Bionade und Co.:Rebellen im Anzug

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Die Regeln des Massenmarktes kennen - und dann gezielt dagegen verstoßen: Drei Beispiele zeigen, wie Produkte, die auf dem Markt keine Chance haben dürften, plötzlich doch einschlagen.

Elisabeth Dostert

Wie Rebellen sehen die drei Herren nun wirklich nicht aus: Einen grauen Zweireiher mit Goldknöpfen trägt der Bleistiftfabrikant Anton Wolfgang Graf von Faber-Castell, das Einstecktuch bleu, Ton in Ton mit dem Hemd. Auch der Schaltschrankbauer Norbert Müller und Peter Kowalsky, Erfinder der Bionade, erfüllen nicht das Klischee vom verwegenen Helden, der über alle Konventionen erhaben ist, der für Aufruhr sorgt und den Wandel betreibt. Und doch haben die drei in renditeschwachen Zeiten Regeln gebrochen, um ihre Firma zu retten. Wie, das erzählten sie unlängst auf einer Tagung in München.

Trend-Getränk Bionade: Erfolg gegen die Regeln des Marktes. (Foto: Foto: Reuters)

Als Anton Wolfgang Graf von Faber-Castell vor genau 30 Jahren die Nachfolge seines Vaters beim Nürnberger Bleistiftkonzern antrat, waren die Geschäftsaussichten nicht gerade berauschend. "Ich habe mich damals auch gefragt, ob ich mich für Bleistifte begeistern kann", erzählt der 66-Jährige und setzt eine Pause, die deutlich nach Nein klingt.

Bleistift als Schmuckstück

Damals produzierte Faber-Castell noch Rechenschieber, aber die kamen in den Schulen und Büros der siebziger Jahre allmählich aus der Mode. Der Graf dachte über neue Märkte und neue Produkte nach. Bleistifte galten als billiger Gebrauchsgegenstand, der den Gesetzen des Massenmarktes gehorcht: große Nachfrage, harte Konkurrenz, Produkte ohne Namen, kleine Margen. Jährlich zwei Milliarden holzgefasste Stifte stellt die Gruppe mit heute weltweit 6000 Beschäftigten und knapp 400 Millionen Euro Umsatz her.

Der Graf dachte ziemlich lange nach: Ein historisches Set von Bleistiftschonern aus Sterlingsilber, das er sich für seine Sammlung gekauft hatte, habe ihn dann Mitte der achtziger Jahre auf die Idee gebracht, dem einfachen Gebrauchsgegenstand Prestige zu verleihen. Sogenannte Markt- und Marketingexperten hätten seiner Idee, aus dem Bleistift ein Schmuckstück zu machen, keinen Erfolg bescheinigt.

Edles Gut aus Allerweltsprodukt

Auch wegen solcher Widersacher kam das erste Schreib-Schmuckstück erst 1993 auf den Markt: ein Taschenbleistift mit versilbertem Verlängerer. Mittlerweile ist eine ganze Kollektion daraus geworden, mit Füllhaltern und Schreibtisch-Accessoires bis hin zum platinierten Spitzer. Sie tragen das Familienwappen und werden unter dem Markennamen "Graf von Faber-Castell" verkauft - im Gegensatz zu den Bleistiften in Russischgrün, die nur "Faber-Castell" heißen. Aus dem Allerweltsprodukt hat Faber-Castell ein edles Gut gemacht, für das andere Gesetze gelten als die des Massenmarktes. Der "Pen of the Year" etwa, in limitierter Auflage mit einem Schaft aus Bernstein oder Edelhölzern, kostet mehrere Tausend Euro.

"Regelbrecher" nennt der Münchner Unternehmensberater Norbert Wieselhuber Menschen wie den Grafen. "Während sich die Mehrzahl der Marktteilnehmer brav und diszipliniert an die bewährten Spielregeln hält und die Überlebenschance in der Perfektionierung des Perfekten sieht, praktizieren sie das Gegenteil." Sie verstoßen gegen die Gesetze des Marktes, ignorieren Lehrbücher und erfinden neue Spielregeln.

Gegen alle Regeln

Für solche strategischen Innovatoren gibt es zahlreiche Beispiele: Der Uhrmacher Swatch zählt dazu, Aldi, Ikea, H&M, Fielmann oder McDonald's. In einer nicht repräsentativen Studie, für die 52 Familienunternehmer und Manager befragt wurden, hat Wieselhuber den Regelbruch untersucht. Eines der Ergebnisse: Er geschieht selten freiwillig. Wie im Falle Faber-Castells zwingen Veränderungen des Umfeldes dazu: Sinkende Renditen, schrumpfende Märkte, ein immer stärkerer Verdrängungswettbewerb und Überkapazitäten führen zum Bruch mit alten Regeln. Die Orientierung an den Kennzahlen der Branche oder der Konkurrenten, wie sie bei Unternehmen beliebt ist, bleibt den Rebellen erspart. "Für Regelbrecher gibt es keine Benchmark. Sie selbst setzen die Orientierungswerte", sagt Wieselhuber, der das Treffen der Rebellen in der vergangenen Woche initiiert hatte.

Norbert Müller hat in seiner Karriere gegen viele Regeln verstoßen. Und von jeder erzählt der 65-jährige Chef der Firma Rittal aus Herborn genüsslich. Sie gehört zur Friedhelm-Loh-Gruppe. Müller ist zwar dort angestellt, aber er handelt wie ein Familienunternehmer. Rittal stellt mit mehr als 10.000 Beschäftigten Schaltschränke her, wie sie Energieversorger, Elektro- und IT-Industrie brauchen, und steuert rund 80 Prozent zu den Erlösen der Loh-Gruppe von insgesamt mehr als zwei Milliarden Euro bei.

Lesen Sie im zweiten Teil, wie der Unternehmer Peter Kowalsky aus der Bionade ein Lifestyle-Getränk gemacht hat - und warum das Trend-Getränk ab Juli teurer wird.

Der größte Regelverstoß mündete 1961 in die Gründung von Rittal, erzählt Müller, der schon seine Lehre bei Loh gemacht hatte. Auch die suchte damals nach neuen Produkten, um ihr Geschäft zu diversifizieren. Damals galt: Schaltschrankgehäuse sind jeweils maßangepasst nach Zeichnung anzufertigen, eine Standardisierung ist nicht möglich. Rittal habe das Gegenteil bewiesen. Wie bei Faber-Castell hat es allerdings ein paar Jahre gedauert bis zum Markterfolg. "So eine Ausdauer können sich nur Familienunternehmer leisten, weil sie auf eigenes Risiko handeln", sagt Müller.

Der Durchbruch kam mit der Standardisierung der Schaltschränke für die Maschinen und Anlagen des VW-Konzerns. "Heute sind in Serie hergestellte Schaltschränke die Regel und Einzelanfertigungen die Ausnahme", sagt Müller. Aus dem Regelbrecher ist ein Regelmacher geworden.

Zehn Jahre bis zur Marktreife

Auch Müller tritt nicht auf wie ein Rebell: schwarzer Anzug, weißes Hemd, gestreifte Krawatte. Er kokettiert ein wenig mit seinen Erfolgen. Rückblicke, sagt er, lägen ihm nicht. Er beschäftige sich lieber mit der Zukunft. Der zeitliche Vorsprung einer Innovation sei ohnehin begrenzt. "Erfolge sind nur eine Bewertung der Vergangenheit, niemals eine Zukunftsgarantie", sagt er. Nach 51 Berufsjahren hält er viele solcher gefälliger Einsichten parat: "Erfolg steigt nur denen zu Kopf, die dort Hohlräume haben. Wir haben dort Ideen."

Die hatten auch Peter Kowalsky, 40, und seine Familie. Sie haben ganz ohne Berater die Bionade erfunden, ein alkoholfreies Erfrischungsgetränk, das - wie Bier - durch Gärung entsteht und so lebensmittelrechtlich keine Limonade ist. Damit überschritt die Familie zwei Grenzen: Erstens verließ sie ihr angestammtes Biergeschäft und nahm es zweitens als Winzling mit Giganten und Regelmachern wie Coca-Cola auf. Als Kowalskys Stiefvater Dieter Leipold 1985 mit der Entwicklung begann, litt die Brauerei seiner Frau mit 20 Mitarbeitern unter Absatzproblemen. "Es zwickte finanziell überall", erzählt Kowalsky, der heute die Geschäfte führt: "Wir standen vor der Frage: Schließen wir die Brauerei oder denken wir uns etwas Neues aus?"

Zehn Jahre haben sie bis zum markttauglichen Produkt gebraucht. "Mehr als drei Millionen Euro haben wir in die Entwicklung gesteckt. Das entsprach damals in etwa dem Jahresumsatz der Brauerei", sagt Kowalsky. Er verpackt die Geschichte in viele Anekdoten, fast jede bringt sein Publikum in München zum Lachen.

Bionade wird im Juli 60 Prozent teurer

"Im Nachhinein klingt das alles lustig", sagt Kowalsky fast vorwurfsvoll. Er steht auf der Bühne in grauem Anzug und weißem Hemd, das Gesicht von der Hitze im Saal gerötet. "Es war eine unglaublich schwierige Zeit für uns. Wir konnten zeitweise die Löhne nicht zahlen. So etwas kann man nur als Familie durchhalten", sagt er. "Und die Banken können mit etwas, das es noch gar nicht gibt, gar nichts anfangen." Mit ihrem neuen Produkt besuchten die Kowalskys Mitte der neunziger Jahre dann "die erste Garde der deutschen Brauereien", um Lizenzen für Bionade zu vergeben. Aber die wollte keine Regeln brechen. "Ich hol' mir doch keinen fremden Mikroorganismus in meine Brauerei", bekamen die Franken häufig zu hören.

Nur deshalb haben sie die Bionade dann selbst gebraut. Der Durchbruch kam erst Anfang dieses Jahrtausends, als sie die Brause nicht mehr als Bio-Produkt vermarkteten, sondern als Lifestyle-Getränk. "Das erste Mal haben wir als Firma 2006 Geld verdient", sagt Kowalsky. Im vergangenen Jahr verkaufte die Bionade GmbH 200 Millionen Flaschen, hundertmal so viele wie 2003. Den nächsten Regelbruch plant der Brauer schon: "Zum ersten Juli werden wir die Preise um 60 Prozent anheben."

© SZ vom 05.06.2008/tob - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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