Niemand kann für Überwachung sein. Zumindest niemand, der im Vollbesitz seiner Kräfte und des Grundwissens um historische Zusammenhänge ist. Ein demokratisches Gemeinwesen basiert darauf, dass die Bürgerinnen und Bürger Freiheit vor staatlicher und kommerzieller Überwachung haben. Doch wer auf die genannten Fähigkeiten zurückgreifen kann, weiß auch: Überwachung verschwindet nicht einfach dadurch, dass man sie anprangert. Es hilft nichts, die 1990er-Jahre zurückzuwünschen, es gibt Gründe, weshalb sich in der genannten Studie zwanzig Prozent der Befragten für eine aktive Form der Datennutzung aussprechen. Ein demokratischer Prozess setzt voraus, dass man die Argumente der Gegenseite kennt und bereit ist, sie in einen Kompromiss zu überführen.
Leider beschränkt sich der Daten-Diskurs in diesem Land häufig darauf, dem gesellschaftlichen Kulturpessimismus im Umgang mit technischen Neuerungen ein politisch-pathetisches Mäntelchen anzuziehen und banale Technik-Ablehnung zu propagieren. Spätestens wenn man den Vergleich mit China heranzieht, ist klar: Damit hat man nie unrecht. Die aktuellen Zahlen zeigen aber auch: Mit der Warnung allein hat man aber auch noch lange nicht recht. Bloße Ablehnung führt nicht zu einer gestaltenden Haltung.
Um diese zu entwickeln, sollte man aufzuhören, alles Überwachung zu nennen, was mit Datennutzung zu tun hat. Eine Richtschnur dafür sollte die Hackerethik sein, die der Chaos Computer Club schon in den 1980er-Jahren formuliert hat: "Private Daten schützen, öffentliche Daten nützen" heißt es da - und wenn man allein diese Unterscheidung in die Datenschutz-Debatte einführen würde, wäre schon viel gewonnen.
Es ist zum Beispiel nicht nachvollziehbar, warum der Staat zwar an einer Autobahn eine erlaubte Höchstgeschwindigkeit vorgibt, deren Einhaltung aber nicht mit allen technischen Möglichkeiten kontrolliert - sondern maximal stichprobenweise. Wenn es technisch möglich ist, dass ein Auto protokolliert, wann Regeln gebrochen werden, muss man nicht über eingeschränkte Freiheit diskutieren, sondern darüber, was im Anschluss mit den Daten passiert. Wer am öffentlichen Straßenverkehr teilnimmt und dabei Regeln übertritt, kann nicht argumentieren, dass es sich dabei um rein private Daten handelt. Die Wegstrecke, die sie oder er davor und danach zurücklegt, zählt hingegen zur Privatsphäre und muss geschützt sein.
Schwarzfahren in der U-Bahn ist nicht Privatsphäre
Es gibt Bereiche, in denen die Allgemeinheit technische Möglichkeiten für öffentliche Daten nutzen sollte, um dafür zu sorgen, dass gemeinsame Ziele auch erreicht werden. Wer in London U-Bahn fahren will, muss durch eine Schranke und ein Ticket vorweisen. Würde man ein solches System in Deutschland einführen wollen, müssten man zunächst über Überwachung diskutieren. Ganz so, als sei es ein Ausdruck von demokratischer Freiheit, schwarzfahren zu können. Eine demokratische Form der Datennutzung kann dabei helfen, im Sinne der Allgemeinheit positive Effekt zu erzielen. Das Beispiel der U-Bahn, die günstiger werden kann, wenn alle ihr Ticket bezahlen, ist nur der banalste Ansatz. Es ist an der Zeit, über weitergehende Ansätze zu diskutieren.
Damit geht zum Beispiel die Frage einher, wie die Daten verwaltet werden, die schon heute erhoben werden. Vielleicht muss man die Idee verfolgen, dies in einer öffentlich-rechtlichen Einrichtung zu tun, die nicht ausschließlich zu kommerziellen Zwecken geführt wird. Vielleicht ist es sinnvoll, wenn diejenigen, die Daten erheben, so etwas wie eine Standesethik entwickeln, wie man sie von der ärztlichen Schweigepflicht kennt. Und womöglich muss man auch über Verfallszeiten für Daten sprechen.
All diese Ansätze könnten dazu beitragen, dass sich aus der berechtigten Begeisterung für Datenschutz in diesem Land die gemeinsame Aufgabe entwickelt, ein beispielhaftes Vorbild für Datennutz zu prägen: positive Beispiele, die zeigen, wie man auf Basis der freiheitlich-demokratischen Grundordnung Daten sammeln und verwerten kann. So würde man jedenfalls mehr gegen Überwachung tun, als wenn man sie einfach nur beklagt.
Andrian Kreye fordert in seinem Pro-Kommentar, beim Datenschutz keine Kompromisse zu machen: