Wenn Aglaia Wieland über Wüsten spricht, dann meist über deren gewaltige Dimension. Unendliche Weite, unendliche Stille - Wüste zu erleben, bedeute, dass sich die eigenen Maßstäbe verändern, sagt die Geschäftsführerin der Wüstenstrom-Planungsgesellschaft Desertec Industrial Initiative (DII).
Am Donnerstag stellte Wieland mit der DII-Führung in München eine Machbarkeitsstudie vor, mit der die Wüstenstrom-Gesellschaft nun selbst Maßstäbe verschieben dürfte. Denn während Deutschland noch immer über die Machbarkeit der Energiewende und des Atomausstiegs diskutiert, gehen die Desertec-Planer längst viel weiter. In einer mit dem Fraunhofer Institut für System und Innovationsforschung (ISI) erarbeiteten Studie machen sie klar: Der Strombedarf nicht nur Deutschlands, sondern sogar ganz Europas könnte bis Mitte des Jahrhunderts mit Hilfe von Wüstenstrom aus Nordafrika und dem Nahen Osten fast komplett aus erneuerbaren Energiequellen gedeckt werden.
Ein Ökostromanteil in Europa von über 90 Prozent bis 2050 sei "technisch möglich und wirtschaftlich machbar", sagte Wieland bei der Veröffentlichung der Studie. Bis zu 20 Prozent ihres Strombedarfs könnten die Europäer demnach 2050 aus Nordafrika und dem Nahen Osten beziehen. Zwar gehen Forscher für die dafür nötigen Sonnen- und Windkraftwerke großen Ausmaßes von gigantischen Investitionen aus. Der Bau der Anlagen und Stromtrassen würde annähernd 400 Milliarden Euro kosten, sagt DII-Experte Florian Zickfeld voraus.
Milliardeninvestitionen sollen sich lohnen
Dennoch werde sich die Realisierung der Vision für Europa ökonomisch lohnen. Weil die Sonnen- und Windbedingungen im Süden viel besser seien als in europäischen Breitengraden, ließen sich die Kraftwerke besonders effizient betreiben. Im Vergleich zur eigenen Stromproduktion in Europa könnten die Europäer so mehr als 33 Milliarden Euro im Jahr sparen. Für einzelne Haushalte könnte das eine Ersparnis von rund zehn Prozent der Stromrechnung bedeuten.
Zudem erhöhe ein Stromverbund mit Nordafrika die Versorgungssicherheit für Europa. "Wir haben kostengünstige, unerschöpfliche Potenziale zur Erzeugung von Energie in der Wüste", sagte DII-Geschäftsführerin Wieland. In der Situation des Umbruchs in vielen Länder Nordafrikas und des Nahen Ostens könne die Initiative zudem Wachstumsimpulse und Stabilität liefern, sagte Mario Ragwitz vom Fraunhofer-Institut ISI. Der Strombedarf in diesen Ländern werde sich bis 2050 vervierfachen.
DII-Chef Paul van Son sieht die eigene Initiative nun in der Pflicht, bei der Realisierung der Vision den Druck zu erhöhen. "Wir können nicht nur auf Konferenzen herumreisen. Wir müssen auch sehen, dass etwas passiert." Die beiden ersten kleinen Wind- und Sonnenkraftwerke mit zusammen 250 Megawatt Leistung sollen in Kürze in Marokko gebaut werden und von 2014 an Strom liefern.
In Algerien und Tunesien arbeitet die Initiative ebenfalls an ersten Projekten. "Die Industrie steht bereit, das Kapital steht bereit", sagte van Son. Jetzt gehe es um die Absicherung von Investitionen. Die Gesellschaft DII war 2009 unter Führung von Munich Re und der Desertec Foundation mit zunächst elf Großunternehmen aus Industrie und Finanzwirtschaft gegründet worden. Mittlerweile zählen mehr als 50 Unternehmen zur Initiative.