Finanzmarkt:Sorge vor Coronavirus lässt Dax einbrechen

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Mehrere Orte in Italien wurden aus Angst vor weiteren Ansteckungen mit dem Corona-Virus abgeriegelt. Auch das Unilever-Werk in Casalpusterlengo ist betroffen. (Foto: Getty Images)
  • Die Sorge vor dem Corona-Virus ist nun auch in Europa derart präsent, dass die Aktienmärkte einbrechen.
  • "Das Grundvertrauen der Anleger sackt weiter deutlich ab", sagt ein Experte.

Von Victor Gojdka, Frankfurt

In Sachen Coronavirus reckten die Finanzexperten noch am Freitag allen Skeptikern ein freches Victory-Zeichen entgegen. Zeigefinger und Mittelfinger gespreizt - so zeigt sich Optimismus. Denn ökonomisch rechneten die Experten noch kurz vor dem Wochenende mit einem sogenannten V-Muster: wirtschaftlich erst kurz runter - und dann ebenso steil wieder rauf. Das Coronavirus? Sicher bald schon Schnee von gestern.

Am Montagmorgen aber dreht sich die Stimmung urplötzlich. Als am Frankfurter Parkett der deutsche Leitindex Dax wenige Minuten nach neun Uhr in den offiziellen Handel startet, stürzt er sofort in die Tiefe. Vor dem Wochenende hatte er bei 13 579 Punkten geschlossen - am Montagmorgen stürzt er in der Spitze um rund vier Prozent ab. Auf den Finanzcomputern der Händler findet sich keine einzige Dax-Aktie mehr, die noch grün leuchtet. Die alles beherrschende Farbe an diesem Montag: rot. "Das Grundvertrauen der Anleger sackt weiter deutlich ab", sagt Manfred Hübner vom Analysehaus Sentix.

US-Anleger setzen trotz allem auf Zugewinne beim Dow

Das Epizentrum dieses Börsenbebens befindet sich an der Mailänder Piazza Affari, im Palazzo Mezzanotte, einem weißen Steinkoloss mit sechs imposanten Säulen. Hier, an der Mailänder Börse, stürzen die Kurse um knapp fünf Prozent. Denn ausgerechnet mit Italien sorgt die Corona-Krise nun auch in Europa für Aufsehen, über das Wochenende haben die Italiener ihre Ansteckungsdaten deutlich nach oben gesetzt: Nun melden sie mehr als 200 Infizierte in der Lombardei, aus zehn Gemeinden in der Provinz Lodi südlich Mailands sind Sperrzonen geworden. "Mit Italien schießt die Angst vor einer globalen Pandemie nach oben", sagt Carsten Brzeski von der ING-Bank. Das Coronavirus als rein asiatisches Problem abzutun? Nun kaum mehr möglich.

Die italienische Wirtschaft trifft das Coronavirus zu einem heiklen Zeitpunkt: Bereits im letzten Quartal 2019 war die italienische Ökonomie geschrumpft. Nun trifft das Coronavirus vor allem die wirtschaftsstarken Regionen Lombardei und Venetien, die für ein Drittel der italienischen Wirtschaftsleistung stehen. Zu alledem könnte es in Italien nun auch die wichtige Wirtschaftssäule Tourismus empfindlich treffen. Wer sich an der Börse gegen einen Zahlungsausfall italienischer Staatsanleihen versichern will, muss nun mehr dafür zahlen. Trotz weißer Steinsäulen ist es für die Mailänder Börse ein schwarzer Tag.

Vom Platz der Mailänder Börse aus verbreiten sich die finanziellen Schockwellen binnen Sekunden um den Globus. Aktien europäischer Fluggesellschaften wie der Deutschen Lufthansa, Ryanair oder Easyjet verlieren zwischen acht und zehn Prozent. "Die mögliche Quarantäne größerer Teile der Hochindustrieregion zeigt die Risiken auch für Italiens Nachbarn", meint Florian Hense von der Berenberg-Bank.

Anleger suchen heute vor allen Dingen sichere Häfen wie das schimmernde Edelmetall Gold: Der Preis für eine Feinunze macht am Montagmorgen einen Satz von mehr als zwei Prozent nach oben auf zwischenzeitlich 1685 Dollar, es ist ein Sieben-Jahres-Hoch. Auch in die als sicher geltenden deutschen Staatsanleihen flüchten sich viele Finanzprofis, im Umkehrschluss gibt es dort kaum noch Rendite zu holen. Selbst 30-jährige Staatsanleihen des Bundes bringen nun eine Minusrendite. Ein Experte spricht gar von "Karneval" an den Zinsmärkten, gewissermaßen von verkehrter Welt. Doch lustig ist an den Börsen am diesjährigen Rosenmontag gar nichts.

Viele Finanzprofis hatten die Folgen des Coronavirus in den vergangenen Tagen eher verdrängt. Manche US-Börsianer an der Wall Street sollen sich trotz allem gar Kappen drucken lassen, auf denen "Dow 30000" prangt. Sie glauben offenbar, dass der amerikanische Börsenindex bald über diese wichtige Marke klettert. Selbst als der Techkonzern Apple vor sinkenden Verkäufen warnte und Lieferengpässe bei iPhones zugeben musste, löste das allenfalls eine kleine Atempause an der Börse aus.

Die Profianleger vertrauten auf die chinesische Führung und die weltweiten Notenbanken: So schoss die Pekinger Zentralbank Milliarden in den Finanzmarkt, auch um die Börsen zu stützen. Banken im Riesenreich wurden offenbar dazu bewegt, wackelnde Unternehmen weiter mit Krediten zu versorgen. Auch bei der amerikanischen Notenbank Fed rechnen viele Anleger mit zwei weiteren Zinssenkungen in diesem Jahr, rein als Versicherung vor drohendem Ungemach. Erste Profianleger fordern nun auch die Europäische Zentralbank auf, ihre Zinspolitik weiter zu lockern. Die Rechnung der Anlageexperten: Wenn Zinsen sinken, bringen Anleihen und Kontoeinlagen nicht mehr so viel Geld ein - und viele Anleger schwenken um zu Aktien. Viele wollten sich ihre gute Börsenlaune nicht kaputt machen lassen.

Immer stärker setzen sich an den Börsen jedoch auch Zweifel durch, wie sehr die Zentralbanken mit billigem Geld die Coronakrise überdecken können. "Tiefere Zinsen verändern weder die Dynamik bei der Ausbreitung des Virus noch die Rückkehr zum normalen Leben", notiert David Kohl von der Schweizer Privatbank Julius Bär.

Nur einer zeigt sich am Montag gänzlich unbeeindruckt von all der Unruhe an den weltweiten Finanzmärkten, in einem heruntergedimmten Zimmer empfängt der US-Starinvestor Warren Buffett das Börsenfernsehen CNBC. Buffett trägt passend zum Tag zwar eine Krawatte in auffälligem Rot-Ton, stört sich am Abverkauf an den Märkten allerdings überhaupt nicht. Für die Menschheit sei der Coronavirus zwar angsteinflößend, er lasse sich von der Nervosität am Montag aber nicht aus der Ruhe bringen.

Vielleicht weiß Buffett, dass ein Künstler vor der Mailänder Börse vor Jahren eine meterhohe Hand-Skulptur aufgestellt hat. Sie zeigt der Börse, ausgerechnet, einen meterhohen Mittelfinger.

© SZ vom 25.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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