Autohersteller Gaz:Befehl 435

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In Nischnij Nowgorod, der Heimat von Gaz, glauben nicht viele, dass es zur Zusammenarbeit mit Opel kommt. Nur offen sagt das keiner. Ein Besuch in einer Stadt zwischen Hoffnung und Resignation.

Sonja Zekri

Im Grunde wird das Auto ja überschätzt. Es stinkt und macht Dreck, und die Städte ersticken in Staus. "Die Menschen sollten Fahrrad fahren und die Regierung könnte von mir aus den Hubschrauber nehmen", sagt Alexander Jurkow. Er, 75 Jahre und Künstler, hat nie ein Auto besessen. Auf einem Bild zeigt er einen Kleinwagen. Er weiß nicht mal, welche Marke. Als er noch Bühnenbildner war, hat er für den Kulturpalast des Gorki Automobilwerks - kurz Gaz - Szenen entworfen. Nachdem die Werktätigen den Wolga zusammengeschraubt hatten, die dampfergroße Tschaika (Möwe) oder den triumphalen buckeligen Pobeda (Sieg) erholten sie sich bei Gorki und Ostrowskij.

Autoproduktion bei Gaz im russischen Nischnij Nowgorod. (Foto: Foto: Reuters)

Dass Gaz heute pleite ist, dass der Betrieb umgerechnet eine Milliarde Euro Schulden hat und die angepeilte Zusammenarbeit mit Opel als letzte Rettung gilt, Jurkow hat es gehört: "Schade um die Arbeitsplätze, ansonsten: verzichtbar." Er macht Bilder aus Blättern, die er in Fitzel schneidet und zusammensetzt: "Die Technik hab ich entwickelt. Das Material kostet nichts, und die eingeschränkte Farbpalette ist eine Inspiration."

Mit seiner Auto-Feindschaft steht Alexander Jurkow allerdings ziemlich allein da. Für die Arbeiter, die zum Schichtwechsel aus dem Gaz-Werk strömen durch das granitene Tor mit dem Gazellen-Logo obendrauf und den Lenin-Medaillen darunter, für diese Arbeiter sind Autos das Leben.

Erbärmliche Auftragslage

Olga Serebnikowa (Name geändert, d.Red.) zum Beispiel, arbeitet in der Gießerei, einem der wenigen profitablen Zweige von Gaz, und trotzdem seit Januar nur drei Tage in der Woche, so wie alle. Olga verdient nur noch halb so viel wie früher, hat den Urlaub gestrichen, Reparaturen verschoben, beschränkt sich aufs Essen und Arbeiten: "Anders als in den Neunzigern kriegen wir wenigstens unser Geld", sagt sie ergeben.

40.000 Menschen arbeiteten bei Gaz in Nischnij Nowgorod. Allein von September bis Mai wurden 10.700 entlassen. Bis Juli hat der Betrieb 8000 weitere Kündigungen angemeldet. Zur gesamten Gaz-Gruppe gehören 116.000 Mitarbeiter, die das Management auf die Hälfte verringern will. Die Zeitschrift Trud zählte den Konzern zu den fünf größten Rausschmeißern weltweit. Es gibt Umschulungsprogramme. Durch Arbeiten für die Kommune können sich die Kurzarbeiter ein paar Rubel dazuzuverdienen. Trotzdem sagt Olga: "Wie soll die Stimmung schon sein? Erbärmlich."

Die Auftragslage ist es auch. Im ersten Quartal ist die Nachfrage nach Gaz-Modellen im Vergleich zum Vorjahr um mehr als 60 Prozent eingebrochen. Mit großer Geste hatte der Betrieb im vergangenen Jahr die neuen Produktionsstraßen für den Wolga Siber in Betrieb genommen, einen russifizierten Chrysler Sebring, der den über Jahrzehnte nur minimal modifizierten Wolga ablösen sollte.

In zwei Jahren war die gesamte Fertigungsstraße in Michigan abmontiert und an der Wolga wieder aufgebaut worden, für 210 Millionen Euro. Den "Siber" wollte trotzdem keiner. Zu teuer, sagen viele. Seit März stehen die Bänder still. Nicht mal die Nutzfahrzeugsparte, mit der Gaz sonst Gewinne macht, prosperiert noch. Im Mai wurde die Produktion des Transporters Maxus eingestellt, die bankrotte britische Lastwagenfirma LDV will Gaz gerade wieder loswerden.

Selbst der Verkaufsschlager Gazelle, der billige Minibus, auf dem der Nahverkehr ganzer Städte in Russland ruht, ist keine sichere Bank mehr. "Das Gesundheitsministerium wollte Ambulanzen kaufen, aber die Gazelle war ihnen plötzlich nicht mehr gut genug", sagt Olga. Und? "In der Gießerei wird dauernd modernisiert. Aber insgesamt, na ja, wir hinken schon hinterher."

Was alt ist und was neu bei Gaz, ist ein Thema in Nischnij Nowgorod, aber auch in Rüsselsheim und Berlin. Sollte das Konsortium aus der russischen Sberbank, General Motors (je 35 Prozent), Magna (20 Prozent) und den Opelarbeitern (10 Prozent) tatsächlich ins Leben treten, könnte Gaz "Industriepartner" von Opel werden, könnten in Nischnij Nowgorod Opel montiert werden.

Geht das? Ist Gaz Opel-fähig?

"Wenn Sie die Marke Opel ruinieren wollen, natürlich", sagt der Schlosser Sergej Markow (Name geändert, d. Red.) böse. Sein Vater hat bei Gaz gearbeitet, Sergej besitzt sogar noch Gaz-Aktien, aber nach den Erfahrungen mit Chrysler ist er vorsichtig geworden: "Möglicherweise fallen wir zweimal in dasselbe Grab." Andere nennen Gaz ein "Industriemuseum des 20. Jahrhunderts", in dem die Verfallsstadien einer veralteten Technik zu besichtigen sind.

Bröckelnde Fassaden

Gaz hingegen schwört, dass die schönen neuen Siber-Bänder in neun Monaten 160.000 Opel pro Jahr ausspucken können. Bevor die Krise anrollte, war Russland drauf und dran, Deutschland in Europa als Autokäufer Nr. 1 zu überholen. Magna träumt von einem Marktanteil für Opel von 20 Prozent in Russland, das Siebenfache des derzeitigen. Unabhängige Beobachter loben die Modernisierungserfolge. "In der russischen Autoindustrie ist Gaz am weitesten entwickelt", sagt Dmitrij Scharowatow, Berater bei der Consultingfirma Simon-Kucher & Partner: "Die Siber-Anlagen sind qualitativ hochwertig. Das Potenzial für die Zusammenarbeit mit Opel ist da."

Ob das stimmt, ob die gigantische Autostadt mit ihren bröckelnden Fassaden und patriotischen Mosaiken, mit dem silbernen Lenin und dem rührend verstaubten Museum zumindest innen das Zeug zur Marktreife hat, davon würde man sich gern selbst überzeugen. Aber bis die Verträge unterschrieben sind, lässt Gaz- Großaktionär Oleg Deripaska keine deutschen Journalisten ins Werk. Unter den Mitarbeitern kursiert seit November "Befehl 435". "Für die Dauer der Krise" heißt es in dem Schreiben, das der SZ in Kopie vorliegt, seien alle "Anrufe und Anfragen" der Medien mit der Pressestelle abzustimmen. Gezeichnet S.G. Sanosin, der Geschäftsführer.

Gern wüsste man auch mehr über die Pläne der Sberbank. Warum redet Bank-Chef German Gref vom Verkauf der Opel-Anteile, wo er sie noch gar nicht besitzt? Und was hat er gemeint, als er von einem neuen Großunternehmen sprach aus Opel, Gaz und der maroden Lada-Schmiede Avtovas? Herr Gref aber, so teilt die Sberbank mit, habe für ein Gespräch "keine Zeit". So still die russischen Spieler die erste Runde im Opel-Poker gewonnen haben, so unauffällig wollen sie die Partie zuende bringen.

Nikolai Motrij drückt ihnen die Daumen. 36 Jahre hat er als Ingenieur bei Gaz gearbeitet, vor zwei Jahren ging er in Rente. Er hat die besten Tage miterlebt. Nischnij Nowgorod, das damals Gorkij hieß, war eine Rüstungsschmiede, eine geschlossene Stadt, aber die Gaz-Werker genossen die Rundumversorgung mit Arbeiterclubs, Krankenhäusern und Spezialgeschäften. "Nie hätte ich gedacht, dass es so weit kommen könnte", sagt Motrij heute. "Nie." Was schief gelaufen ist? Jedenfalls nichts in der Entwicklung.

Motrij selbst hat die Nischen-Erfolge mitentwickelt, den "Bobr" zum Beispiel, ein kompaktes Raupenfahrzeug, das schwimmen kann, ein Biber eben. Aber sonst? "Dutzende von Modellen haben die Ingenieure entworfen, Geländefahrzeuge, Busse, Laster, nicht einer wurde auf den Markt gebracht, alles für Ausstellungen in Moskau." Vielleicht fehlte die Nachfrage? "Nachfrage! Nachfrage! Dafür ist das Management verantwortlich, die Marktforschung, nicht wir."

Und doch, es gab Hinweise. Mitte der 90er Jahre tauchten Fiat-Konstrukteure an der Wolga auf, um eines der vielen gescheiterten Gemeinschaftsprojekte auf den Weg zu bringen. Verblüfft stellte Motrij fest, dass die Italiener autofahren konnten: "Sie wussten, wo alles ist und wie man es bedient. Unsere Ingenieure konnten sich damals kein Auto leisten." Heute schwankt er zwischen Ingenieurstolz und den Fakten: "Man muss das ABS nicht neu erfinden. Wir sollten Lizenzen anderer Modelle kaufen, um zu überleben, und gleichzeitig etwas Neues entwickeln", sagt er: "Die Zusammenarbeit mit Opel ist eine gute Idee."

Außerdem ist sie Staatsraison. In der russischen Autoindustrie arbeiten 1,5 Millionen, mit Zuliefern drei Millionen Menschen. Mit höheren Importzöllen und Kreditzuschüssen für Kleinwagen will Premierminister Wladimir Putin den siechen Betrieben neues Leben einhauchen. Der Opel-Deal ist Herzenssache für ihn.

Der Flugzeugbau - strategisch wichtiger

Für andere nicht unbedingt. Der Soziologe Alexander Prudnik hat für die Stiftung Offene Soziologie eine Umfrage in Nischnij Nowgorod gemacht und seitdem einen Haufen Ärger. Nur 36 Prozent der Befragten hielten die Montage von Opel-Modellen für eine "gute Idee". Und 53 Prozent sahen nur einen Ausweg für Gaz: die Verstaatlichung. Das Gaz-Management tobte. "Sie haben mir den Staatsanwalt auf den Hals gehetzt", kichert Prudnik. "Er soll prüfen, was wir für eine Stiftung sind und ob wir Steuern zahlen." Hinter der Studie stehe der Konkurrent Severstal , heißt es, oder die Partei "Einiges Russland". Letzteres wäre ein wenig schizophren, denn Putin ist Parteivorsitzender, da wäre ihm sein eigener Ortsverband in den Rücken gefallen. Prudnik weist alle Vorwürfe von sich, hält aber eine Verstaatlichung ebenso für das Beste wie Wladimir Koltschin.

Koltschin ist Vize-Bürgermeister und weiß, was Gaz für die Stadt bedeutet. Zwar hängt der Haushalt nicht mehr zu 70 Prozent von Gaz ab wie früher, das Gaz-Heizkraftwerk ist sogar rentabel. Die Unternehmensteuern fließen in die Region oder nach Moskau. Dennoch sind die Steuern der Gaz-Arbeiter für das Budget wichtig. Die Stadt muss für die Arbeitslosen aufkommen, dazu der Schaden für die Zulieferer: "Eine Pleite wäre sehr, sehr ernst." Dass Gaz die "Wiederbelebung" alleine schafft, glaubt auch er nicht. "Ohne Staatshilfe stirbt die russische Autoindustrie."

Und wenn? Warum muss Russland Autos bauen? Und warum Kleinwagen, nicht Nutzfahrzeuge? Für die Sowjetunion war die Raumfahrt wichtiger als die Autoindustrie. Noch heute halten viele den Flugzeugbau für strategisch bedeutsamer. Auch in Russland diskutieren die Kühnsten inzwischen ein Leben ohne Lada. Der Autojournalist Sergej Aslanjan bemerkte, andere Länder mit exzellenter technischer Reputation hätten ja auch keine eigene Automarke. Zum Beispiel die Schweiz.

© SZ vom 27.06.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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