Armutsbericht des Paritätischen Wohlfahrtsverbands:Wer von unten kommt, bleibt unten

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Armut auf der Straße: Fast jeder Siebte gilt in  Deutschland als armutsgefährdet. (Foto: dpa)

Fast jeder Siebte gilt in Deutschland als armutsgefährdet, im Land des Jobwunders blieben Millionen vom Aufschwung der vergangenen drei Jahre abgehängt. Was also tun? Hartz IV und das Wohngeld erhöhen? Das böte einen völlig falschen Anreiz.

Ein Kommentar von Thomas Öchsner

Deutschland ist eine der reichsten Nationen der Welt. Trotzdem wird hier derzeit so häufig und heftig über Armut diskutiert, als herrschten hier Zustände wie in Haiti oder Bangladesch. Tatsächlich gibt es in der Bundesrepublik im europäischen Vergleich verhältnismäßig wenig Menschen, die zum Überleben die Hilfe des Staates brauchen.

Man muss deshalb nicht alles schönreden, so wie es das vom FDP-Chef Philipp Rösler geführte Wirtschaftsministerium mit peinlichen Korrekturen im Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung versucht hat. Man muss allerdings auch nicht die Lage ständig dramatisieren, wozu Sozialverbände und Opposition gerne neigen.

Der Befund, den der Paritätische Wohlfahrtsverband jetzt vorgelegt hat, ist eindeutig: Fast jeder Siebte ist von Armut gefährdet. Diese Menschen gelten als arm, weil sie weniger als die Hälfte des mittleren Nettoeinkommens eines Haushalts ihrer Größe zur Verfügung haben; oder sie sind nicht weit davon entfernt. Dieser Wert ist seit Jahren stabil, 2011 sogar gestiegen. Das zeigt: Im Land des Jobwunders blieben Millionen vom Aufschwung der vergangenen drei Jahre abgehängt.

Arm sind 2012 nicht die Alten. Über 65-Jährige, die zum Sozialamt müssen, sind - noch - eine absolute Minderheit. Arm sind eher die Jungen, vor allem Kinder von Alleinerziehenden und Migranten. Bei ihnen und ihren Eltern ist das Risiko, "hartzen" zu müssen, besonders hoch. Das zeigt schon, wie vielfältig die Gründe für Armut sind.

Niedriglöhner ohne Aufstiegschancen

Armut entsteht, weil es zum Beispiel immer mehr Single-Haushalte gibt, in denen sich nicht so effizient wirtschaften lässt, als wenn sich Fixkosten wie Miete auf zwei Menschen verteilen. Sie ist darauf zurückzuführen, dass vor allem solche Zuwanderer ins Land kommen, die Sozialforscher als "bildungsfern" bezeichnen - mit entsprechend schlechten Chancen am Arbeitsmarkt. Hinzu kommt die Umverteilung von unten nach oben, die im vergangenen Jahrzehnt stattgefunden hat. Sozialleistungen wurden gekürzt, während Spitzenverdiener weniger Steuern zahlen müssen.

Gewiss, es gibt zwei Millionen Arbeitslose weniger. Doch viele Jobs sind mittlerweile so schlecht bezahlt, dass Niedriglöhner ebenfalls in die von Armut gefährdete Gruppe rutschen können, ohne große Chancen, nach oben aufzusteigen. Das Schlimmste an diesem Phänomen ist: Armut wird weitervererbt. Wer von unten kommt und unten ist, bleibt meist unten.

Was also tun? Hartz IV und das Wohngeld erhöhen? Eine Mindestrente einführen? Das würde den Anreiz zur Arbeit senken und Milliarden kosten, ohne das Übel an der Wurzel zu packen. Der Schlüssel im Kampf gegen Armut ist mehr Bildung. Bund und Länder sollten Milliarden in mehr und bessere Kitas, Kindergärten und Ganztagsschulen stecken, weil diejenigen ohne Abschluss oder mit miesen Qualifikationen die Armen von morgen werden. Das Geld kann sich die Regierung von den Reichen holen. Sie können höhere Steuern verkraften, ohne der Armut anheimzufallen.

© SZ vom 21.12.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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