Aufruhr in Iran:Gewalt und Gegengewalt Internet

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Dank des Internets hat die iranische Opposition die Deutungshoheit über die jüngsten Proteste gegen die Staatsführung gewonnen.

Johannes Kuhn

Eine Szene irgendwo in Teheran, irgendwann am 27. Dezember.

Demonstranten in Iran: Der Protest hat eine neue Eskalationsstufe erreicht (Foto: Foto: AFP)

Aufgebrachte Demonstranten sind zu sehen, sie drängen Polizisten zusammen. Vor einem grünen Tor stehen sie dicht beisammen, sie haben die schwarzen Helme gesenkt. Es gibt kein Entrinnen.

"Warum tut ihr das eurem Volk an?", brüllen die Oppositionellen. Eine junge Frau herrscht die Beamten an, sie kreischt: "Das Einzige was ihr könnt, ist, Menschen umzubringen, oder?"

Ein Polizist hat seinen Helm verloren, die Angst ist ihm ins blutende Gesicht geschrieben. "Wir sind keine Killer", versichert er, "bitte, wir sind keine Killer".

Die Frau gibt sich ungerührt, sie schleudert ihm entgegen: "Bist Du nur auf Deinem Motorrad stark, Du Stückchen Scheiße?"

Ein Tumult beginnt, die Kamera wackelt, dann bricht die Aufnahme ab.

Deutungshoheit über das Netz

Das YouTube-Video eines Amateurfilmers ist nicht das einzige verstörende Dokument der jüngsten Proteste in Iran.

Über Facebook, YouTube und Twitter verbreiten Oppositionelle Nachrichten und Bilder der Demonstrationen, bei denen mehrere Menschen ums Leben gekommen sind.

Auf einer Facebook-Seite sind mehr als 150 Fotos zu finden: Sie zeigen Straßenschlachten, blutüberströmte Zivilisten, einen Polizisten, wie er offenbar eine junge Frau tritt, vermummte Demonstranten, die zwei Finger zum Siegeszeichen recken.

Der Protest hat eine neue Eskalationsstufe erreicht. Längst macht das Wort von der " iranischen Intifada" die Runde.

Blogger wie der im Londoner Exil lebende Mehdi Saharkhiz laden immer wieder neue Videos und Fotos von den Demonstrationen hoch, bereits kurz nach der Ermordung des Neffen von Oppositionsführer Mussawi meldete sich der iranische Filmemacher Mohsen Makhmalbaf auf seiner Webseite mit schweren Vorwürfen zu Wort: Demnach erhielt Mussawis Neffe "in den vergangenen Tagen Drohanrufe, dass er umgebracht werden würde".

Makhmalbaf beschreibt die Tat als gezielte Erschießung - sollte die Regierung damit in Verbindung gebracht werden, könnte dies verheerende Konsequenzen haben, wie der amerikanische Geschichtswissenschaftler Juan Cole anmerkt: Mussawi gilt als Sayyid, ein Nachkomme des Mohammed-Enkels Hussein.

Ihn zu ermorden wäre eines der größtmöglichen Verbrechen, das auch gemäßigte Schiiten auf die Barrikaden treiben könnte. Dass seine Leiche verschwunden ist, wird im Netz bereits als Versuch der Regierung interpretiert, die Tat zu vertuschen.

Wenn die Deutungshoheit über die Ereignisse im Internet gewonnen wird, hat zumindest auf internationaler Bühne die iranische Regierung bereits verloren: Press-TV, dem englischsprachigen Staatsfernsehen Irans, sind die Demonstrationen nur eine Randnotiz wert - es wirkt bei den Bildern, die nur wenige Klicks weiter zu sehen sind, wie purer Hohn.

Auch an diesem Montag gehen die Proteste der Regierungskritiker im Iran offenbar weiter. Bereits am Sonntag gab es Tote bei Demonstrationen, hunderte Oppositionsanhänger wurden festgenommen. Weitere Videos finden Sie hier

Bei "sporadischen Protesten" in Teheran seien acht Menschen ums Leben gekommen, heißt es, die meisten bei Unfällen. Selbst die anti-israelischen Demonstrationen im fernen New York werden prominenter platziert.

Die ausgewählten Nutzerkommentare, die unter der Meldung platziert werden, verurteilen die Demonstranten einhellig: "Die meisten Getöteten fielen von einer Brücke oder rannten in ein Fahrzeug", schreibt einer und zieht als Fazit: "Das zeigt, wie chaotisch und unorganisiert diese Krawallmacher sind. Märtyrer stolpern nicht über ihre Schnürsenkel oder werden vom Bus überfahren."

Stümperhafte Propaganda

Trotz der Stümperhaftigkeit, mit der die iranische Regierung ihre Sicht der Dinge verkauft, bleibt unklar, wie stark die Oppositionsbewegung tatsächlich ist.

Auf den Bildern der Demonstrationen zur Beerdigung des zur Opposition zählenden Großayatollahs Hussein Ali Montazari waren viele Ältere zu sehen - eine Gruppe, die sich bei den Demonstrationen im Juni noch zurückgehalten hatten. Dies wäre ein Indiz, dass sich der Protest ausweitet.

Gleichzeitig stellten sich Gerüchte über einen Generalstreik an diesem Montag, an dem sich ein Großteil der Bevölkerung beteiligen würde, als Wunschdenken heraus.

Augenzeugenberichten zufolge ging ein Großteil der brutalen Gewalt von paramilitärischen Einheiten aus, die sich aus Freiwilligen rekrutiert.

Da allerdings auch Videos existieren, auf denen diese Milizionäre verprügelt werden, dürften die Staatsmedien diese sehr bald einsetzen, um die Demonstranten der Öffentlichkeit als terroristische Krawallmacher zu präsentieren. Zudem ist unklar, wie groß der Teil der Demonstranten ist, der nach den jüngsten Gewaltausbrüchen weiterhin bereit ist, auf die Straße zu gehen.

Noch ist unklar, wie sich die Oppositionsführer Mir Hussein Mussawi und Mehdi Karrubi zu den radikalen Forderungen der Demonstranten nach Regimewechsel stellen. Karrubi kritisiert zumindest das harte Zuschlagen des Regimes und wirft diesem vor, die Tötung der Demonstranten befohlen zu haben: "Was ist mit diesem religiösen System passiert, dass es die Tötung von Unschuldigen am Heiligen Tag von Aschura befiehlt?", schreibt er in einer Erklärung, die er bezeichnenderweise via Internet veröffentlichte.

Verhaftungen, die kontraproduktiv wirken könnten

Inzwischen ist von einer neuen Verhaftungswelle die Rede. Vertraute Mussawis und Karrubis seien festgesetzt worden. Ein Mitarbeiter des persischen Dienstes der Deutschen Welle berichtet, dass fast alle Kontaktpersonen des Senders festgenommen worden oder untergetaucht seien.

Auch die Versuche von sueddeutsche, den engen Verwandten eines ranghohen Oppositionspolitikers telefonisch zu erreichen, schlagen fehl.

Dennoch könnten das Regime sich mit den Verhaftungen ins eigene Fleisch schneiden, die Opposition ein weiteres Mal einen und damit schon in wenigen Stunden oder Tagen den nächsten Proteststurm entfachen.

Über Twitter werden weiterhin Informationen weitergegeben, wie iranische Internetnutzer auf von der Staatsmacht gesperrte Seiten zugreifen können. Schon bald könnten hier neue Versammlungsorte für spontane Proteste genannt werden.

Dass es dabei friedlich bleiben wird, glaubt derzeit niemand.

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