Mit dem schwarz-gelben Atomausstieg ist das Ende der Kernkraft in Deutschland beschlossene Sache. Doch was passiert jetzt mit den Atomkraftwerken? Ihnen droht das Schicksal des Meilers Rheinsberg in Brandenburg: der Rückbau. Seit 16 Jahren nehmen Techniker ihn auseinander. Ein Atomkraftwerk in Betrieb zu nehmen, geht wesentlich schneller als es wieder loszuwerden. Das zeigt das Beispiel des Kraftwerkes Rheinsberg im Norden Brandenburgs: Innrhalb von sechs Jahren wurde es zu DDR-Zeiten aufgebaut - der Rückbau dauert nun schon 16 Jahre. Rheinsberg war einst das erste Kernkraftwerk, das in der DDR in Betrieb genommen wurde. Hier wurde seit 1966 Energie erzeugt, geforscht und Nuklearpersonal ausgebildet. Kurz vor der Wiedervereinigung wurde es abgeschaltet - Zweifel an der Sicherheit waren aufgekommen. Seit 1995 läuft der Rückbau, 2014 soll er beendet sein. Der Kontrollraum ist heute verwaist. Die meisten Instrumente werden nicht mehr gebraucht, sie sind mit weißem Papier abgedeckt.
Wo fast 24 Jahre lang Energie für den Arbeiter-und-Bauern-Staat erzeugt wurde, klafft heute ein Loch. Der mehr als 100 Tonnen schwere Reaktordruckbehälter wurde ausgebaut und 2007 in einem Stück mit dem Zug ins Zwischenlager Nord im vorpommerschen Lubmin gebracht. Nachdem Rheinsberg 1990 vom Netz ging, dauerte es noch fünf Jahre, bis der Rückbau beginnen konnte. Die radioaktiven Brennstäbe mussten erst abklingen.
Auch 21 Jahre nach dem Abschalten müssen Arbeiter in Teilen der Anlage noch Schutzkleidung tragen - wegen möglicher radioaktiver Strahlung. In Fässern gelagert warten laut brandenburgischem Umweltministerium noch mehr als 2000 Tonnen nuklearer Abfälle auf ihren Abtransport.
Ursprünglich sollte der Rückbau 420 Millionen Euro kosten, es dürften aber 560 Millionen werden. Jörg Möller von den Energiewerken Nord, die für den Rückbau zuständig sind, nennt im Gespräch mit sueddeutsche.de den Hauptgrund: Es gibt immer noch kein atomares Endlager. Der Schacht Konrad bei Braunschweig wird auch in den kommenden Jahren noch nicht bereit sein, Atommüll aufzunehmen. Deshalb muss das kontaminierte Material aus Rheinsberg teuer im Lager Lubmin am dortigen ehemaligen AKW Greifswald in Mecklenburg-Vorpommern zwischengelagert werden. Ein zweiter Grund für die Erhöhung der Kosten ist laut Möller, dass bei der Kalkulation keine steigenden Energie- und Arbeitskosten mit einberechnet wurden. Mit dem Rückbau von Atomkraftwerken hatte man damals einfach noch keine Erfahrung, sagt er: "Wir standen als Pioniere da."
Die heutigen AKW-Betreiber können auf die Hilfe der "Pioniere" allerdings nicht setzen. Spezialfirmen wie die Energiewerke Nord sind mit den bereits laufenden Arbeiten ausgelastet. Immerhin: Die Atomkonzerne haben Geld für den Rückbau der Kernkraftwerke zurückgelegt - wozu sie auch gesetzlich gezwungen sind. Ihre Rückstellungen betrugen Ende 2010 knapp 28,7 Milliarden Euro.
Das Kontrollpult einer elektronischen Seilwinde im KKW Rheinsberg: Arbeiter bauen die Anlage Stück für Stück ab. Die Alternative zum Rückbau ist der sogenannte sichere Einschluss. Dabei wird das Atomkraftwerk umgebaut und versiegelt. "Versiegeln, 30 Jahre warten, entsorgen", fasst Techniker Möller diese Variante zusammen, die noch in den achtziger Jahren als bevorzugte Art der Stilllegung galt. Allerdings habe sich der sofortige Rückbau wie in Rheinsberg als die bessere Option erwiesen: "Das ist einfach die günstigere Lösung", sagt Möller. Er glaubt, dass auch die im Zuge des Atomausstiegs abgeschalteten AKW direkt demontiert werden.
In Rheinsberg muss über die Jahre insgesamt eine Masse von 330.000 Tonnen Material abgebaut werden. Davon sind 40.000 Tonnen radioaktiv verseucht.
Gekühlt wurden die Brennelemente in Rheinsberg mit Wasser aus dem Nehmitzsee. Was nach dem Ende des Rückbaus und der Entsorgung aller radioaktiver Bauteile mit dem Gelände geschehen soll, ist unklar.
Der Rückbau der deutschen Kraftwerke wird die Republik noch Jahrzehnte beschäftigen: Das Kernkraftwerk Würgassen in Nordrhein-Westfalen beispielsweise wurde 1997 endgültig stillgelegt, die Arbeiten sollen nach Angaben eines Sprechers des Betreibers Eon Kernkraft aber noch bis 2014 dauern. In Stade sollen 2015 die letzten Gebäude abgerissen werden. In Obrigheim sind zehn Jahre vorgesehen. Dazu kommen jene Meiler, die im Zuge des Atomausstiegs bereits abgeschaltet sind oder in den nächsten Jahren vom Netz gehen. Auch in Rheinsberg wird der Rückbau noch drei Jahre weitergehen: Der Kontrollraum, in dem die Ingenieure einst die Energieerzeugung überwachten, dient heute hauptsächlich dazu, Papierkram auszufüllen.