Arbeitsplätze:Die Krise trifft alle, doch die Reaktionen unterschiedlich

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Auch Beschäftigte im Londoner Finanzdistrikt sorgen sich. (Foto: Will Oliver/picture alliance)

Eilig Staatshilfen beschließen, Entlassungen einfach verbieten oder Mitarbeitern drohen: Was Regierungen und Firmen weltweit tun, um Personalkosten zu senken.

Von Leo Klimm, Alexander Mühlauer, Thomas Urban, Jürgen Schmieder und Felicitas Wilke

Die Corona-Krise trifft Beschäftigte über Branchen und Berufe hinweg: Köchinnen und Hotelangestellte, Fließbandarbeiter oder Marketingspezialistinnen. Bis Montag vergangener Woche hatten bereits 650 000 Betriebe hierzulande Kurzarbeit bei den Arbeitsagenturen angemeldet. Die Regelung ermöglicht es Betrieben, die Arbeitszeit und die Lohnkosten ihrer Beschäftigten während einer Krise vorübergehend zu senken, ohne das Personal zu entlassen. Dafür springt die Arbeitsagentur ein und übernimmt für diese Mitarbeiter einen Teil des ausgefallenen Nettogehalts. Zuletzt hat das in Deutschland während der Finanzkrise im Jahr 2009 gut geklappt. "In der Wissenschaft haben wir einen breiten Konsens, dass die Kurzarbeit damals viele Jobs gerettet hat", sagt Sebastian Link, Arbeitsmarktexperte am Münchner Ifo-Institut.

Auch andere Staaten haben ähnliche Modelle etabliert. Wie eine Übersicht der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung zeigt, haben beispielsweise auch Beschäftigte in Österreich, Dänemark, den Niederlanden oder Italien einen Anspruch auf Lohnersatz in Krisenzeiten. Wie hoch der Betrag ausfällt und wie lange er ausgezahlt wird, schwankt allerdings von Land zu Land. Tendenziell gilt: In Staaten, in denen die Beschäftigten ein vergleichsweise hohes Kurzarbeitergeld erhalten, ist es auf wenige Monate befristet. Doch nicht überall springt der Staat in die Bresche, wenn Unternehmen in eine Krise schlittern. Mancherorts müssen sie sich auch selbst Konzepte überlegen, wie sie die Personalkosten zeitweise senken können, ohne Mitarbeiter zu entlassen. Wo der Staat was tut und wie Firmen mit der Krise umgehen.

Frankreich

Gelegenheit macht Diebe. Und in Frankreich ist die Gelegenheit für viele Firmen besonders schön. Seit Beginn der Corona-Krise hat die Regierung in Paris eilig viele bürokratische Regeln für Kurzarbeit abgeschafft und außerdem den Lohnersatz auf großzügige 84 Prozent des entfallenden Netto angehoben. Nun häufen sich Berichte über Firmen, die Heimbüro und Kurzarbeit auf missbräuchliche Weise kombinieren: Manche - auch gut gehende - Unternehmen verringern das Arbeitspensum der Beschäftigten auf offiziell zehn Prozent. Oder gleich auf null. Zugleich wird den Mitarbeitern zu verstehen gegeben, dass sie 100 Prozent geben sollen. Nicht selten werde mit der Angst um den Job gespielt, beklagen Gewerkschaften. Für acht Millionen Beschäftigte haben Frankreichs Firmen schon Kurzarbeit beantragt, das entspricht mehr als einem Drittel aller Beschäftigten der Privatwirtschaft. Der Regierung zufolge wird das die Sozialkassen 20 Milliarden Euro kosten - unter der optimistischen Annahme, dass die Krise nach drei Monaten überwunden ist. "Was immer es kostet", hat Präsident Emmanuel Macron als Losung für die Corona-Bekämpfung ausgegeben. Es wird viel kosten. Leo Klimm

Großbritannien

Man tritt in der Londoner City sicher niemandem zu nahe, wenn man behauptet, dass sich dort ganz gut Geld verdienen lässt. Doch die Corona-Krise hat auch die Unternehmen in der Finanzwelt erfasst, müssen selbst jene aufs Geld schauen, die normalerweise keine finanziellen Sorgen haben. Da wäre zum Beispiel eine Londoner Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, die ihrer Belegschaft zwei Möglichkeiten eröffnete. Variante eins: Man geht für zwei Monate ins Sabbatical und erhält weiter 30 Prozent des Gehalts. Variante zwei: Man arbeitet bis Ende Mai 40 Prozent weniger, der Lohn wird dementsprechend gekürzt. Wer eines der beiden Angebote annehmen wolle, solle sich bitteschön bis Freitag zur Lunchtime melden. Dazu muss man sagen, dass diese beiden Varianten noch zu den angenehmeren Angeboten in der City gehören. Fest steht allerdings: Wer schon immer mal mit dem Gedanken liebäugelte, ein paar Monate Auszeit zu nehmen, für den bietet sich nun die Gelegenheit. In London muss man sich das allerdings erst einmal leisten können, schließlich gilt es, die nicht gerade niedrige Miete oder Kreditrate zu bezahlen. Kein Wunder, dass sich so mancher schon nach einer günstigeren Wohnung umschaut: Die Erinnerungen an die Finanzkrise in den Nullerjahren sind noch immer allgegenwärtig. Damals hatten die meisten Angestellten in der Londoner City keine Wahl. Viele von ihnen wurden einfach vor die Tür gesetzt. Ohne Sabbatical, nur mit der Hoffnung: Es geht wieder aufwärts. Irgendwann. Alexander Mühlauer

Spanien

Spanien ist in einer besonders fatalen Lage: Zum einen ist die große Wirtschaftskrise in Folge des Platzens einer gigantischen Immobilienblase vor zwölf Jahren noch längst nicht überwunden: Zwar ist im Rahmen des harten Sanierungsprogramms der bis 2018 amtierenden konservativen Regierung die Arbeitslosigkeit von der Rekordmarke von 27 Prozent auf 14 Prozent gesunken, aber die meisten neuen Arbeitsverträge sind prekär - schlecht bezahlt und zeitlich befristet. Zum anderen ist die wichtigste Branche der Tourismus, und dieser leidet am stärksten in der Corona-Krise. Da die meisten Beschäftigten der Branche nur Saisonverträge haben, kommen sie für die Kurzarbeiterregelungen nicht in Frage, sie bekommen schlicht keine neuen Verträge und werden wieder arbeitslos. In diesem März hat die Zahl der Arbeitslosen so stark zugenommen wie nie zuvor. Um die Festangestellten zu schützen, hat die Arbeitsministerin Yolanda Díaz, Mitglied des neomarxistischen Bündnisses Unidas Podemos, für sechs Monate Entlassungen schlicht verboten. Dagegen laufen nicht nur die Arbeitgeberverbände Sturm, sondern auch die Standesvertreter der Kleinbetriebe. Diese warnen vor Hunderttausenden von Insolvenzen, wenn die Kleinbetriebe weiter Lohn zahlen müssten, obwohl sie keinen Gewinn machen, weil die Umsätze krisenbedingt völlig eingebrochen sind. Die Madrider Wirtschaftspresse ist sich einig: Die Krise kommt zurück - und die regierende Linkskoalition hat kein Rezept dagegen, ganz abgesehen davon, dass der finanzpolitische Spielraum sehr begrenzt ist: Die Staatsverschuldung lag schon vor der Krise bei knapp 100 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Thomas Urban

USA

Es gibt im Silicon Valley, dem Technik-Tal an der Pazifikküste, zwei Lesarten für den Umgang mit der Pandemie. Die Investmentfirma Sequoia Capital hat bereits Anfang März ein Memo mit dem Namen "Coronavirus: The Black Swan of 2020" verschickt. Bei Punkt fünf, der Mitarbeiterzahl, heißt es, frei übersetzt: "Das könnte die Zeit sein, sich intensiv damit auseinanderzusetzen, ob man mehr mit weniger erreichen und die Produktivität steigern kann." Man muss nicht Betriebswirtschaft studiert haben, um zu wissen, was das bedeutet: "Schmeißt Leute raus!" Sequoia ist einer der mächtigsten Risikokapitalgeber im Silicon Valley, so ein Memo wird mit religiösem Eifer studiert. Es folgten: Kündigungen. Und zwar bei vielen Unternehmen. In den USA sind Entlassungen schneller möglich als in vielen anderen Ländern - weshalb es laut der Zeitschrift Fortune mittlerweile mehr arbeitslose Amerikaner gibt als jemals zuvor. Was es nicht gibt, ist ein soziales Netz, das den Sturz ins Bodenlose verhindert. Der Technologiekonzern Apple geht mit der Krise anders um und hat angekündigt, nicht nur keine Angestellten entlassen zu wollen, sondern auch freie Mitarbeiter wie Busfahrer und Hausmeister weiterhin zu bezahlen. Schon Apple-Gründer Steve Jobs hatte im Jahr 2001 gesagt: "Fast alle Konkurrenten entlassen gerade massenhaft Leute, sie kürzen und strukturieren um - aber wir werden so ziemlich das Gegenteil tun: Wir werden all diesen qualifizierten Leuten sagen: 'Sollten wir aus dieser Sache rauskommen, dann mit kreativen Innovationen." In der vergangenen Woche hatte Konzernchef Tim Cook in einem Video gesagt, dass sein Unternehmen mehr als 20 Millionen Masken hergestellt habe. Es würde nicht verwundern, wenn er in ein paar Monaten ein Produkt vorstellt, das sich die nicht entlassenen Leute während der Pandemie ausgedacht haben. Jürgen Schmieder

© SZ vom 14.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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