US-VW-Chef Michael Horn:Schurke und Superheld

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Michael Horn, der Chef von VW Amerika, musste im Repräsentantenhaus wegen der Abgas-Affäre aussagen. (Foto: AFP)
  • Ausgerechnet in den USA, wo der Abgas-Skandal aufflog, herrscht bei Betroffenen statt Panik pure Gelassenheit.
  • Michael Horn, Chef von VW Amerika, tritt in Orland bei einem Händlertreffen auf - und wird verehrt.

Von Claus Hulverscheidt, Orlando

Was für ein wundersames Land dieses Amerika doch ist, so schrecklich schön, so hysterisch wie gelassen zugleich. Gerade zwei Wochen ist es her, da saß Michael Horn in einem fensterlosen Sitzungssaal des US-Repräsentantenhauses allein an einem Tisch und musste sich von Hinterbänklern abkanzeln lassen. "Kein Wort", glaube er ihm, dem Chef von VW Amerika, hatte ihn einer der Parlamentarier angeblafft, und ein anderer wollte sich kaum einkriegen, dass Volkswagen "nur" sieben Milliarden Dollar zurückgelegt habe, um für die Folgen des Skandals um gefälschte Diesel-Abgastests aufzukommen. "Sieben Milliarden", bellte der Abgeordnete. Wenn der Konzern den geschädigten Kunden und notleidenden Händlern in Amerika nicht sofort zur Hilfe eile, dann werde er "das Zehnfache brauchen".

13 Tage später steht Horn mitten unter diesen Händlern - und es sieht nach allem aus, aber nicht danach, dass es ihm gleich an den Kragen gehen wird. Im Gegenteil: Es wird gescherzt und gelacht, einer der Autohausbesitzer hat ein T-Shirt bedrucken lassen, das er dem Mann aus Deutschland nun überreicht. "Michael Horn - VW-Chef am Tag, Batman in der Nacht" steht darauf, und der Händler erzählt später immer noch erregt, Horn sei für ihn mitnichten der Abgesandte eines dunklen, betrügerischen Imperiums, sondern wahrlich ein Superheld. Andere Autohausbesitzer drücken Kollegen ihre Handys in die Hand, um sich mit dem Top-Manager fotografieren zu lassen. "Wir glauben an Sie", sagt einer, und Horn antwortet: "Toll, dass wir Sie an unserer Seite haben."

"Die Amerikaner sind Skandale gewöhnt"

Ausgerechnet in den USA, dort also, wo der vielleicht größte Skandal aufflog, in den ein deutsches Unternehmen je verwickelt war, herrscht unter den Betroffenen statt Panik pure Gelassenheit. Klar, die Politiker, die kochten ihr Süppchen und träten öffentlichkeitswirksam für die 500 000 betroffenen Kunden ein, heißt es am Rande des Jahrestreffens, zu dem sich die etwa 650 selbständigen VW-Händler des Landes in Orlando versammelt haben. Auch sei es nicht so, dass Besitzer von Diesel-Pkw nicht verärgert seien und das Geschäft nicht ein wenig gelitten habe. "Auf lange Sicht aber wird das Volkswagen nicht schaden", sagt Ralph Petersen, der in Mankato im Bundesstaat Minnesota Autos verkauft. "Die Amerikaner sind Skandale gewöhnt und haben generell ein kurzes Gedächtnis."

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Die bisher vorliegenden Zahlen zeichnen noch kein stimmiges Bild. Im September - dem Monat, in dem bekannt wurde, dass VW die Abgaswerte seiner Dieselmotoren jahrelang mit einer Software manipuliert hatte - stieg der US-Absatz im Vorjahresvergleich sogar um 0,6 Prozent an. Das ist umso erstaunlicher, als VW den Verkauf der betroffenen Pkw in den USA ja längst gestoppt hat. "Viele unserer Kunden bleiben der Marke dennoch treu: Sie bestellen statt eines Diesel einfach einen Benziner", sagt Jordan Wissler, VW-Händler aus Rochester in New Hampshire.

Die Nachfrage nach Benzinern ist mancherorts so groß, dass die Autohäuser Schwierigkeiten haben zu liefern. "Ich brauche dringend Autos", sagt Wissler, "wir sind schon im Rückstand." Wenn ihm etwas Sorgen mache, dann weniger "diese Abgasgeschichte", sondern der Lieferengpass. "Der Skandal wird in ein paar Wochen aus den Schlagzeilen verschwunden sein. Wenn die Leute aber ihren neuen Wagen nicht bekommen, dann ärgert sie das viel nachhaltiger." Zwar gibt es auch Händler, die "die Geschichte", wie Wissler sie nennt, kritischer sehen - insbesondere in jenen Gegenden, in denen Diesel-Fahrzeuge einst bis zu einem Drittel zum Absatz beitrugen. Öffentlich äußern aber wollen sie sich zumindest in Orlando nicht.

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Auch die Kritiker allerdings betrachten Amerika-Chef Horn offenbar nicht als Teil des Problems, sondern als Teil der Lösung. Horn hat sich unter den US-Vertragspartnern einen Namen gemacht, weil er unmittelbar nach Amtsantritt im Januar letzten Jahres in Wolfsburg durchsetzte, dass VW seine Modellpalette in Nordamerika endlich um jenen mittelgroßen Sportgeländewagen erweitert, den die Händler seit Jahren so schmerzlich im Sortiment vermissen.

Vor allem aber hat der Chef der Volkswagen Group of America seinem stetigen Bekenntnis, dass die Profitabilität der Vertragspartner sein wichtigstes Anliegen sei, Taten folgen lassen. So auch jetzt: Seit Bekanntwerden des Skandals können die US-Händler gleich mehrere Finanztöpfe anzapfen, um sich vor möglichen Problemen zu schützen, außerdem finanziert VW Rabatte und Prämien von geschätzt gut 4000 Dollar pro Wagen, die nun vielerorts Schnäppchenjäger in die Autohäuser locken. Als in Wolfsburg die Köpfe rollten, stellten sich die US-Händler in einem Schreiben an die Konzernführung demonstrativ hinter Horn. Gut möglich, dass ihm das den Job rettete.

Nichts, was im Saal gesagt wird, darf nach außen dringen

Entsprechend gelöst ist die Stimmung beim Händlertreffen in Florida. Die Luft ist auch abends noch milde 26 Grad warm und verwandelt das Luxus-Hotel "Gaylord Palms", eine Gruppe mächtiger gelblich-beiger Steinklötze irgendwo im Nirgendwo, in ein bunt beleuchtetes, palmengesäumtes Paradies. Durch das riesige überdachte Atrium mit seinen verschlungenen Wegen und kleinen Grotten schlängeln sich Bäche, auf einem Felsblock döst ein Dutzend Alligatoren. Zwischen den Gebäuden hat VW auf Kunstrasen und unter Lichterketten eine Open-Air-Lounge mit Bars, transparenten Plastikfreischwingern und Sitzgruppen errichten lassen. Es gibt Barbecue und Bier, es sieht nach allem aus, nur nicht nach Krise.

Und doch: Dass die Zeiten nicht völlig normal sind, zeigt sich am nächsten Morgen, als im Saal D des Hotels die eigentliche Konferenz beginnt. Vor den Türen stehen Metalldetektoren, die Alarm schlagen, wenn jemand sein Handy mit hineinnehmen will. Nichts von dem, was im Saal gesagt wird, darf nach außen dringen.

In der riesigen Ausstellungshalle neben dem Sitzungssaal hat VW ein halbes Dutzend blitzender Autos und bunte Stände aufstellen lassen, an denen die Händler Pkw-Teile, Reifen und Felgen, T-Shirts und andere Accessoires betrachten können, die sich in ihren Ausstellungsräumen daheim vielleicht gut machen würden. Es riecht nach Kaffee und Gummi, fast so wie in einer kleinen Auto-Werkstatt. "Volkswagen ist die Nummer eins unter den deutschen Automarken in den USA" steht auf gleich mehreren der großen Stellwände, die das Selbstbewusstsein und den Korpsgeist stärken sollen. Und: "Die kleinen Dinge richtig zu machen - das ist das eigentlich große Unterfangen." So ist es wohl.

© SZ vom 24.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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