Muss der Einzelne peinliche und diffamierende Vorschläge in Suchmaschinen dulden? Oder kann er sich dagegen zur Wehr setzen? Der Bundesgerichtshof (BGH) hat am Dienstag sein Urteil über die sogenannte Autocomplete-Funktion verkündet. Google besitzt diese Funktion seit 2009. Dabei werden Suchbegriffe noch während der Eingabe automatisch um weitere Vorschläge vervollständigt.
Suchmaschinen wie Google müssen nach dem heutigen Urteil Wortkombinationen aus ihrer automatischen Vervollständigung streichen, wenn sie erfahren, dass diese Persönlichkeitsrechte verletzen. Dem Urteil zufolge muss Google zwar nicht für jede Persönlichkeitsrechtsverletzung durch die Autocomplete-Funktion geradestehen. Die Haftung des weltweit führenden Suchmaschinen-Betreibers setze aber ein, wenn ein Betroffener von Google die Verknüpfung seines Namens mit persönlichkeitsrechtsverletzenden Begriffen rüge, entschied der BGH.
Ein Unternehmer hatte Google verklagt. Er sah sich durch automatisch ergänzte Suchvorschläge in seinem Persönlichkeitsrecht und seinem geschäftlichen Ansehen verletzt. So hatte der Kläger festgestellt, dass die Suchvorschläge bei Eingabe seines vollen Namens die Autovervollständigungen Scientology und Betrug anzeigten - obwohl er in keinerlei Zusammenhang mit Scientology stehe oder ihm Betrug vorzuwerfen sei. Es sei kein Ermittlungsverfahren gegen ihn eingeleitet.
Prozess verschoben
Das Urteil des BGH hat auch Auswirkungen auf die Klage von Bettina Wulff gegen den Internetkonzern. Auch sie hatte Google wegen der Autocomplete-Funktion verklagt. Das Unternehmen soll Schlagwort-Kombinationen ihres Namens mit Wörtern wie "Prostitution" entfernen. Der Prozess war wegen des BGH-Urteils verschoben worden.
Google selbst hatte sich bislang erfolgreich gegen die Eingriffsversuche gewehrt. Nach eigenen Angaben hat das Unternehmen in Deutschland bis dato fünf Verfahren wegen der Autocomplete-Funktion gewonnen. So schlage man die Begriffe nicht selbst vor. Vielmehr seien die bei der Autovervollständigung angezeigten Begriffe von den Google-Nutzern selbst eingegeben worden. Die angezeigten Begriffe seien das algorithmisch erzeugte Resultat mehrerer objektiver Faktoren, inklusive der Popularität der eingegebenen Suchbegriffe, erklärte Unternehmenssprecher Kay Oberbeck.
Welche Faktoren das genau sind, sagt das Unternehmen allerdings nicht. Neben den Suchanfragen, so Experten, spielen auch Einflussfaktoren wie die Anzahl der Suchtreffer sowie dem Ort und Zeitpunkt der Suche eine Rolle. Zudem seien die Ergebnisse auch manipulierbar. So gibt es bereits Firmen, die sich darauf spezialisiert haben, für Unternehmen oder Personen genehme Autovervollständigungen zu erstellen. Das geht natürlich auch mit negativen Begriffen - den sogenannten Google Bombs. Opfer einer solchen Manipulation wurde 2003 US-Präsident George W. Bush. Gab man damals den Begriff "miserable failure" in die Suche ein, gab Google die Seite des US-Präsidenten als ersten Treffer aus.
Allerdings ist es nicht so, dass Google selbst nicht filtert. Vor allem bei Gewalt, Pornografie oder vermeintlichen Obszönitäten wird die Autocomplete-Funktion vorab eingeschränkt, was manchmal zu kuriosen Ergebnissen führt. So erhält beispielsweise der ehemalige Bundesliga-Torwart Hans Jörg Butt keinerlei automatische Suchvorschläge bei Eingabe seines Namens. Google hat hier die Autovervollständigung komplett deaktiviert, da Butt im Englischen unter anderem "Hintern" bedeutet. Auch Begriffe, die im Zusammenhang mit Urheberrechtsverletzungen gesucht werden, zeigt Google nicht automatisch an. Kritiker werfen dem Konzern deshalb vor, mit zweierlei Maß zu messen.
Verlorene Prozesse in Japan und Frankreich
In vielen anderen Ländern wurde die Autocomplete-Funktion gerichtlich eingeschränkt. So wurde einem japanischen Kläger Schadenersatz zugesprochen. Er hatte seinen Job verloren, weil ihn die Suchfunktion mit Straftaten in Verbindung gebracht hatte. Auch in Italien und Frankreich hat Google bereits solche Prozesse verloren. So hatten unter anderem französische Menschenrechtsorganisationen Google des "latenten Antisemitismus" bezichtigt. Wer nach Prominenten suchte, erhielt als erste Eingabemöglichkeit häufig das Wort "Jude" angezeigt. Der US-Konzern wies jede "ideologische Verantwortung" zurück und berief sich auf die neutralen Suchalgorithmen. Am Ende kam es jedoch zu einem Vergleich.
In Deutschland haben die BGH-Richter nun gegen Google entschieden und damit ein anderslautendes Urteil des Oberlandesgerichts (OLG) Köln aufgehoben. Dort muss der Fall nun zum Teil neu verhandelt werden.