Chinas Privatwirtschaft:"Reichtum muss nicht mehr versteckt werden"

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Rupert Hoogewerf gilt als intimer Kenner Chinas. Im Gespräch äußert er sich über den radikalen Wandel des Landes und den Kampf gegen die Korruption.

J. Vougioukas

Kaum jemand kennt Chinas Privatwirtschaft so gut wie der britische Unternehmer Rupert Hoogewerf in Shanghai. Der 38-jährige Verleger veröffentlicht die Liste der erfolgreichsten und wohlhabendsten Unternehmer des Landes - und ist damit selbst zu einer Galionsfigur des Wirtschaftsaufschwungs geworden.

Der britische Verleger Rupert Hoogewerf veröffentlicht eine Liste der erfolgreichsten und wohlhabendsten Unternehmer Chinas. (Foto: Foto: oh)

SZ: Vor zehn Jahren haben Sie die Liste der reichsten Chinesen zum ersten Mal veröffentlicht. Hat es Sie nie gereizt, ein Erfolgsrezept zu kopieren und selber eine Firma zu gründen?

Hoogewerf: Meine Firma hat in all den Jahren den Aufstieg vieler Branchen erlebt - und bei manchen auch den Niedergang. Wir haben oft darüber gelacht und gesagt, wir hätten besser ein Stahlwerk gründet, oder zumindest eine Stahlabteilung in unserer Firma. Damals schien es völlig egal zu sein, wer man war, solange man Stahl produzierte. Wahrscheinlich hätten wir tatsächlich eine Immobilienabteilung gründen sollen, am beste gleich im Gründungsjahr 1999. Egal, wo man damals in China Land gekauft hat, die Preise sind enorm gestiegen.

SZ: Viele chinesische Milliardäre sind jünger als Sie - und ihre Firmen sind oft auch noch keine zehn Jahre alt...

Hoogewerf: Unsere Aufgabe ist Recherche. Und deshalb geht es uns wie den Geldwechslern: Jeden Tag beschäftigen wir uns mit gewaltigen Beträgen und am Monatsende bleibt doch nur ein winziger Prozentsatz für uns übrig. Doch irgendwann wird man immun dagegen. Das eine ist die Recherche, das eigene Leben ist etwas ganz anderes - mit ein paar Nullen weniger.

SZ: Gibt es "das" typische Erfolgsmuster der reichen Chinesen?

Hoogewerf: Die Reichsten haben alle gemeinsam, dass sie ihre Firma selbst gegründet haben. In England, Italien, Frankreich und Deutschland gibt es sehr traditionsreiche Familienunternehmen. In China ist alles neu. Vor 30 Jahren war es nicht einmal erlaubt, ein Konto zu eröffnen. Als die ersten Millionäre auftauchten, war der größte Geldschein die Zehn-Yuan-Noten, umgerechnet etwa 90 Cent. Viele haben ihr Vermögen in Tonkrügen Zuhause aufbewahrt. Unter den Umständen war es ein kleines Wunder, ausreichend Startkapital zu sammeln. Der Zugang zu Kapital ist noch immer einer der wichtigsten Erfolgsfaktoren in China, das ist genauso so wichtig wie eine gute Geschäftsidee.

SZ: Welche Folgen hat die Krise für Chinas Privatwirtschaft?

Hoogewerf: Die aktuelle Millionärsliste haben wir im vergangenen Oktober veröffentlicht. Einen Monate später mussten wir die Liste aktualisieren. Die zwanzig reichsten Unternehmer hatten fast die Hälfte ihres Vermögens verloren. Seitdem dürfte der Verlust noch weiter gestiegen sein. Natürlich haben viele chinesische Firmen heute weniger Geld. Aber man braucht hier auch nicht so viel, um eine gute Idee umzusetzen.

SZ: Wie hat sich das Umfeld für Firmengründer in China verändert?

Hoogewerf: Die Erfolgsregeln sind eigentlich immer und überall die gleichen. Doch heute müssen chinesische Firmen innovativer sein. Es stimmt nicht mehr, dass in China nur kopiert wird. Bisher gibt es zwar keine chinesische Marke, die auf dem Weltmarkt wirklich Erfolg hat. Aber ich wäre doch überrascht, wenn wir nicht bald ein paar sehr kreative Firmen kennen lernen werden. Mit großer Sicherheit werden die Firmen aus dem Dienstleistungsbereich kommen. Der Aufstieg der amerikanischen Wirtschaft hat eine riesige Mittelschicht hervorgebracht. Und dabei sind abertausende Firmen entstanden, die die Bedürfnisse der Mittelschicht bedienen. In China entsteht die Mittelschicht gerade erst und mit ihr viele, viele neue Firmen, die um diese Kunden kämpfen.

SZ: Im Ausland sind vor allem die chinesischen Staatsbetriebe bekannt. Wie wichtig ist die Privatwirtschaft in China heute?

Hoogewerf: Vor drei Jahren hat das Nationale Amt für Statistik die Wirtschaftsleistung neu berechnet. Auf einen Schlag war das Bruttoinlandsprodukt fast ein Fünftel höher als zuvor. Der Großteil des Wachstums war damals der Dienstleistungsbranche zu verdanken, wo die meisten Transaktionen mit Bargeld abgewickelt werden und häufig keine Steuern gezahlt werden. Die ganze private Dienstleistungsbranche ist statistisch kaum zu erfassen. Man kann daher nur schätzen, wie groß der Beitrag der Privatwirtschaft zur Wirtschaftsleistung ist - ich gehe von 50 bis 75 Prozent aus.

SZ: Welche Status haben Unternehmer in der chinesischen Gesellschaft?

Hoogewerf: In der chinesischen Geschichte war die soziale Stellung der Geschäftsleute immer sehr niedrig. Der Kaiser besaß und verwaltete quasi das gesamte Vermögen des Landes. Auch Gelehrte und die kaiserlichen Mandarine genossen ein deutlich höheres Ansehen als Kaufleute. Vor 20 Jahren galt man noch als korrupt, wenn man einen Mercedes besaß. Man hatte sein Geld zwangsläufig durch Kontakte zu Armee, Partei oder Zoll verdient. Heute muss Reichtum nicht mehr versteckt werden, der Imagewandel ist enorm. Damit ist auch das Selbstbewusstsein der Unternehmer gestiegen.

SZ: Trotzdem gehörten Unternehmer noch nicht zur obersten Elite des Landes...

Hoogewerf: In den vergangenen Jahren ist der innere Führungszirkel der Regierung zur neuen Aristokratie geworden: die Familien, die ihre Vertrauenswürdigkeit unter Beweis gestellt haben. Die meisten haben einen revolutionären Hintergrund und haben ihre Loyalität in den vergangenen drei oder vier Generationen unter Beweis gestellt. Dazu gehört zum Beispiel auch Xi Jinping, der wahrscheinlich der nächste Präsident wird. Das ist der wirklich innere Führungszirkel. So weit sind die privaten Unternehmer noch nicht. Aber sie haben sich mehr Respekt erarbeitet. Sie schaffen in einigen Provinzen neun von zehn neuen Arbeitsplätzen, sie zahlen über die Hälfte der Steuern. Viele sitzen inzwischen im Nationalen Volkskongress...

SZ: ...der chinesischen Version eines Parlaments...

Hoogewerf: ...und damit haben sie Zugang zu Informationen bekommen und sitzen im exklusivsten Privatclub des Landes.

SZ: Hat die soziale Aufwertung der Unternehmer auch das Geschäftsklima verändert?

Hoogewerf: Viele Firmen planen heute langfristiger. Früher haben viele Unternehmer ihr Geld so schnell wie möglich aus dem Land geschafft. Es gab ein großes Misstrauen gegenüber dem politischen System und der Entwicklung der Volkswirtschaft. Damals haben sich die Regeln ständig geändert, man war der Willkür des Regierungsbeamten ausgeliefert. Heute planen die Unternehmer langfristig. Die meisten haben nicht mehr vor, dass Land zu verlassen.

SZ: Muss man in China bestechen, um geschäftlichen Erfolg zu haben?

Hoogewerf: Es hat sich viel gebessert. Bauland wird seit einigen Jahren versteigert. Davor hat das durchschnittliche Stück Land neun Mal den Besitzer gewechselt, bevor die Bauarbeiten begannen. Dabei ist viel unter dem Tisch passiert. Die Reform war sehr positiv für die Entwicklung der Wirtschaft und furchtbar für die kleinen Regierungsbeamten, die in der Immobilienbranche "Mr. Zehn Prozent" genannt werden. Auch in der Gründerzeit Ende der neunziger Jahre waren nicht alle Geschäfte korrupt; als Unternehmer musste man Vertrauen gewinnen können. Heute schauen die lokalen Regierungen und Geschäftspartner auf den unternehmerischen Erfolg.

© SZ vom 22.01.2009/iko/saf - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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