Bankenaufsicht:Ein Traumpaar trennt sich

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Zwei ziemlich unterschiedliche Frauen, die bestens harmonieren: Sabine Lautenschläger (li.) gilt als eher forsch, Danièle Nouy (re.) als zurückhaltend. (Foto: Getty Images)

Gemeinsam haben Danièle Nouy und Sabine Lautenschläger eine schlagkräftige europäische Bankenaufsicht aufgebaut. In der Branche werden sie respektiert. Bald aber enden ihre Verträge.

Von Meike Schreiber und Markus Zydra, Frankfurt

Danièle Nouy redet bereits, da gießt Sabine Lautenschläger etwas Sprudel ins Glas und schiebt es der Kollegin am Tisch unauffällig rüber. Es ist ein wichtiger Tag, denn die EZB-Bankenaufsicht stellt ihren Jahresbericht vor. Lautenschläger, 54, ist Vize-Chefin der Behörde und Nouy, 68, die Chefin. Die Deutsche und die Französin gehen unverkrampft miteinander um. Das Glas Wasser ist nicht der Rede wert, es folgt weder ein aufgesetztes Lächeln, noch ein überschwängliches Danksagen. Beide halten kurze Reden, später beantworten sie Fragen. Wenn Nouy spricht, hält sie Verbindung zur Kollegin. Lautenschläger macht es genauso, durch Blickkontakt, durch Zunicken, und indem man der anderen die Möglichkeit gibt etwas zu ergänzen. Jeder ist sichtbar daran gelegen, dass die andere eingebunden ist.

Es gibt in der Wirtschaft nicht viele Doppelspitzen, die so harmonisch wirken wie die der beiden mächtigsten Bankenaufseherinnen Europas. Den wenigen, die es gibt, merkt man häufig an, dass die Freundlichkeiten für die Galerie sind, dass Grabenkämpfe die Zusammenarbeit trüben. Bei Nouy und Lautenschläger ist das anders. So unterschiedlich sie sind - die Deutsche ist eher forsch, die Französin zurückhaltend - sie scheinen sich tatsächlich gut zu verstehen, auch wenn sie sicherlich nicht immer einer Meinung sind.

So haben sie seit 2014 geschafft, was viele "als ungeheuren Kraftakt" bezeichnen: 19 nationale Behörden zu einer schlagkräftigen europäischen Bankenaufsicht zu verschmelzen. Zusammen wollen sie Europas Banken sicherer machen, zusammen schrecken sie auch vor Konflikten mit Bankmanagern und Politikern nicht zurück. Die beiden Frauen sind sogar ein wenig gefürchtet in diesen Kreisen, was wohl ein Indiz dafür ist, dass sie ihre Arbeit gut machen.

Doch bald treten sie ab. Nouys Vertrag endet zum Jahreswechsel, Lautenschlägers fünf Wochen später. Wer nachfolgt, ist noch offen. "Die beiden sind ein Traumpaar, sie haben die Bankenaufsicht sehr gut geführt", sagt ein ehemaliger Kollege. "Mit ihrem Abschied sind die goldenen Zeiten der Bankenaufsicht vorbei."

Goldene Zeiten? Die Geschichte der Bankenaufsicht folgt Zyklen, mal sind die Kontrolleure streng, mal lassen sie die Zügel schleifen, je nach politischer Vorgabe. Ging es vor Ausbruch der Finanzkrise 2008 fast ausschließlich darum, die Regeln für die Finanzmärkte zu lockern, dominierte nach dem großen Knall die Frage, wie man das System stabiler machen kann. Jetzt, zehn Jahre später, sind viele wichtige Gesetzespakete verabschiedet. Die strengen Eigenkapitalvorschriften unter dem Namen "Basel III" gelten als Abschluss der Bankenkasteiung.

Doch wie geht es weiter? Gelingt es den Banken, viele dieser Regeln wieder aufzuweichen? Droht dann in Kürze eine neue Finanzkrise? In der Aufsicht jedenfallsfürchten einige, dass die Uhren zurückgedreht werden könnten. Einfach weil man sich in Sicherheit wiegt.

Dass die Führung der EZB-Aufsicht gleichzeitig wechselt, sehen daher viele kritisch. Wie bei allen Spitzenposten in Europa geht es auch hier nicht nur um Qualifikation, sondern ebenso um Nationalität oder Geschlecht. Gute Chancen werden zum Beispiel Andrea Enria, dem italienischen Chef der Europäischen Bankenaufsicht Eba, eingeräumt, einer EU-Schwesterbehörde, die regelmäßig Bankenstresstests durchführt. Ebenfalls im Rennen ist sein Landsmann Ignazio Angeloni, der bereits Mitglied im obersten Gremium der EZB-Bankenaufsicht ist. Oder Sharon Donnery von der Irischen Notenbank. Sie alle sind zweifelsohne qualifiziert, doch die Frage ist, ob die Neuen so gut zusammenarbeiten wie Nouy und Lautenschläger. Und auch, ob sie die ungelösten Probleme angehen, etwa die Frage, wie Italiens Banken ihren hohen Bestand fauler Kredite abbauen. Selbst Nouy wurde zuletzt in Brüssel gebremst beim Versuch, strengere Vorgaben für faule Kredite durchzusetzen.

Das mehrheitliche Lob für die Leistung von Nouy und Lautenschläger sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass Bankenaufsicht stets ein schwieriges Geschäft ist. Die Finanzkrise in der Türkei zeigt das deutlich: Spanische Banken haben der türkischen Wirtschaft 82 Milliarden Dollar geliehen. Die Rückzahlung ist nun gefährdet, plötzlich wird ein gefährliches Klumpenrisiko im spanischen Bankensektor sichtbar. Hätten die EZB-Bankenaufseher diese Kreditgeschäfte frühzeitig deckeln sollen? Offiziell heißt er nur, die EZB beobachte die Lage der betroffenen Banken genau.

Auch in der Behörde hat es in den letzten fünf Jahren geknirscht. Einige Bankenaufseher klagen darüber, dass die EZB viel zu häufig externe Berater bei der Kontrolle der Banken einsetze. Diese würden Informationen über die Aufsichtspraxis abschöpfen, die sie später an Banken weitergeben könnten. So würde die Aufsichtsarbeit unterminiert. Ein weiterer Vorwurf gilt den vielen Überstunden und Rivalitäten zwischen den Abteilungen. Die EZB-Gewerkschaft beklagte im vergangenen Jahr in einem internen Brief den Arbeitsdruck, der mitunter die Atmosphäre vergifte. Nouy und Lautenschläger hätten dagegen zu wenig getan.

Der Europäische Rechnungshof monierte bereits vor gut einem Jahr, dass die EZB-Bankenaufsicht, obwohl sie für die Aufsichtsaufgaben zuständig sei, "keine Kontrolle über die erforderlichen personellen und finanziellen Ressourcen hat". Es ist der EZB-Rat, der das Budget für die Aufsicht beschließt, und dort sitzen die nationalen Notenbankchefs, die häufig die EZB kleinhalten, um die Bedeutung der eigenen Notenbank groß zu halten.

Ein Problem ist auch, dass die EZB auf die Kooperation der nationalen Aufsichtsbehörden in den 19 Euro-Staaten angewiesen ist. Es gibt immer wieder Streit, wenn einer Bank Vorgaben gemacht werden. "Die EZB-Bankenaufsicht muss ihre Arbeit stärker vereinheitlichen", sagt etwa Manuel Lorenz von der Rechtsanwaltskanzlei Baker McKenzie. Weil die Aufsichtsteams aus den 19 Euro-Staaten kämen und sich in den einzelnen Staaten sehr unterschiedliche Aufsichtskulturen entwickelt hätten, reagierten die Aufseher bei ähnlichen Problemen mitunter höchst unterschiedlich. "Manche Banken empfinden das als Willkür", sagt Lorenz.

Dieses Problem werden die neuen Chefs angehen müssen. Die komplizierte Führungsstruktur der Bankenaufsicht setzt dabei geradezu voraus, dass sich Chef und Vize gut verstehen. Nouy als Chefin leitet das Aufsichtsgremium und fasst mit den Kollegen aus den Euro-Staaten die Beschlüsse zu Banken. Doch am Ende ist es der EZB-Rat mit Präsident Mario Draghi an der Spitze, der das letzte Wort hat. Das Gremium hat das Recht, Maßnahmen der Bankenaufsicht abzulehnen. Dass es dazu bisher formal nie gekommen ist, lag auch an der Vize-Chefin Lautenschläger. Sie sitzt im EZB-Rat und sorgt dafür, dass man in strittigen Fragen einen Konsens findet. Lautenschläger hat deshalb als Vize-Chefin mindestens so viel Macht wie die ihr formal vorgesetzte Nouy. Diese Konstellation birgt Konfliktpotenzial. Nouy und Lautenschläger haben das gut umschifft. Doch wenn einer oder beide ihrer Nachfolger nun mit Machtspielen anfingen, könnte das der Behördenarbeit schaden.

Nouy wird bei der Jahrespressekonferenz noch gefragt, was sie ihrem Nachfolger mit auf dem Weg geben möchte. Da schaut sie zu Lautenschläger, sagt, dass diese ja auch bald aufhöre und die Frage ebenso beantworten könne. Doch die rührt sich nicht, nickt nur vertrauensvoll, und Nouy trägt ihr Vermächtnis vor: Der Nachfolger müsse Hartnäckigkeit beweisen.

© SZ vom 17.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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