Deutsche Bahn:Auf der Strecke

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Noch mehr Verspätungen, schrumpfende Gewinne, steigende Schulden: In einem internen Brandbrief wird der Deutschen Bahn ein desolater Zustand bescheinigt. Fragt sich, was nun zu tun ist.

Von Markus Balser, Berlin

Der Zahl der Besucher in der Bahn-Zentrale war in den vergangenen Wochen anhaltend hoch. Sparte für Sparte musste in den Chefetagen des Konzerns oben im gläsernen Büroturm am Potsdamer Platz Bericht erstatten, wie die Geschäfte laufen. Mit jedem Rapport, so berichten Insider, wurde die Lage etwas kritischer. Denn nur wenige Geschäftsfelder erwirtschaften tatsächlich beim größten deutschen Staatskonzern die geplanten Gewinne.

Vergangene Woche sah die Bahn-Führung um Konzernchef Richard Lutz, 54, nur noch eine Lösung: Die Notbremse ziehen. In einem mehrseitigen Brandbrief machte der Vorstand die desolate Lage unter seinen Führungskräften publik. Die "schwierige Situation" des Konzerns habe sich nochmals "verschlechtert", schrieb der Vorstand. Und: "Da gibt es leider nichts zu beschönigen." Der Gewinn schrumpfe. Die Verschuldung des Konzerns liege mit 19,7 Milliarden Euro nur knapp unter der von den Haushältern des Bundes gesetzten Grenze von gut 20 Milliarden Euro. Mit Folgen: Der Vorstand bange um die "wirtschaftliche Stabilität" des Konzerns. Ausbaden müssten die Probleme derzeit die Kunden mit massiven Verspätungen.

Zum Ärger der Kunden: Die Anzeigetafel im Hauptbahnhof Berlin zeigt Verspätungen an. (Foto: Paul Zinken/dpa)

Wohl selten haben Vorstände die eigene Führung derart schonungslos zusammengefaltet. Angesichts der Zustände habe die Bahn sogar noch Glück gehabt, wettern Lutz und seine Kollegen weiter. In der Öffentlichkeit hätten andere Themen dominiert: Wegen Streiks, Verspätungen und Flugausfällen hätte die Luftfahrtindustrie den größten Ärger abbekommen.

Doch intern ist klar, dass sich das bald ändert. So langsam gehen auch die eigenen Kunden auf die Palme. Gerade musste der Konzern einräumen, dass im August nur 69,8 Prozent der Fernzüge pünktlich ankamen. Und es dürfte noch schlimmer kommen. "Aufgrund der fortgeschrittenen Zeit ist außerdem klar, dass wir 2018 weder die Vorjahreswerte und schon gar nicht unser Ziel erreichen werden", heißt es in dem aktuellen Brief. Dieses Ziel liegt bei einer Pünktlichkeit von 80 Prozent aller Fernzüge. Dabei ist auch diese Zahl noch schmeichelhaft. Unpünktlich sind Züge erst, wenn sie mit mehr als sechs Minuten Verspätung ankommen. "Das ist ärgerlich", kritisiert der Vorstand.

Es kommt gerade vieles zusammen. Zu schaffen machen der Bahn vor allem zu lange Wartungszeiten bei den eigenen Zügen - es sind deshalb schlicht zu wenige auf den Gleisen unterwegs. Zu kämpfen hat die Bahn aber auch mit immer größeren Problemen bei der Gütertochter Cargo. Noch nie wurden so viele Güter durchs Land transportiert wie heute. Doch die Bahn kann davon nicht profitieren. Die meisten Waren landen auf Lkw: Wegen hoher Preise und langer Lieferzeiten wenden sich viele Kunden von der Güterbahn ab. Der Verlust der Krisensparte könnte auf 200 Millionen Euro steigen.

Hinzu kommt: Die Verwaltung der Bahn ist zu teuer, es werden "Ressort-Egoismen" beklagt. Weil der Konzern auch noch Kunden mit Billigtickets in die Züge holt und sich so der harten Konkurrenz von Fernbussen und Billigzügen erwehren will, könnte der Gewinn am Ende kleiner ausfallen als gedacht. Das, so warnt Lutz, würde die finanzielle Lage weiter destabilisieren und beim Eigentümer - der Bundesregierung - und in der Öffentlichkeit das Vertrauen noch weiter beschädigen.

Ministerin Katarina Barley forderte mehr Kulanz bei Erstattungen

Die Bahn steckt im Dilemma. Wie schlecht es um den Konzern steht, zeigt die Härte, mit der die Bahn nun gegensteuern will. Die Bahn prüft nach Angaben aus Konzernkreisen nicht nur den Verkauf der Auslandstochter Arriva. Die in 14 Ländern tätige Bahn-Tochter mit 60 000 Beschäftigten und 4,8 Milliarden Euro Umsatz hat ihren Sitz im englischen Sunderland und könnte einige Milliarden in die Konzernkasse bringen. Doch es gibt ernste Zweifel, ob der Aufsichtsrat der Bahn dem Plan wirklich zustimmt, die florierende Tochter zu verkaufen. Auf die Schnelle sollen auch die Kosten der einzelnen Geschäfte härter von der Zentrale kontrolliert werden. Bestellungen ab einer bestimmten Summe werden nur noch mit Sondergenehmigung in Auftrag gegeben. Es handelt sich um eine Art Ausgabenstopp.

In der Bundesregierung verliert man so langsam die Geduld mit dem Unternehmen. Vergangene Woche bekam auch die Chefetage nach Informationen der Süddeutschen Zeitung selbst Post. Justiz- und Verbraucherschutzministerin Katarina Barley (SPD) forderte von Lutz mehr Kulanz bei Erstattungen wegen zu großer Verspätungen. Bislang müssen Bahnkunden ellenlange Formulare ausfüllen und die bei der Bahn vorlegen. "Diese Verfahrensweise halte ich für nicht mehr zeitgemäß. Die Angaben zur fahrplanmäßigen und zur tatsächlichen Abfahrt und Ankunft der Züge liegen Ihnen ohnehin vor", ärgert sich die Ministerin. "Wurde die Fahrkarte online gekauft, liegen auch die persönlichen Daten sowie die Bankverbindung der Reisenden vor." Die Erstattung müsse verbraucherfreundlicher werden, forderte Barley.

Kunden erwarteten "zu Recht, dass sie die Entschädigung oder Erstattung beispielsweise durch einen Klick auf eine Schaltfläche in der Buchungsübersicht im Kundenportal auf demselben Weg auslösen können, auf dem ihnen die Bahn die Fahrkarte verkauft hat". Zudem fordert Barley von der Bahn, zusammen mit anderen europäischen Bahnen durchgehende internationale Fahrkarten anzubieten. Nur so könnten sich die Kunden auf internationale Entschädigungsregeln berufen. Die Ministerin schließt mit einer unmissverständlichen Gesprächsbitte: "Ich würde mich freuen, wenn Ihr Unternehmen und mein Haus sich zu diesen Themen zeitnah austauschen würden."

© SZ vom 11.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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