Hass-Postings, Identitätsdiebstahl, Erpressungstrojaner - nein, das Internet ist auch nicht anders als jede Technik, die Menschen bisher erfunden haben: Sie hat ihre guten Seiten. Und eben auch andere. Eines unterscheidet sie aber. Sogar eine mächtige Technik wie die Atomkraft könnte wieder abgeschafft werden, wenn nur die Atomstaaten sich einig wären, darauf zu verzichten, und wenn die Bemühungen für den Umstieg auf erneuerbare Energien verstärkt würden.
Das Internet aber ist für die Welt derart wichtig geworden, ist eine Grundlagentechnologie ähnlich wie Stromnetze, dass ein Verzicht einer Katastrophe gleichkäme. Das Gegenteil muss daher das Ziel sein: Der Anschluss ans Netz sollte ein Grundrecht sein. Und befinden darüber sollten nicht Konzerne, sondern die gewählten Volksvertreter.
Das aber heißt für alle Akteure in der Gesellschaft - Bürger, Verwaltung, Politik, Wirtschaft, Gewerkschaften und so weiter - das Internet als ein Faktum zu akzeptieren, dem man sich nicht nur stellen, auf das man nicht bloß irgendwie reagieren muss. Es geht darum, zu gestalten. Es geht darum, das Denken und Planen so zu verändern, dass man die (gar nicht mehr so) neue Technik für sich nutzen kann.
Deutschland gibt bisher trotz (vielleicht auch wegen) seiner wirtschaftlichen Stärke kein gutes Bild ab. Das beginnt sich nun allmählich negativ auszuwirken. Die Autoindustrie etwa, jahrzehntelang die Vorzeigebranche, muss sich in Sachen Digitalisierung von einem amerikanischen Start-up vorführen lassen, die Regierung bekommt in einer Statistik nach der anderen ihre äußerst maue Bilanz um die Ohren gehauen.
Fehlende Infrastruktur als Symptom
Natürlich fehlt es an der Infrastruktur, doch das ist nur das Symptom. Vor allem fehlt es in Deutschland am Mindset, an der richtigen Einstellung also. Denn mit dem nötigen Bewusstsein wäre es gar nicht erst dazu gekommen, dass Politiker eine derart wichtige Entwicklung derart grandios verschlafen hätten können. Mit dem richtigen Mindset hätte ihnen die Bevölkerung schon genügend Druck gemacht oder die Politiker wären vielleicht sogar selber draufgekommen. Aber das Internet galt vielen als Gedöns, mit dem sich nur Nerds beschäftigen. Manche hatten auch Angst, sich darauf einzulassen.
Doch spätestens die Corona-Krise hat vielen gezeigt: Ist ja doch ganz nett, die Enkelkinder wenigstens auf einem Tablet zu sehen. Firmenchefs, die vorher nicht viel mit Home-Office anfangen konnten, stellten fest: läuft. Videokonferenzen - gute Sache eigentlich, spart so manche Dienstreise ein.
Natürlich ist das nicht die Digitalisierung, die ein Industrieland wie Deutschland wirklich nach vorne bringt. Die müsste viel tiefer reichen. Digitalisierung heißt ja nicht nur, die Prozesse, die man bisher analog gemacht hat, digital abzuwickeln. Digitalisierung, das kann im Extremfall auch heißen, sein Geschäftsmodell zu verändern, weil eine neue Technik auch neue Herangehensweisen verlangt.
Auch da, wo produziert wird und wo Deutschland eine seiner Stärken hat, steckt mehr Potenzial in der Digitalisierung, als viele ahnen. Auch hier geht es nicht bloß darum, Zettelwirtschaft und Excel-Tabellen durch vernetzte leistungsfähige Systeme zu ersetzen. Es geht darum, aus den vielen Daten, die in einem Unternehmen anfallen, Effizienzgewinne herauszuholen. Es geht darum zu prüfen, wie die Prozesse gestaltet werden müssen, damit sie die digitalen Möglichkeiten bestmöglich nutzen.
Die Aha-Erlebnisse aus Lockdown-Zeiten sollten Ansporn sein, die Herausforderung endlich richtig anzunehmen. Wenn das Land wirklich gestärkt aus der Krise kommen will, wie es die Politik verspricht, kann das nur mit einer anderen Einstellung gegenüber dem Internet und der Digitalisierung gelingen. Was im Übrigen nicht heißt, dass alle negativen Auswirkungen einfach so hingenommen werden müssten. Die Politik hat die Digitalisierung zur Hauptaufgabe neben dem Kampf gegen die Erderwärmung erkoren. Wäre doch eine gute Sache, wenn sie das Versprechen halten würde.