China:Im Land der kleinen Menschen

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Tausende Besucher täglich: Ein chinesischer Geschäftsmann betreibt einen Freizeitpark, in dem er Kleinwüchsige zur Schau stellt. Das Konzept kommt an und hilft den Kleinwüchsigen sogar. Dennoch ist es umstritten.

Marcel Grzanna, Peking

Jetzt hat Erqi seinen Auftritt. Mit 89 Zentimetern Körpergröße ist er der kleinste Bewohner im Reich der Zwerge. Gerade deshalb zählt er wohl zu den beliebtesten Attraktionen des Freizeitparks am Rande der Millionenstadt Kunming in der südwestchinesischen Provinz Yunnan.

Erqi steht mit Anzug und Krawatte vor der Menge und singt vom Wolf, der ein Schaf liebt. Das Publikum besteht an diesem Vormittag überwiegend aus Kindern. Eine Grundschule aus der Umgebung hat mehr als tausend Schüler hierher gekarrt. Den Kindern gefällt der Gesang. Manche kaufen eine Stoffblume für einen Yuan, gut 10 Cent und erklimmen die Bühne, um sie Erqi zu schenken. Als der sein Lied beendet, erntet er tosenden Applaus.

Ein paar Schritte von der Bühne entfernt steht Chen Mingjing und verschränkt die Arme vor der Brust. Chen ist Erfinder und Besitzer des Parks, den er als das Reich der Zwerge vermarktet. Er überragt die meisten seiner Mitarbeiter um mindestens einen halben Meter. Die Mehrheit der Angestellten des Parks ist nicht größer als 1,25 Meter. Das ist das Höchstmaß um hier einen Job als Zwerg zu bekommen. Außer Besitzer Chen sind nur ein paar Wächter und Mitglieder des Organisationsteams nicht kleinwüchsig.

Bis zu 3000 Menschen täglich

Es ist ein guter Tag für das Reich. "Wenn der Besucherstrom anhält, dann sind wir bald schon in der Gewinnzone", sagt Chen. 100 Millionen Yuan, rund 11 Millionen Euro, sagt er, habe er investiert, um Touristen und Schulklassen im bergigen Umland der Provinzhauptstadt Kunming ein neues Ausflugsziel für Feiertage und Wochenenden zu bieten. Der Park soll viel Geld einbringen in Zukunft. Und bislang geht das Konzept offenbar auf. Ende letzten Jahres öffnete das Reich der Zwerge seine Tore.

Inzwischen kommen bis zu 3000 Menschen täglich. Das Programm ist unspektakulär: ein bisschen Gesang, Tanz und Slapstick. Zu sehen gibt es außerdem ein Miniatur-Dorf, dessen verformte Hütten denen in Disneyland ähneln. Statt Bugs Bunny oder die drei kleinen Schweinchen verkörpern die Angestellten im Zwergenreich den König, die Minister und das Wachpersonal. Einige Frauen sitzen als Engel verkleidet in einer Hütte und basteln Stoffblumen.

Die eigentliche Attraktion ist die Körpergröße der Angestellten. Die Besucher dürfen glotzen und fotografieren, wie es ihnen beliebt. Insgesamt sind es rund 100 kleine Männer und Frauen aus ganz China, die im Park arbeiten. Wenn sie nicht schauspielern, dann kochen oder grillen sie für die Besucher oder sorgen für Sauberkeit. Jede Woche gibt es neue Bewerber. Es hat sich herum gesprochen, dass es im Reich der Zwerge Arbeit gibt für Kleinwüchsige, die sonst kaum eine Chance bekommen auf dem chinesischen Arbeitsmarkt.

"Die meisten hier sind wirklich glücklich"

Parkbetreiber Chen hat bereits Pläne, das Reich auf 1000 kleinwüchsige Bewohner zu erweitern. Die Suche nach Mitarbeitern verlief anfangs jedoch keineswegs reibungslos. Chen musste selbst auf die Suche gehen. Mit der Hilfe von Behörden spürte er Kleinwüchsige in deren Heimatstädten und Dörfern auf und weihte sie in seinen Plan ein. Die meisten waren skeptisch. Doch der Geschäftsmann versprach ihnen gutes Geld und ordentliche Unterkunft. "Einfach ein besseres Leben", wie er sagt. Die Idee für den Park sei ihm bei einer Zugreise gekommen, als er zwei Kleinwüchsige gesehen habe. Er habe "das Gefühl bekommen, etwas Gutes für sie tun zu müssen", sagt er.

Bestenfalls macht ihn die caritative Fassade zu einem steinreichen Mann. Die Geschäfte laufen "ausgezeichnet", wie er sagt. Der Preis, den die Kleinwüchsigen dafür zahlen, ist das Zurschaustellen ihres Anderseins. Doch für viele ist es das kleinere Übel im Vergleich zu dem Leben in ihren Heimatorten, wo sie teilweise versteckt werden von ihren Familien, weil sich ihre Eltern für sie schämen. "Die meisten hier sind wirklich glücklich. Hier sind wir unter unseresgleichen. Wir haben Verständnis füreinander", sagt Zhang Yin, der als Touristenführer engagiert ist.

Kritik an dem Konzept wehrt Parkbesitzer Chen ab. Er weiß um die Vorwürfe, er würde auf Kosten der Würde kleiner Menschen viel Geld verdienen. "Wer das sagt, soll sich selbst überzeugen, dass dies hier ein guter Ort ist. Wir stecken die Menschen doch nicht wie Affen in Käfige. Hier haben sie eine Chance", sagt er.

Von einigen Angestellten bekommt der Chef Zustimmung, von einigen anderen nicht. "Der Mann wird auf Kosten unserer Behinderung reich. Er nutzt uns aus", sagt ein Mitarbeiter. Einige haben bereits gekündigt und sich für ihr altes Leben entschieden.

Erziehungsmaßnahme für die Bürger

Auch weil Versprechungen nicht eingehalten wurden. Eine ehemalige Mitarbeiterin erzählt, man habe ihr monatlich bis zu 5000 Yuan, umgerechnet rund 570 Euro in Aussicht gestellt, außerdem ordentliche sanitäre Anlagen und Fernseher in den Zimmern. In Wahrheit liegen die Gehälter zwischen 1000 und 2000 Yuan. Fernsehen gibt es nicht, die Badezimmer sind schmuddelig. Ihre Verpflegung müssen die Angestellten selbst bezahlen. Vier von ihnen teilen sich ein Zimmer. In China sind diese Bedingungen für Hunderte Millionen Wanderarbeiter allerdings die Regel. Manchmal bekommen die Arbeiter monatelang kein Gehalt.

Chen dagegen zahlt pünktlich, sagen die Angestellten. Wer nicht bleiben will, könne jederzeit gehen. Doch einen Arbeitsplatz mit einem Verdienst von bis zu 2000 Yuan finden die wenigsten Kleinwüchsigen anderswo. "Man traut uns keine anspruchsvolle Arbeit zu", sagt Touristenführer Zhang. Jeder müsse mit sich selbst vereinbaren, ob er sich den gierigen Blicken der Besucher aussetzen möchte. Die bezahlen immerhin bis zu 80 Yuan, mehr als acht Euro Eintritt, und wollen etwas sehen für ihr Geld. Inzwischen reisen Kamerateams von Fernsehsendern aus dem ganzen Land nach Kunming, um über das "xiaoren guo", das Land der kleinen Menschen zu berichten.

Das Thema dient auch als Erziehungsmaßnahme für die Bürger. Der Stand der Integration von behinderten Menschen in die Gesellschaft, liegt in einem Schwellenland wie China noch weit hinter dem in einem Industrieland zurück. Akzeptanz ist ein weiter Weg, aber das Konzept trägt hier und da schon Früchte. "Die sind kleiner als wir, aber ihre Show war sehr gut. Wir sollten nicht über sie lachen", sagt ein zehnjähriger Junge. Ein gleichaltriges Mädchen steht neben ihm und nickt eifrig.

© SZ vom 23.08.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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