Bahn: Projekt im Visier der Fahnder:Kampf auf Biegen und Brechen

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Wurde die Vergabe des Auftrags für den Bau einer ICE-Strecke manipuliert? Ein Unternehmer erhebt schwere Vorwürfe - jetzt ermittelt die Staatsanwaltschaft.

Klaus Ott

Deutschlands Staatsanwälte werden mit Strafanzeigen überhäuft. Viele landen, weil sich die Vorwürfe nicht erhärten lassen, bald in der Ablage. Bei der ICE-Strecke von München nach Nürnberg, mit der sich Bayerns Justiz beschäftigt, war das anders. Die Anzeige scheint begründet. Es geht um mutmaßliche Manipulation bei der Vergabe eines Großauftrags für die 3,5 Milliarden Euro teure Trasse und vielleicht auch um Korruption.

Die Münchner Staatsanwaltschaft ermittelt, nachdem deren Fahnder eine ungewöhnliche Anzeige erhalten hatten. Mehrere Baufirmen hatten sich zerstritten. Ein leitender Mitarbeiter soll ausgeplaudert haben, dass seine Firma heimlich von den Angeboten der Konkurrenten erfahren hat. Die Staatsanwaltschaft bestätigt, dass sie den Vorgang untersucht, nennt aber keine Details.

Der Fall führt zur Firma Papenburg mit Sitz in Niedersachsen. Die Gruppe beschäftigt 3000 Leute und baut in ganz Deutschland Straßen, Brücken, Kraftwerke und Häuser. Mit der Bahn und der Justiz hat Papenburg bereits wegen der ICE-Strecke Hannover-Berlin Ärger, nun kommen Vorwürfe in München hinzu. Die Verfahren in Niedersachsen und in Bayern sind in mehrfacher Hinsicht ein Lehrstück. Sie gewähren Einblicke in die Baubranche, die als besonders anfällig für Schiebereien gilt. Sie zeigen, wie hart sich Firmen tun, die sauber wirtschaften wollen. Und sie dokumentieren, wie schwierig der Kampf gegen offenkundige Manipulationen ist. Manchmal muss Kommissar Zufall helfen.

Brisante Plaudereien

Am 15. Mai 2008 waren in München Vertreter mehrerer Firmen zusammengekommen, die gemeinsam einen Streckenabschnitt von München in den Landkreis Dachau gebaut hatten. Der Auftrag über 260 Millionen Euro war 2002 erteilt worden. Das Konsortium, das den Zuschlag erhielt, war aus den Bietergemeinschaften (Biege) Papenburg und Walter Bau entstanden, die ursprünglich gegeneinander und gegen andere Bewerber um den Auftrag konkurriert hatten.

Nunmehr, da die ICE-Strecke fertig war, stritt man über Verluste in Millionenhöhe bei dem Projekt. Vorwürfe gingen hin und her. Einem Vertreter der Biege Papenburg soll der Kragen geplatzt sein. Er soll ausgeplaudert haben, seine Biege habe vor der Auftragsvergabe Kenntnis vom Angebot der Biege Walter Bau erhalten. Um mit dieser Offerte mithalten zu können und bei dem Auftrag berücksichtigt zu werden, habe die Biege Papenburg rasch noch einen Nachlass von 30 Millionen Euro gewähren müssen. Dadurch habe man heute "so einen schlechten Preis". Ein anderer Vertreter der Biege Papenburg soll bei dem Treffen im Mai 2008 aufgeschreckt gesagt haben, hoffentlich seien alle Handys ausgeschaltet, damit "kein Unbefugter" etwas mitbekomme.

Geschäftsführer Jürgen Luthardt von der Berliner Firma Metz, der mit am Tisch saß, war empört. Luthardt schimpfte, jetzt sei ihm klar, warum die Biege Papenburg am Ende der Ausschreibung plötzlich ganz knapp vor der Biege Walter Bau gelegen habe. Metz war Teil der Biege Walter Bau, die den Großauftrag gerne für sich alleine gehabt hätte. Luthardt schrieb auf, was bei dem Treffen im Mai 2008 gesagt worden sein soll. Seine Firma Metz schaltete die Staatsanwaltschaft ein. Und die ermittelt nun.

"Keine Zukunftsperspektiven"

Die Metz-Gruppe, die an vielen Strecken Signalanlagen errichtet hat, kapitulierte kurz darauf. Luthardt schrieb an den damaligen Bahn-Chef Hartmut Mehdorn, er könne "keine Zukunftsperspektiven im Bahngeschäft mehr erkennen". Der Metz-Manager verwies auf den Ärger, den man mit der ICE-Trasse München-Nürnberg habe. Die Metz-Gruppe verkaufte ihre Anlagentechnik an einen irakischen Investor, der mit all dem nichts zu tun haben will. Die Bahn müht sich bislang vergeblich, Licht ins Dunkel zu bringen.

Bereits kurz nach der Auftragsvergabe für die ICE-Strecke München-Nürnberg im Jahr 2002 war die Konzernrevision ersten Verdachtsmomenten nachgegangen. Als die bahneigenen Fahnder zuschlagen wollten, waren die Unterlagen weg. Ein Manager im Projektzentrum Nürnberg hatte zusammen mit zwei Kollegen 35 Ordner zum betreffenden Trassenabschnitt verschwinden lassen. Auch die Staatsanwaltschaft Hannover, die seinerzeit schon wegen mutmaßlicher Unregelmäßigkeiten in Bayern ermittelt hatte, musste kapitulieren. Abgehörte Telefonate durften nicht als Beweise verwendet werden.

Anlass für die Abhörmaßnahmen waren fragwürdige Machenschaften beim Ausbau der ICE-Strecke Hannover-Berlin gewesen, denen die Staatsanwaltschaft Hannover nachging (und die damals auch nach Bayern zur ICE-Strecke München-Nürnberg führten). Frühere Mitarbeiter von Papenburg sollen einen langjährigen DB-Ingenieur geschmiert haben, um für die Trasse nach Berlin überhöhte Rechnungen stellen zu können.

"Überlange Verfahrensdauer"

Das Landgericht Hildesheim hat Ex-Beschäftigte von Bahn und Papenburg wegen Betrug beziehungsweise Beihilfe verurteilt, gegen Papenburg wurden 100.000 Euro Geldbuße verhängt. Wegen "überlanger Verfahrensdauer" wurde je ein Viertel der Strafen und Bußen erlassen. Die Verurteilten haben den Bundesgerichtshof angerufen, das Urteil von Hildesheim ist nicht rechtskräftig.

Die Sache zieht sich schon zehn Jahre hin. Bahn und Papenburg verklagen sich gegenseitig auf Schadenersatz und Löhne in Millionenhöhe. Auch über eine Auftragssperre der Bahn für die Baufirma wird bei Gericht gestritten. Papenburg betont, man sich von den betreffenden Mitarbeitern schon vor langem getrennt. Gegen heutige Verantwortliche der Firma gebe es keine Vorwürfe. Die Bahn tut sich schwer, in Justizkreisen wünscht man sich mehr Engagement von ihr.

Bei dem Ermittlungsverfahren in München ist unsicher, ob es zu einer Anklage kommt. Die Sache könnte verjährt sein. Außerdem sagt ein Firmenanwalt von Papenburg, die angeblichen Aussagen bei der Besprechung im Mai 2008 über mögliche Manipulationen seien "so nicht gefallen". Vielleicht habe einer der Sitzungsteilnehmer ja einen Scherz gemacht.

© SZ vom 23.03.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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