China baut Düsenjet:Vorhang auf

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Großes Theater für einen Flieger. In Shanghai präsentiert der chinesische Hersteller Comac das Passagierflugzeug C919. (Foto: AP)

China stellt ein Passagierflugzeug vor: ein weiterer Meilenstein für das Land. Noch ist der technische Vorsprung des Westens groß - aber er schrumpft.

Von Elisabeth Dostert, Jens Flottau und Marcel Grzanna, Frankfurt

Die große Errungenschaft verbirgt sich, wie kann es anders sein, hinter einem roten Vorhang. Dann zieht ein Schlepper das Flugzeug aus dem Hangar. Tausende Mitarbeiter und Gäste klatschen. Mit so viel Pomp inszenieren Airbus und Boeing seit Jahrzehnten ihre Roll-Outs. Nun also China. Seit Montag ist es offiziell: Der Prototyp der C919 ist fertig, zumindest äußerlich. Er soll dem Hersteller Comac und dem Land alles bringen, wofür die Farbe Rot steht: Glück und Wohlstand.

"Eine große Nation muss ihr eigenes großes Zivilflugzeug haben."

Die C919 markiert einen Meilenstein für die chinesische, aber auch die internationale Luftfahrtindustrie. Zum ersten Mal produziert ein chinesischer Hersteller ein Passagierflugzeug in der Größenklasse der Boeing 737 und des Airbus A320. Zwar gefährdet die C919 das seit 1998 fest etablierte Duopol der beiden westlichen Anbieter nicht ernsthaft. Aber der erste Prototyp ist ein Beleg dafür, dass sich auch im Flugzeugbau der Abstand zum Weltstandard verringert. Und er dokumentiert den Anspruch Chinas in der Welt. Li Jiaxiang, Chef der chinesischen Zivilluftfahrtbehörde, formuliert das so: "Eine große Nation muss ihr eigenes großes Zivilflugzeug haben." Comac selbst gehört dem Staat, er hat viel Geld in die Entwicklung des Flugzeugs gesteckt.

"Schon seit fünf Jahren ist China keine Kopiermaschine mehr. Die entwickeln selbst", sagt Ralph Lässig, Partner der Beratungsfirma Roland Berger. Für die Herstellung von Standardprodukten brauche China keine Hilfe mehr. Aber Lässig hat Zweifel, dass China schon in der Lage sei, ein hochkomplexes System wie ein Flugzeug oder ein Netz sehr schneller Bahnverbindungen, selbst manche Maschinen allein zu entwickeln. "Das ist hohe Ingenieurkunst", sagt Lässig. Aber die Zulieferer aus den Industriestaaten und der Technologietransfer haben ihm zufolge "maßgeblich" dazu beigetragen, dass sich der technologische Abstand zwischen China und den Industriestaaten in den vergangenen Jahren deutlich verkürzt hat. Und er werde sich weiter verkürzen. "Wir bilden auch die Ingenieure an deutschen Universitäten aus."

"China ist eine sehr lernfähige Gesellschaft. Der Ehrgeiz, technologisch in die erste Liga aufzusteigen, ist stark", sagt Olaf Dambon, Leiter der Abteilung Feinbearbeitung und Optik am Fraunhofer-Institut für Produktionstechnologie IPT in Aachen: "Die Chinesen gehen da sehr strategisch ran." Der chinesische Staat fördere mit viel Geld Kerntechnologien wie Luft- und Raumfahrt, Mobilität, aber auch Optoelektronik. In gemeinsamen Projekten mit chinesischen Firmen bietet das Institut Seminare und Trainings an. "Die wollen nicht nur Technologien und Wissen übernehmen, sondern lernen, wie Technologieentwicklung funktioniert."

Noch gebe es, soweit es sein Fachgebiet betreffe, große Rückstände, sagt Dambon. Es sei leicht, sich die gleichen Maschinen und Betriebsmittel wie Leica oder Carl Zeiss zu kaufen, um optische Linsen herstellen. "Aber ob man darauf die gleiche Optik für Hochleistungsmikroskope herstellen kann oder doch nur einfache Linsen ist eine Frage des Hochtechnologie-Know-hows und der Erfahrung. Und Erfahrung ist eine Funktion der Zeit", sagt Dambon. Zwar verlaufe die Lernkurve am Anfang sehr steil, wenn aber ein gewisser Stand der Technik erreicht sei und Neuland betreten werde, flache die Kurve stark ab. "Wenn dann Probleme auftreten, kommen die wieder zu uns. Von diesem Austausch profitieren auch wir." Dambon beschäftigt zwei Chinesen als wissenschaftliche Mitarbeiter in seiner Abteilung. "Die haben an den besten Universitäten für Maschinenbau in China ihren Bachelor gemacht, ihren Master in Deutschland und promovieren jetzt hier. Das sind hochintelligente Köpfe."

Das Flugzeug made in China hat in der Standardausführung Platz für 168 Passagiere. Comac gibt vor, bereits mehr als 500 Bestellungen für die C919 zu haben. Seit 2008 arbeitet der Konzern an dem Flugzeug, ursprünglich sollte der Erstflug schon 2014 stattfinden. Nun soll die Maschine nächstes Jahr zum ersten Mal abheben. Wann sie zugelassen und ausgeliefert wird, ist ungewiss. Viele der westlichen Lieferanten glauben, dass die C919 nicht vor 2019 oder 2020 im kommerziellen Einsatz sein wird, zu komplex sei das Projekt.

Erfahrung im Flugzeugbau hat die Volksrepublik. Seit Jahrzehnten baut das Land Militärflugzeuge in Lizenz. Im Zivilmarkt hat China schon von 1970 an mit der Y-10 ein Flugzeug entwickelt, rein äußerlich der damaligen Boeing 707 ähnlich. Der Prototyp flog und existiert heute noch als Museumsstück, das Programm wurde aber leise eingestellt. Da war der Regionaljet ARJ-21 dann schon ein Fortschritt, technisch der Konkurrenz aber immer noch unterlegen. Mit der C919 macht China den nächsten Sprung, vor allem deshalb, weil Comac im großen Stil westliche Lieferanten eingebunden hat. Die Liste ist lang: Honeywell, Rockwell Collins, Liebherr, Zodiac und die österreichische FACC gehören dazu. Die Triebwerke kommen von CFM International, einem Gemeinschaftsunternehmen von General Electric und Safran.

Chinas Ingenieure haben in den vergangenen Jahren die Lücke zu den führenden Technologienationen deutlich verkürzt. Noch vor 40 Jahren mutete die Idee, dass Chinesen zu Beginn des 21. Jahrhunderts eine eigene Marsmission planen, hochgradig absurd an. Heute ist es nicht einmal ausgeschlossen, dass Chinesen die Ersten sein werden, die Menschen in Richtung Mars schicken. Vornehmlich deshalb, weil sie das meiste Geld zur Verfügung haben. 2013 sendete der Roboter Jadehase Bilder vom Mond. 2012 gelang China erstmals ein manuelles Andockmanöver im All. Gemeinsam mit dem Netzwerkausstatter Huawei will das Beijing Genomics Institute ein Speichersystem für genetische Daten entwickeln. International wettbewerbsfähig sind die Chinesen beim Bau von Hochgeschwindigkeitszügen. Das Premiumprodukt des staatlichen Monopolisten CRRC ist der CRH380BL, in Testfahrten soll er eine Geschwindigkeit von 487,3 Kilometern pro Stunde erreicht haben. Kein anderes Land installiert mehr Kapazitäten an Solarenergie; es gibt rund 400 Hersteller. Manches braucht Zeit. Die Autoindustrie schaut seit drei Jahrzehnten westlichen Herstellern in nächster Nähe über die Schultern. Ein Premiumfahrzeug fehlt bislang. Der südchinesische Hersteller BYD brachte 2008 den ersten Plug-in-Hybrid in die Massenproduktion. Doch eine Führungsrolle haben die Chinesen auch bei Elektrofahrzeugen nicht übernommen.

Die Luftfahrtindustrie sei für Chinas Regierung eine strategisch wichtige Branche, sagt Berater Lässig. "Deshalb werden die auch das Flugzeug zum Fliegen bringen."

© SZ vom 03.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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