Aktienmärkte:Die Börse mag auf einmal Unsicherheit

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Die Wall Street hoffte auf klare politische Verhältnisse nach der Wahl des US-Präsidenten. (Foto: John Angelillo/PA/newscom)

Die Hoffnung der Investoren auf einen klaren US-Wahlausgang wird enttäuscht. Die Kurse steigen trotzdem.

Von Harald Freiberger und Hans von der Hagen

Eigentlich gilt an der Wall Street eine sehr einfache Regel: Gewinnen bei den Präsidentschaftswahlen die als besonders wirtschaftsfreundlich geltenden Republikaner, ist das gut für die Aktienmärkte. Gewinnen die Demokraten, gilt das aus Anlegersicht als weniger vorteilhaft: Die Demokraten werden mit strengeren Regeln für Unternehmen und höheren Steuern assoziiert. Und es gibt noch eine Regel: Die Börse mag keine Unsicherheit.

Nach dieser Logik wäre ein Sieg des bisherigen Präsidenten Donald Trump das Beste für die Börsen gewesen, ein Sieg des Demokraten Joe Biden weniger gut - und ein Patt das Schlimmste.

Es kam anders, der Tag nach der US-Wahl hielt sich nicht an alte Regeln: Obwohl eine längere Hängepartie droht, wer denn nun der neue US-Präsident wird, brachen die Anleger fast in Jubel aus: An der Wall Street stieg der Dow-Jones-Index bis zum Abend um fast zwei Prozent, an der Technologiebörse Nasdaq betrug das Plus sogar rund vier Prozent. Auch in Deutschland ging es deutlich nach oben, der Dax schloss zwei Prozent höher.

Was sind die Gründe für dieses überraschende Plus trotz der großen politischen Unsicherheit? Zum einen lag es daran, dass Trump besser abschnitt als erwartet, dass seine Niederlage noch keinesfalls besiegelt ist. Fast alle Wirtschaftssektoren würden von seiner erneuten Präsidentschaft eher profitieren als vom Demokraten Biden, glauben die Investoren - ob Technologie, Pharma, Energie oder Finanzbranche. Schließlich boomte die Börse auch während Trumps Präsidentschaft über weite Strecken.

Hinzu kommt: Egal wie das Rennen um das Weiße Haus ausgeht, fest steht schon, dass der künftige Präsident einem gespaltenen Kongress gegenübersteht. "Für die Wirtschaft muss eine solche ,schwache' Präsidentschaft nicht unbedingt schlecht sein", sagte Commerzbank-Volkswirt Bernd Weidensteiner. Schließlich seien dann radikale und teure Maßnahmen nicht wahrscheinlich. Außerdem waren die Kurse in den vergangenen Wochen stark gefallen, der Anstieg am Tag nach der Wahl war auch eine Gegenreaktion.

Doch obwohl die Kurse am Mittwoch so deutlich stiegen: Grundsätzlich optimistisch sind die Anleger an der Börse derzeit nicht. Für Unmut sorgte schon allein die Tatsache, dass sich Trump noch während der laufenden Auszählung zum Sieger ernannte, von Wahlbetrug sprach und ankündigte, vor das Oberste Gericht zu ziehen. Die Börsenexperten erwarten auch in den nächsten Tage starke Schwankungen, die Nervosität dürfte so lange anhalten, bis wirklich feststeht, wer der neue US-Präsident wird.

Am Anleihenmarkt stiegen die Kurse ebenfalls. Warum? Offenkundig rechneten die Anleger mit fortschreitender Stimmenauszählung zunehmend mit einem Sieg von Trump: Sollte der an der Macht bleiben, dürfte das mögliche Konjunkturpaket zur Bewältigung der Corona-Folgen weniger üppig ausfallen als bei einem Sieg von Biden. Eine US-Regierung unter Trump würde zumindest für das Konjunkturpaket wohl weniger Schulden machen - das Angebot an neuen Anleihen fiele entsprechend niedriger aus. Wegen des möglicherweise knapperen Angebots stiegen die Kurse der Anleihen, spiegelbildlich dazu gaben die Renditen nach. Die Rendite für den zehnjährigen T-Bond fiel deutlich auf knapp 0,8 Prozent.

Für die Ökonomen ist die Aussicht auf eine Hängepartie in den USA ein Graus: Viele wichtige Entscheidungen drohten in der Schwebe zu bleiben, sagt Gabriel Felbermeyer, Chef des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel. Eine solche Unsicherheit sei schädlich für die US-Konjunktur und damit auch für die Wachstumsaussichten vieler Industrieländer.

Dieter Kempf, der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, hob hervor, dass das Vertrauen in die US-Demokratie auch für Unternehmen enorm wichtig sei. Er hoffe, dass die Situation in den Vereinigten Staaten in den nächsten Tagen nicht eskaliere. Eine solche Unsicherheit sei schädlich für die US-Konjunktur und damit auch für die Wachstumsaussichten vieler Industrieländer.

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