eine Pünktlichkeitsrate von 82 Prozent vorgenommen. Doch offenbar ahnt man bei der Bahn bereits, dass man auch dieses Ziel reißen könnte. Denn mit Blick auf die ersten Monate des Jahres müsse man wohl deutlich zulegen, räumte Lutz am Donnerstag ein. Genau das allerdings wird immer schwieriger. Denn der Konzern muss sein marodes Schienennetz mit rekordverdächtig vielen Baustellen auf Vordermann bringen. In diesem Jahr plant die Bahn, die Rekordsumme von neun Milliarden Euro in die Erneuerung der eigenen Infrastruktur stecken. In den nächsten Wochen geht es richtig los. Die Folge: In Spitzenzeiten dürften 800 Baustellen pro Tag den Verkehr der Bahn beeinträchtigen.

Das hinterlässt auch tiefe Spuren in der Bilanz. Wegen der hohen Ausgaben stiegen die Schulden des Konzerns um eine Milliarde Euro auf 18,6 Milliarden Euro. In diesem Jahr wird die Schuldenlast des Staatskonzerns noch mal größer. Die Bahn erwartet einen Rekordstand von 20 Milliarden Euro. Bei Haushaltspolitikern im Bundestag löst das bereits massive Bedenken aus. Denn für die Bahn wird es mit steigenden Schulden immer teurer, neue Gelder aufzunehmen. Prekär ist die Lage bei der Bahn derzeit vor allem bei der kriselnden DB Cargo. Die Güterbahn fuhr einen Verlust von 90 Millionen Euro ein.

Vorstandschef Richard Lutz (Mitte) präsentiert: Die neuen Uniformen der Bahn-Mitarbeiter. Die in Blau und Lila gehaltenen Kreationen des Designers Guido Maria Kretschmer sollen von Ende 2019 an die 15 Jahre alte bisherige Uniform ersetzen und bequemer sein. (Foto: John Macdougall/afp)

Zum bestbezahlten Manager des Konzerns wurde laut Konzernbilanz im vergangenen Jahr ausgerechnet einer, der schon seit mehr als einem Jahr gar nicht mehr für die Bahn arbeitet. Dass der langjährige Vorstandsvorsitzende Rüdiger Grube zum Abschied insgesamt gut 2,3 Millionen Euro bekam, obwohl er selbst gekündigt hatte, löste in den vergangenen Tagen heftige öffentliche Kritik aus. Auch Lutz ging am Donnerstag auf Distanz zur Zahlung an den Vorgänger. "Wir müssen aufpassen, dass wir als Manager nicht an Akzeptanz verlieren", sagte der Vorstandschef. Es habe jedoch vertragliche Verpflichtungen gegeben. Eine neue Diskussion will die Bahn bei einer weiteren Personalie nun aber offenbar verhindern. Werner Gatzer, der frühere Staatssekretär im Finanzministerium, der erst seit Kurzem im Vorstand der Bahntochter Station & Service sitzt, kehrt nach wenigen Monaten auf seinen alten Posten im Ministerium zurück - ohne Abfindung. Gatzer scheide Ende März aus dem Unternehmen aus. Eine Abfindungsregelung gebe es nicht, sagte Bahnvorstand Ronald Pofalla.

Die Deutsche Bahn plant unter der neuen Regierung trotz der Vorgaben des Koalitionsvertrags keine neue Strategie. "Ich sehe nichts, was Widerspruch oder Sorgen auslöst", sagte Bahnchef Richard Lutz mit Blick auf die Koalitionsvereinbarung und die Berufung neuer Aufsichtsratsmitglieder. Union und SPD haben festgelegt, dass der Staatsbetrieb die Gewinnmaximierung in den Hintergrund rücken und stattdessen mehr Verkehr auf die Schiene ziehen soll. Der Aufsichtsrat wird zur Kontrolle mit zusätzlichen Politikern besetzt - Wirtschaftsvertreter müssen dafür in den nächsten Wochen ihren Platz voraussichtlich räumen.

Die Opposition übte harte Kritik an der geplanten Rochade. "Ich erwarte von der Bundesregierung, dass sie die Bahn nicht nur als Jobbörse für ihre Parteifreunde nutzt", sagte der Grünen-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Anton Hofreiter. Die Koalition müsse sich endlich auch intensiv mit der Bahnpolitik befassen.

© SZ vom 23.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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