Atomenergie:Industrie von gestern, vom Staat finanziert

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In Deutschland ist der Streit um die Kernkraft beigelegt, in der EU lebt er wieder auf: In Brüssel hat Großbritannien einen eigenen Einspeisetarif für Atomenergie durchgesetzt. Nichts belegt die Unsinnigkeit dieser Subvention mehr als die Subvention selbst.

Kommentar von Michael Bauchmüller

Frankreichs Atomperle geht es gar nicht gut. 4,8 Milliarden Euro Verlust, so wurde am Mittwoch offiziell bekannt, hat Areva im vorigen Jahr gemacht. Einst schwamm das Unternehmen im Geld, noch heute ist es der größte Nuklearkonzern der Welt. Jetzt aber tüftelt die Konzernspitze an einem milliardenschweren Sparprogramm, und Staatspräsident François Hollande persönlich schaltet sich ein: Der Energiekonzern EDF soll sich an der Rettung von Areva beteiligen. So weit ist es gekommen.

Nicht allein Fukushima ist schuld. Im März 2011 bereitete das Atomunglück in Japan allen Hoffnungen auf eine Renaissance der Kernenergie ein jähes Ende. Seither laufen die Geschäfte deutlich schlechter, selbst im atomfreundlichen Frankreich. Den Rest aber erledigte die Industrie selbst: Etwa mit dem vor zehn Jahren begonnenen Bau des finnischen Atomkraftwerks Olkiluoto. Schon 2009 sollte Finnlands fünftes AKW ans Netz gehen, doch Schwierigkeiten beim Bau und neue Auflagen verzögerten die Arbeiten Jahr um Jahr. Derzeit rechnet Areva mit einer Fertigstellung nicht vor 2018. Im französischen Flamanville, wo der gleiche Typ entstehen soll, sieht es nicht viel besser aus: 2012 sollte er ursprünglich ans Netz gehen, jetzt wird es 2017. Die Atomindustrie könnte sich in Europa peu à peu selbst erledigen - wären da nicht die Briten.

Der Vorwurf: Atom-Subventionen verzerren den europäischen Wettbewerb

In Brüssel hat Großbritannien im vorigen Herbst einen eigenen Einspeisetarif für Atomenergie durchgesetzt, er soll Reaktor-Neubauten attraktiv machen. Betreiber sollen künftig umgerechnet 12 Cent je Kilowattstunde Atomstrom bekommen; das ist mehr, als ein deutscher Windmüller über das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) ausbezahlt bekommt. Subventionen für Atomenergie dort, Subventionen für Ökostrom hier - so weit liegen die Europäer auseinander. Österreich will gegen die britische Subvention klagen und riskiert dafür seine guten Beziehungen zu London. Am Donnerstag machte auch der deutsche Wirtschaftsminister Rabatz: Eine Förderung der Atomenergie aus öffentlichen Mitteln halte er "für absolut ausgeschlossen", sagte Sigmar Gabriel in Brüssel. Der deutsche Ökostrom-Anbieter Greenpeace Energy bereitet eine Klage gegen die EU-Kommission vor: Die Subvention verzerre den Strom-Wettbewerb in Europa. In Deutschland ist der Streit um die Kernkraft beigelegt, in der EU aber lebt er gerade wieder auf.

Doch nichts belegt die Unsinnigkeit einer Atom-Subvention besser als die Subvention selbst: Sie entlarvt, dass sich ein neues Kernkraftwerk am Markt nicht mehr refinanzieren lässt. Genau hier liegt auch der entscheidende Unterschied zu den deutschen Einspeisetarifen, auf die sich London so gern berief: Während diese der Einführung neuer Technologien galten und deshalb mit der Zeit sinken können, soll mit dem Briten-Tarif eine längst etablierte Technologie finanziert werden - eine, für die Unternehmen offenbar das nötige Kapital nicht mehr ohne Weiteres einsammeln können oder wollen. Die Zahl der weltweit betriebenen Atomkraftwerke stagniert seit 25 Jahren.

Staatliche Hilfen sind für diese Industrie nichts Neues. Seit jeher ist sie darauf angewiesen, und sei es, um die Haftung für die unvorstellbaren Kosten eines Atomunfalls zu deckeln. Selten aber wurde die Kernkraft, völlig ungeachtet ihrer Risiken und Ewigkeits-Abfälle, so unverblümt und großzügig unterstützt wie nun im Mutterland des Liberalismus.

Die Briten hätten vom deutschen EEG mehr lernen können

Nur hätten die Briten vom deutschen EEG mehr lernen können als nur den Mechanismus. Etwa, dass die Kosten für die Stromkunden nicht nur von der Höhe der Einspeisvergütung abhängen - sondern auch davon, wie teuer sich der Strom an der Börse verkaufen lässt. Überall in Europa sind die Strompreise zuletzt gefallen, entsprechend viel müssen auch britische Stromkunden draufzahlen, damit die Kernkraft-Betreiber ihre 12 Cent bekommen. Ob es bei den 22 Milliarden Euro bleibt, die bisher für die Stützung zweier neuer Reaktoren eingeplant sind - keiner weiß es. Und weil der AKW-Tarif für 35 Jahre garantiert ist, darf auch noch die nächste Generation Stromkunden mitzahlen. Wie sich einmal zugesagte Einspeisevergütungen über die Jahre auf Milliardenbeträge ansammeln können, auch das hätte man in Deutschland studieren können. Nur entsteht hierzulande daraus eine Zukunft, in Großbritannien hingegen eine Vergangenheit, die für die Zukunft vor allem Lasten bereithält.

Einer freilich hätte Freude an der Milliardenhilfe: Areva. Der angeschlagene Konzern soll das erste neue AKW auf der Insel errichten, Hinkley Point C. Die Fertigstellung ist für das Jahr 2023 geplant. Aber Vorsicht: Es ist das gleiche Modell wie in Olkiluoto und Flamanville.

© SZ vom 06.03.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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