Hans Jörg Butt kann anstellen, was er will. Niemals werden ihm Googles Algorithmen falsche Unterstellungen machen. Wer den Namen des ehemaligen Bundesliga-Profis bei Google eingibt, erhält keine automatischen Suchvorschläge. Wo sich ehemalige Vereinskollegen unterstellen lassen müssen, sie seien schwul, wo der Gattin des ehemaligen Bundespräsidenten vorgeworfen wird, sie haben einst als Prostituierte gearbeitet, da zeigt Google bei Hans Jörg Butt nur weiße Pixel an. Die Autocomplete-Funktion, die Nutzern noch während sie einen Suchbegriff eingeben, Vorschläge macht, wonach sie suchen könnten, ist deaktiviert.
Man könnte annehmen, Butt habe sich dieses Privileg vor Gericht hart erkämpft. Schließlich scheinen Fußballspieler überdurchschnittlich häufig von solchen oft unwahren Unterstellungen betroffen zu sein. Hat Butt aber nicht. Die Autocomplete-Funktion wurde von Google eigenmächtig abgeschaltet. Butt, das heißt übersetzt im Englischen Hintern oder Po. Und weil das wiederum nicht mit Googles Vorstellungen vom Jugendschutz vereinbar ist, wird Hans Jörg Butts Name in der größten Suchmaschine der Welt nicht automatisch vervollständigt.
Das Wort "Wulff" gibt es im Englischen nicht. Bettina Wulffs Name wird deshalb auf Google automatisch vervollständigt. Es reicht nach ihrer Klage gegen Google sogar aus, die Buchstaben B und E bei Google einzugeben, um an erster Stelle die Kombination "Bettina Wulff Prostituierte" und an dritter Stelle "Bettina Wulff Escort" präsentiert zu bekommen. Deswegen hat die Gattin des ehemaligen Bundespräsidenten Google verklagt. Sie will das Unternehmen dazu zwingen, die Autovervollständigen-Funktion zu bereinigen und die betreffenden Schlagwort-Kombinationen zu entfernen. Von Rufmord ist die Rede.
Google wehrt sich gegen die Vorwürfe
Es sind Vorwürfe, die sich Google nicht gefallen lassen will. Man schlage die Begriffe nicht selbst vor, sämtliche von der Autovervollständigung angezeigten Begriffe seien zuvor von Google-Nutzern eingegeben worden. Das Unternehmen habe in Deutschland bereits fünf ähnliche Verfahren geführt und jedes Mal hätten die Gerichte die Klagen der Betroffenen abgewiesen. "Die angezeigten Begriffe sind das algorithmisch erzeugte Resultat mehrerer objektiver Faktoren, inklusive der Popularität der eingegebenen Suchbegriffe", sagt Unternehmenssprecher Kay Oberbeck. Welche Faktoren das genau sind, verrät das Unternehmen nicht. Experten vermuten, der größte Teil entfalle tatsächlich auf die Suchanfragen anderer Nutzer, gefolgt von Einflussfaktoren wie der Anzahl der möglichen Suchtreffer sowie dem Ort und Zeitpunkt der Suche. Sicher scheint: So objektiv, wie Google das die Öffentlichkeit glauben machen will, sind die Vorschläge nicht.
Besonders bei Pornografie, Gewalt und so genannten Hassreden wird vorab gefiltert. Auch Begriffe, die im Zusammenhang mit Urheberrechtsverletzungen gesucht werden, zeigt Google nicht automatisch an. Manche fragen sich deshalb, ob Google mit zweierlei Maß messe. Einflussreiche Lobbygruppen können ihre Verbotsagenda durchsetzen, Einzelpersonen hingegen müssen Verleumdungen und Beleidigungen hinnehmen oder dagegen vor Gericht ziehen.
Auch scheint sich Google nicht überall damit herausreden zu können, man stelle nur dar, was andere suchten. Nach einem Bericht des Courthouse News Service soll ein französisches Gericht Google 2011 zu einer Strafe von 65.000 Dollar verurteilt haben, weil in Frankreich der Name des Versicherers Lyonnaise de Garantie in der Autovervollständigen-Suche mit dem französischen Wort für Betrüger, Escroc, verknüpft war. Neben der Geldstrafe musste Google dem Bericht zufolge auch den rufschädigenden Begriff aus der Suchfunktion entfernen. Die Strafe wurde bezahlt, Google ist derzeit in Berufung.
Hinzu kommt: Die Ergebnisse sind manipulierbar. Der Suchmaschinen-Experte Daniel Wette hat das ausprobiert. Der Kölner betreibt eine Marketing-Firma. Für einen Vortrag auf einem Branchenkongress hat er sich ausführlich mit Googles Autocomplete-Funktion beschäftigt. Wette sagt, die automatischen Suchvorschläge zu manipulieren, sei nicht schwer. Vor allem Firmen würden heute schon genau darauf achten, welche Begriffe bei Google im Zusammenhang mit ihrem Unternehmen angezeigt würden und im Zweifelsfall Gegenmaßnahmen ergreifen. Die Manipulation der Autovervollständigung könne inzwischen jeder kaufen. Je häufiger nach einem Unternehmen gesucht werde, desto schwieriger und teurer werde es.
Negative Begriffe erhöhen Klickrate
Bei einem Test sei es ihm gelungen, die angezeigten Vorschläge mehrfach auszutauschen. Mit interessantem Ergebnis: Wurde der Ausgangssuchbegriff mit einem negativ konnotierten Wort kombiniert, lag die Klickrate bei durchschnittlich fünf Prozent. Wurde der Suchbegriff mit einer positiven Konnotation versehen, sank die Klickrate auf nahezu null Prozent. Wette schließt daraus, dass Googles Autovervollständigungs-Funktion vordergründig für negative Informationen wie ein Verstärker wirkt. Zu Ende gedacht, ergibt sich eine Art informationeller Zirkelschluss: Google stellt nicht nur dar, was Menschen suchen. Googles Darstellung dessen, was Menschen suchen, beeinflusst wiederum, was Menschen bei Google suchen. Allein schon die Entscheidung, jeweils vier Autovervollständigungen anzuzeigen, kann Fragen aufwerfen: Warum nicht nur zwei oder gar zehn?
Bettina Wulff hat mit ihrer Klage eine Debatte ins Rollen gebracht, an deren Ende die Frage stehen könnte, ob Google ähnlich wie einem Medienunternehmen eine redaktionelle Verantwortung zukommt. Auch wenn sie das gar nicht beabsichtigt hat, scheint schon jetzt ein Mythos entzaubert worden zu sein: Neutral und objektiv sind auch Googles Algorithmen nicht
Mitarbeit: Hans von der Hagen