Bosch:Vier Sitze für die Zukunft

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Der selbstfahrende Mini-Bus soll zu einem wichtigen Transportmittel in der Stadt werden. Der Zulieferer Bosch attackiert mit seinem "Roboter-Shuttle" das Geschäft der klassischen Autohersteller.

Von Stefan Mayr

Wenn in 50 Jahren ein Großvater seinem Enkel eine Geschichte erzählen will, die für den Knirps wirklich unglaublich klingen soll, dann könnte sich das so anhören: "Früher habe ich mir ein Auto der Marke BMW oder Mercedes gekauft. Wenn ich damit in die Stadt fuhr, stand ich lange im Stau. Und fürs Abstellen im Parkhaus musste ich dann viel Geld bezahlen." Der Enkel wird große Augen machen und fragen: "Was ist ein Stau? Was ist ein Parkhaus?" Dann wird er ungläubig den Kopf schütteln und den Großvater verspotten: "Wie kann man so irre sein und sich ein eigenes Auto kaufen?" Dann werden beide lachen.

Und falls sich der Enkel gut mit Autos auskennt, könnte er auch noch fragen: "Sind BMW und Mercedes diese Firmen aus Süddeutschland, die für den Shuttle-Service die Fahrgestelle liefern und das Blech biegen?" Ja, wird der Großvater antworten, "die waren mal riesig und weltbekannt und sehr reich." Dann wird das gescheite Kerlchen aufspringen und sagen: "So wie Bosch und Continental heute?"

Es muss, wohlgemerkt, nicht so kommen. Aber es könnte. Der Stuttgarter Technologie-Konzern Bosch will im Januar auf der Elektronikmesse CES in Las Vegas ein Konzeptfahrzeug vorstellen, das ein Vorbote sein könnte für eine komplett andere Auto-Welt. In dieser Welt sind die Menschen in den Innenstädten überwiegend in Minibussen unterwegs, die elektrisch betrieben, autonom gesteuert und per App geordert werden. Mehrere Mitfahrer können unabhängig voneinander ein- und aussteigen. In dieser Welt sind die bisherigen Auto-Zulieferer die mächtigen Unternehmen, weil sie alle wichtigen Bestandteile wie Sensoren, Halbleiter, Antrieb und Software selbst herstellen. Nur Komponenten wie Kunststoff- oder Blech-Verkleidung, Chassis und Sitze lassen sie sich von den bisherigen Autoherstellern liefern. PS und Design sind dann als Statussymbol nicht mehr wichtig, jedenfalls nicht für Bewohner der Städte.

Klingt unrealistisch? Tatsache ist, dass die großen Zulieferer schon länger an ihrer Emanzipation arbeiten. Und sie sind inzwischen so weit, dass sie demnächst vielleicht mehr erreichen als nur ihre Gleichberechtigung mit den bisher übermächtigen Autoherstellern. Neben Bosch und Continental hat auch ZF Friedrichshafen - völlig unabhängig von den Herstellern - ein Vehikel entwickelt, das bald ganz autonom durch die Straßen kurven soll.

Der neue Bosch-Minibus hat vier Sitze und bietet dem Fahrgast ein Komplettangebot inklusive Infotainment. "Bosch entwickelt ein weltweit einzigartiges Paket aus Hardware, Software und Mobilitätsdiensten für die Shuttle-Mobilität der Zukunft", sagt Bosch-Manager Markus Heyn. Das sind ungewohnt markige Töne für den ansonsten eher zurückhaltenden schwäbischen Stiftungs-Konzern. Das Selbstbewusstsein ist nicht ganz unbegründet. Denn als größter Auto-Zulieferer der Welt liefert Bosch fast alles, was so ein fahrerloser E-Minibus braucht: den elektrischen Achsantrieb, die 360-Grad-Rundum-Sensoren, die Mikroprozessoren, die App-Plattform, auf der die Passagiere ihre Fahrten bestellen und abrechnen können. Und demnächst auch: die künstliche Intelligenz. "Ohne digitale Services von Bosch wird in Zukunft kein Fahrzeug mehr unterwegs sein", tönt Heyn.

Die Serie "Unterwegs in die Zukunft. Leben ohne eigenes Auto" ist im SZ-Wirtschaftsteil zwischen 15. Dezember 2018 und 2. Februar 2019 erschienen. (Foto: N/A)

Was für eine Ansage. Wer Bosch bisher nur als Hersteller von Bohr- und Waschmaschinen wahrgenommen hat, mag das gar als Größenwahn empfinden. Doch was viele nicht wissen: Bosch gilt längst als Weltmarktführer bei der Produktion sowohl von Sensoren als auch von Kfz-Halbleitern. In jedem neue Auto der Welt sind im Durchschnitt neun Bosch-Chips verbaut.

Und es werden immer mehr - nicht nur wegen der zunehmend leistungsfähigeren Fahrassistenz-Systeme. "Der Hunger an Halbleitern ist enorm", sagt Dirk Hoheisel, der in der Bosch-Geschäftsführung unter anderem die Auto-Elektronik verantwortet. "Wir erwarten zehn Prozent Wachstum pro Jahr." Die zwei Prozessoren-Fabriken in Reutlingen seien inzwischen voll ausgelastet, deshalb baut Bosch derzeit für eine Milliarde Euro ein weiteres Werk in Dresden, das Ende 2019 in Betrieb gehen soll. Es ist die größte Einzelinvestition in der 132-jährigen Firmengeschichte. 700 Mitarbeiter werden dort von Beginn an tätig sein. Und weitere werden folgen. "Wir werden früher oder später auch eine Entwicklung in Dresden hochziehen", verrät Hoheisel. "Diese wird nach und nach eine dreistellige Mitarbeiter-Zahl erreichen." Zudem gebe es in Dresden die Möglichkeit, den Standort noch weiter auszubauen.

Auch bei Radar-, Video-, Ultraschall und Laser-Sensoren für Autos ist Bosch gut im Geschäft. Sogar direkte Konkurrenten im Wettbewerb um das erste Roboterauto kaufen in Stuttgart ein. Die Sensoren sind so etwas wie die Augen des Autos, die Halbleiter entsprechen den Nervenzellen und Synapsen. Und damit das Auto eines Tages ganz allein fahren kann, bastelt Bosch am letzten fehlenden Element: dem Hirn. An einer künstlichen Intelligenz, die alle Daten der diversen Sinnesorgane mit den Signalen der GPS-Satelliten und den gespeicherten Landkarten verknüpft und eine Millisekunde später selbständig entscheidet: Bremsen oder Gas geben? Geradeaus fahren oder abbiegen?

In der Fahrzeugentwicklung geht es um Software - nicht um Hardware

Wer als erstes ein solches Hirn bauen kann, das auch im Dunkeln oder bei tief stehender Sonne keine Fehler macht, der darf sich auf große Umsätze und Gewinne freuen. Weil die jungen Großstadtbewohner keinen Wert mehr auf ein eigenes Auto legen, das ohnehin die meiste Zeit ungenutzt herumstehen würde, prophezeit die Unternehmensberatung Roland Berger eine stark wachsende Nachfrage nach autonomen Mitfahr-Minibussen. Es entsteht das neue Fahrzeugsegment "Shuttle". Allein in Europa, in den USA und in China sollen schon im Jahr 2020 etwa eine Million solcher Busse unterwegs sein, bis 2025 sogar 2,5 Millionen. Und spätestens ab 2025 sollen die Wagen ganz ohne Fahrer auskommen, prophezeit Berger. Es ist ein Milliardenmarkt, in den Bosch neben vielen anderen Herstellern, Zulieferern, Tech-Konzernen und Start-ups drängt.

Wer am Ende siegt, wird sich wohl an der Frage der künstlichen Intelligenz (KI) entscheiden. Hier gelten die Firmen aus den USA und China derzeit als weltweit führend, während die deutschen noch hinterherhinken. Aber Bosch-Konzernchef Volkmar Denner gibt sich nicht geschlagen: "Unser Ziel ist es, in der künstlichen Intelligenz weltweit führend zu werden." KI sei eine "Schlüsseltechnologie, um aus unseren Produkten intelligente Assistenten zu machen", sagte Denner jüngst bei der Bosch-KI-Konferenz "AICon" auf dem Forschungscampus in Renningen.

Das neue Shuttle-Konzeptfahrzeug will Bosch Anfang Januar auf der CES in Las Vegas vorstellen. (Foto: oh)

Nach der Eröffnung entschwand Denner nicht sogleich zum nächsten Termin. Sondern blieb, um den Referaten zu lauschen und sich mit jungen Forschern auszutauschen. Das zeigt, wie wichtig dem promovierten Physiker das Thema ist. Erst 2017 hat er das Bosch Center for Artificial Intelligence (BCAI) gegründet. Die meisten der 170 Mitarbeiter forschen in Renningen bei Stuttgart, einige von ihnen sitzen in Pittsburgh, Sunnyvale (beide USA) und Bangalore (Indien). Ein fünfter Standort in China wird schon geplant, bald soll das BCAI 400 Mitarbeiter haben.

"Lieber Geld verlieren als Reputation."

Denner treibt seit Jahren den Wandel seines Konzerns vom reinen Hardware-Produzenten zum Software-Haus voran. Weil die Zeit der Zündkerzen und Diesel-Einspritzpumpen zu Ende geht, beschäftigt sich inzwischen ein Drittel aller Entwickler im Auto-Bereich mit Software. Das sind 18 000 Menschen. Wie viele davon an KI basteln, verrät Denner nicht, aber der Anteil dürfte stetig größer werden.

Bosch hat es mit mächtigen Konkurrenten zu tun. Das Unternehmen gehört einer dem Gemeinwohl verpflichteten Stiftung und kämpft gegen Hightech-Konzerne aus den USA und gegen chinesische Staatsunternehmen, die über nahezu unbegrenzte Finanzmittel verfügen und in Ethik-Fragen wenig Vorbehalte kennen. Die Schwaben dagegen berufen sich auf den Leitspruch ihres Firmengründers Robert Bosch: "Lieber Geld verlieren als Reputation."

Dennoch sehen sich die Stuttgarter auf der Suche nach den besten Talenten der KI-Welt gut gerüstet. "Unsere Algorithmen kommen als Ergebnis in konkreten Produkten auf den Markt, im Auto oder in der Küche", sagt Michael Bolle, der neue Technikgeschäftsführer von Bosch. "Das ist unser entscheidender Vorteil."

Besonders stolz ist Bolle auf ein weiteres Projekt, mit dem das Unternehmen ebenfalls neue Wege geht: Im Mai 2019 wird Bosch voraussichtlich ein Gerät ins Weltall schicken. Das Sensorsystem Soundsee soll auf der internationalen Raumstation ISS eingesetzt werden. Die sogenannte Astrobiene (englisch Astrobee) wird autonom durch das Raumschiff fliegen und über Sensoren alle Geräusche aufnehmen, die dann von künstlicher Intelligenz analysiert werden. Sobald ein Teil der ISS schwächelt und ausgetauscht werden muss, schlägt das Roboterhirn made in Schwaben Alarm. So könnte die Weltraumbiene künftig verhindern, dass in der Raumstation etwas kaputtgeht oder gar das Leben der Besatzung gefährdet wird.

"So ein spannendes Projekt zieht viele junge Menschen an", sagt Bolle. Nicht viele Software-Ingenieure hätten die Chance, für die Raumfahrt zu programmieren. Klingt gut, aber dies allein wird wohl nicht genügen, um das Tauziehen um die besten KI-Experten der Welt gegen namhaftere und reichere Konzerne wie Google, Amazon oder Baidu zu gewinnen. Deshalb braucht es weitere Initiativen, um die besten Köpfe zu locken und dann auch zu halten.

© SZ vom 18.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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