Coronavirus:Wie Corona den Alltag in China verändert

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Ein Mitarbeiter der Alibaba-Tochter Hema liefert in Wuhan Lebensmittel aus. (Foto: REUTERS)

Eine App schickt Menschen in Quarantäne, Schüler salutieren der Flagge vor dem Computer: Besonders der Alibaba-Konzern profitiert, und die Regierung überwacht die Bevölkerung noch engmaschiger.

Von Christoph Giesen, Hongkong

Ein Land in Quarantäne, Millionen Menschen zu Hause weggeschlossen aus Angst vor dem Virus. Allmählich laufen in den Fabriken zwar wieder die Bänder an, viele Büros füllen sich, doch von Normalität ist China noch weit entfernt. Das Coronavirus hat das Leben in der Volksrepublik nachhaltig verändert, nur wer eine Maske trägt, darf wieder an den Arbeitsplatz. Auch die digitale Welt ist nicht mehr, wie sie einmal war. Apps, die vor ein paar Wochen noch kaum jemand kannte, sind über Nacht populär geworden - vor allem Dienste, die zum Reich des Internetgroßhändlers Alibaba gehören. Und massiv ausgebaut hat auch der Staat seine Online-Überwachung.

Die Schulen und Universitäten sind noch immer geschlossen. Der Unterricht findet dennoch statt - im Internet. Und zwar meistens über Dingtalk, eine Alibaba-App. 2014 programmiert, eigentlich für Konferenzen und Besprechungen in Unternehmen. In der ersten Schulwoche nach dem Frühlingsfest war Dingtalk die am häufigsten heruntergeladene App Chinas, noch vor dem omnipräsenten Dienst Wechat, den praktisch jeder Chinese auf dem Smartphone installiert hat. Mehr als 50 Millionen Schüler werden derzeit via Dingtalk unterrichtet. Nicht überall kommt das gut an.

Die Bewertungen für die App sind mies. Zehntausendfach nur einen Stern, die meisten dürften von Schülern stammen, die keine allzu große Lust haben, nun täglich via Dingtalk digital zur Schule zu gehen. Der Chef nimmt es mit Humor. "Wenn ich als Kind jeden Tag am Online-Unterricht teilnehmen müsste, würde ich dieses Ding vielleicht auch hassen und ihm eine Ein-Stern-Bewertung geben", sagt er in einem Interview.

Praktisch das ganze Schulleben findet nun im Internet statt, selbst der wöchentliche Fahnenappell. Die Schüler müssen sich vor den Laptops und Tablets erheben, aus den Lautsprechern ertönt die Nationalhymne. "Mit einem roten Schal um den Hals, vor dem Bildschirm stehend die rote Flagge mit fünf Sternen begrüßen", schrieb Chinas amtliche Nachrichtenagentur Xinhua, sei "ein unvergessliches Erlebnis".

Mancher der verwendeten Dienste hat jedoch seine Tücken. Als im Biologieunterricht ein Lehrer von Spermien und Eizellen sprach und die Zellteilung erklärte, brach abrupt die Verbindung zusammen. Auf dem Display der Schüler war nur noch zu lesen, dass die Übertragung gegen die Nutzungsrichtlinien verstoßen habe. Die ganz alltägliche Zensur in China.

Wer muss in Quarantäne und wer darf sich frei bewegen? Bald entscheidet auch das eine App. Der Dienst wird von Ant Financial, einer Tochtergesellschaft von Alibaba betrieben. Ant Financial hieß früher einmal Alipay und ist der wichtigste Zahlungsanbieter Chinas. In Hangzhou, der Hauptstadt der Provinz Zhejiang, wo auch Alibaba seinen Sitz hat, ist das Verfahren schon etabliert. Kommt man in eine Polizeikontrolle oder will nur einen Supermarkt betreten, wird man aufgefordert, seine Ant-Financial-App vorzuzeigen. Zu sehen ist dann ein QR-Code in drei Farben: Grün (man darf sich frei bewegen), Gelb (sieben Tage Quarantäne) oder Rot (zwei Wochen Isolation). Propaganda-Banner im Stadtgebiet erinnern an die Regeln: "Grüner Code: frei reisen. Rot oder Gelb, melde dich sofort."

Kaum jemand ordert noch Essen - viele kochen jetzt selbst

Welche Farbe man zugeteilt bekommt, errechnet ein undurchsichtiger Algorithmus basierend auf Reiseinformationen und Herkunft, die man in ein Formular eintragen muss. Alle Daten werden direkt an die Behörden weitergeleitet, genauso wie die Bewegungsprofile. Zu jeder Zeit lässt sich so für den Staat nachvollziehen, wo man sich aufhält. Um eine Epidemie zu bekämpfen sicherlich effektiv und dennoch eine gruselige Vorstellung. Das System ist bereits in 200 Städten im Einsatz und soll demnächst landesweit eingeführt werden. Während einer Pressekonferenz Ende Februar sagten Beamte, dass mehr als 50 Millionen Menschen in der Provinz Zhejiang den Dienst installiert hätten. Das sind fast 90 Prozent der Bevölkerung der Provinz. Von den Codes seien 98,2 Prozent grün gewesen, was bedeutet, dass fast eine Million Menschen gelbe oder rote Codes zugeteilt bekommen haben.

Zu den größten Nutznießern der staatlich angeordneten Isolation ist die Alibaba-Kette Hema geworden. In 20 Städten betreibt sie Läden, liefert aber auch in Windeseile bis vor die Haustür, frisch, und das Angebot ist groß. Seit Neustem auch Medikamente und Drogerieartikel. Das Bestellvolumen hat sich im Vergleich zum Vorjahreszeitraum verdoppelt. Auch beim Wettbewerber Meituan Maicai haben die Lieferungen deutlich zugenommen. Die Epidemie hat vor allem viele Menschen mittleren und älteren Alters dazu veranlasst, den Onlinehandel anzuprobieren. Beim Alibaba-Dienst hat sich seit dem Frühlingsfestival die Anzahl der Online-Lebensmittelbestellungen von Nutzern über 60 Jahre vervierfacht.

Eingebrochen hingegen sind die so beliebten Essensbestelldienste. Bis vor ein paar Wochen noch konnte man die Fahrer auf ihren Elektrorollern überall sehen, selbst in Tibet, 4000 Meter über dem Meeresspiegel, fuhren sie Bestellungen aus. Das ist vorbei. Kaum jemand, der sich noch Essen ordert. Restaurants haben dicht gemacht, weil keine Kunden kommen, zudem ist die Sorge verbreitet, das gelieferte Essen könne eventuell virenverseucht sein. Die Folge: Viele Chinesen kochen selbst und zwar Rezepte der App Xiachufang, eine Mischung aus Kochbuch und Instagram. Die Nutzungsaktivität dort hat sich in den vergangenen Tagen glatt versechsfacht. Selbst für das ansonsten hohe Tempo in China ist das atemberaubend schnell.

© SZ vom 04.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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