Daimler:Nicht großartig

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Auch am Rande einer virtuellen Hauptversammlung ist physischer Protest möglich: Demonstrant vor einem Daimler-Gebäude in Stuttgart. (Foto: Tom Weller/dpa)

Daimler-Chef Ola Källenius kündigt weitere Sparmaß­nahmen an und gibt sich bemerkenswert selbstkritisch.

Von Stefan Mayr, Stuttgart

Mehr Elektromobilität, mehr Digitalisierung und zugleich möglichst viel sparen. Das ist - in Kurzform - das Konzept, mit dem Daimler-Chef Ola Källenius den Auto-Konzern in die unsichere Zukunft führen will. Bei der virtuellen Hauptversammlung am Mittwoch betont der 51-jährige Schwede, das Unternehmen müsse sein bereits begonnenes Sparprogramm "nachschärfen". Konkrete Details nennt er jedoch noch nicht. Man sei in "konstruktiven Verhandlungen" mit den Arbeitnehmervertretern.

Bislang wollte Daimler mit einem Effizienzkonzept namens "Move" 1,4 Milliarden Euro Personalkosten einsparen und mindestens 10 000 Arbeitsplätze abbauen. Dies reiche aber angesichts der akuten Absatz-Einbrüche durch die Corona-Pandemie nicht mehr aus, um "die notwendigen Investitionen" leisten zu können, sagte Aufsichtsratschef Manfred Bischoff. "Covid konnte die Automobil-Industrie kaum zu einem unpassenderen Zeitpunkt treffen", so Bischoff. Er meint damit, dass die Hersteller auch ohne Corona schon mehr als genügend Probleme hatten, um sich auf die jüngsten Entwicklungen in der Branche einzustellen. "Transformation" lautet der viel zitierte Fachbegriff, unter dem der Zwang zur Elektrifizierung, Digitalisierung und Dekarbonisierung zusammengefasst werden.

Vielleicht ist es für Källenius an der Zeit, sich vom reichlich abstrakten Fremdwort "Transformation" zu verabschieden und stattdessen das Wort "Systembruch" zu verwenden? "Transformation", das klingt wie ein langfristiger, gut organisierter Prozess, an dessen Ende dann ein Unternehmen neu aufgestellt dasteht. Aber das, was sich derzeit in der Branche abspielt, entpuppt sich als heftiger Umbruch, der noch verschärft wird durch die Corona-Krise.

In seiner Rede sprach Källenius von der "schwersten weltweiten Rezession seit fast 100 Jahren". Seit Jahresbeginn ist der Absatz von Mercedes-Pkw im Vergleich zum Vorjahr um ein Fünftel eingebrochen. In der Lastwagen-Sparte ist der Absturz noch krasser: 38 Prozent. Das zweite Quartal werde Daimler in die Verlustzone rutschen, kündigte Källenius an.

Angesichts einer sich immer schneller ändernden Welt "müssen wir uns in höherem Tempo wandeln", betonte Källenius. Dabei gab er sich auch selbstkritisch. "Die jüngsten Ergebnisse - auch schon vor Corona - werden diesem stolzen Unternehmen nicht gerecht", gestand er ein: "Daimler kann mehr." Die "Vielzahl an Maßnahmen" reiche noch nicht aus, um vorne mitzuspielen im Wettbewerb. Es sind bemerkenswerte Aussagen. So offen hat schon lange kein Daimler-Boss zugegeben, dass der Konzern trotz des Claims "Das Beste oder nichts" Luft nach oben hat. Entsprechend bescheiden fällt Källenius' Ausblick aus: "Dieses Unternehmen hat eine großartige Historie, aber auch eine große Zukunft." Die Zukunft ist nur "groß"? Nicht "großartig"? Källenius pflegt das skandinavische Understatement, immer wieder sagt er: "Wir sind vorsichtig optimistisch."

Zu den Sparplänen gehört auch der Verkauf des Smart-Werks im französischen Hambach. Källenius bestätigt auch einen Interessenten: Der britische Konzern Ineos prüft, ob er in Hambach einen Geländewagen herstellen will.

Auf einer Hauptversammlung kann manchmal auch wichtig sein, was nicht gesagt wird. Auf diese elegante Weise gibt Aufsichtsratschef Bischoff ein bemerkenswertes Statement ab: Auf die Frage, ob er nach wie vor den ehemaligen Vorstandschef Dieter Zetsche im Jahr 2021 zu seinem Nachfolger machen wolle, antwortete er ausweichend: "2018 habe ich gesagt, dass Zetsche aus meiner Sicht geeignet ist, den Aufsichtsrat umsichtig und erfolgreich zu leiten." Eine Bestätigung dieser Position spricht Bischoff aber nicht aus. Stattdessen betonte er: "Er muss von Ihnen, den Aktionären, gewählt werden." Zudem prüfe Daimler, ob "ehemalige oder aktuelle Vorstandsmitglieder" wegen der Rückrufe, Bußgelder und Klagen im Zuge der Diesel-Abgasreinigung in Anspruch genommen werden. Bischoff: "Die Prüfung dauert an." Das alles klingt nach einer veritablen Distanzierung vom designierten Nachfolger.

Tatsächlich äußern zahlreiche Anleger und Aktionärsvertreter massive Kritik an Zetsche und dessen geplantem Einzug in den Aufsichtsrat: Da er als Ex-Vorstandschef Mitverantwortung an den umstrittenen Dieselmotoren trage, sei er als Oberaufseher befangen und damit ungeeignet, heißt es. 2019 musste Daimler wegen der Diesel-Verfahren die Rückstellungen um etwa zwei Milliarden Euro aufstocken. Insgesamt hat das Thema den Konzern bislang etwa vier Milliarden Euro gekostet.

Wegen der geschrumpften Gewinne sinkt die Dividende von 3,25 Euro auf 90 Cent. Neu in den Aufsichtsrat kommt Telekom-Chef Tim Höttges. Er folgt auf Paul Achleitner, der nach zehn Jahren im Amt sein Mandat niederlegte.

© SZ vom 09.07.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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