Arbeitsmarkt:Ein bisschen Zukunft

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Durch die Digitalisierung verändern sich viele Berufe, manche verschwinden ganz. Illustration: Jessy Asmus (Foto: Illustration Jessy Asmus)

Ein Jahr lang ist Arbeitsminister Hubertus Heil durchs Land gereist, um die Bürger nach ihren Sorgen zu fragen. Nun legt er seine Vorschläge vor.

Von Henrike Roßbach, Berlin

Der Euref-Campus im Berliner Bezirk Schöneberg nennt sich selbst einen "Zukunftsort". Mehr als 150 Unternehmen haben dort ihren Sitz, im Schatten des Gasometers, eines ehemaligen Gasbehälters und heutigen Veranstaltungsorts. Viele Start-ups sind darunter, ebenso innovative Ableger bekannter Unternehmen. Nachhaltigkeit, Energie und Mobilität sind die großen Themen, natürlich immer offensiv mit dem Label "Zukunft" versehen; von selbstfahrenden Fahrzeugen namens Olli und Emily bis zur Tatsache, dass der Campus heute schon die Klimaziele des Jahres 2050 erfüllt. Es ist also kein Wunder, dass Bundesarbeitsminister Hubertus Heil sich diesen Ort ausgesucht hat, um am kommenden Freitag die Ergebnisse seiner eigenen Beschäftigung mit der Zukunft vorzustellen.

Ein Jahr ist es nun her, dass der SPD-Minister seinen "Zukunftsdialog" gestartet hat. Um die Arbeitswelt von morgen ging es ihm dabei und darum, welche Sicherheiten die Bürger sich wünschen, wenn sich um sie herum durch Digitalisierung, Automatisierung und das Entstehen neuer Arbeitsformen vieles rasant verändert. In Essen, Jena, Augsburg und Bremerhaven traf Heil bei sogenannten Zukunftsforen auf Bürger und deren Fragen, hinzu kamen eine Reihe weiterer Veranstaltungen im Land. "Ich wollte wissen, was die Bürgerinnen und Bürger in einer Zeit des Wandels bewegt und was sie von der Politik erwarten", sagt Heil. "Zunächst zuhören, dann anpacken", sei sein Ziel gewesen.

Mit dem Zuhören ist der Minister fürs erste durch. Das Ergebnis ist ein 50-Seiten-Bericht, in dem sehr verschiedene Themen auftauchen, die im direkten Bürgerkontakt der vergangenen Monate zur Sprache gekommen sind. Etwa, wie wichtig es den Menschen ist, dass Hartz-IV-Empfänger im Jobcenter wertschätzend behandelt werden, und dass sie finden, Arbeitslose sollten mehr behalten dürfen von ihrem Zusatzverdienst. Beim Streitthema Sanktionen für Hartz-IV-Empfänger reicht das Meinungsspektrum von kompletter Ablehnung bis zur Forderung, daran festzuhalten. Was die Bürger ebenfalls umtreibt: dass Ältere, die spät im Leben arbeitslos werden, relativ schnell aus dem Arbeitslosengeld herausfallen können, trotz langer Beitragsjahre. Dokumentiert ist zudem der Wunsch, Beamte und Selbständige sollten auch in die Sozialversicherungen einzahlen und Kapitaleinkünfte sozialversicherungspflichtig werden. Hinzu kommen zahlreiche weitere Themen: mehr Netto vom Brutto für Niedrigverdiener, Betreuungsmöglichkeiten für Schulkinder, mehr soziale Absicherung für Solo-Selbständige und Freelancer, Weiterbildung auch jenseits der spezifischen Anforderungen des eigenen Arbeitsplatzes.

Am Freitag will der Minister die Vorschläge präsentieren

Bleibt der zweite Teil von Heils Zukunftsaktion, das Anpacken. Dafür hat sein Haus schon mal üppige 80 Seiten "Handlungsempfehlungen" zusammengestellt. Konkrete Vorschläge mache er, sagt Heil, "um Menschen, die in Sorge um ihren Arbeitsplatz sind, Perspektiven zu zeigen". Ihm sei es wichtig, die Digitalisierung so zu gestalten, dass sie die Arbeit der Menschen erleichtere. "Ich möchte Arbeitsplätze so gestalten, dass die Arbeit zum Leben passt." Die Gespräche mit den Bürgern hätten ihn "vieles noch einmal in einem anderen Licht" sehen lassen.

Gemessen an diesem anderen Licht aber tauchen in dem "Anpacken"-Katalog seines Ministeriums erstaunlich viele altbekannte Vorschläge auf - vornehmlich solche, die Heil ohnehin auf der Agenda hat oder die zum Forderungskatalog seiner Partei gehören.

Beim Thema Weiterbildung und Strukturwandel etwa schlägt das Ministerium just das vor, was Heil derzeit mit seinem "Arbeit-von-morgen-Gesetz" vorhat. Ein weiteres Beispiel: Weniger strenge Sanktionen für Hartz-IV-Empfänger und eine zweijährige Karenzzeit für die Überprüfung von Wohnung und Vermögen tauchen zwar nicht im Koalitionsvertrag auf - dafür aber im Sozialstaatspapier der SPD vom Februar diesen Jahres. Genau wie im übrigen auch die Weiterentwicklung der Bundesagentur für Arbeit (BA) zu einer "Bundesagentur für Arbeit und Qualifizierung", ein verlängerter Bezug von Arbeitslosengeld I oder ein Rechtsanspruch auf mobiles Arbeiten.

Auch ein Thema, bei dem Heil zuletzt eine Niederlage erlitten hatte, findet man nun in dem Katalog: Heil wollte vergangenes Jahr erreichen, dass künftig zehn Monate sozialversicherungspflichtige Beschäftigung innerhalb von drei Jahren für einen Anspruch auf Arbeitslosengeld reichen. CDU und CSU waren dagegen, man einigte sich auf zwölf Monaten innerhalb von zweieinhalb Jahren. Nun aber steht Heils alte Idee als neuer Vorschlag in seinem "Anpacken"-Katalog. Und sogar ein Element seines umstrittenen Finanzierungsvorschlags für die Grundrente, dass nämlich die BA für Arbeitslose höhere Rentenbeiträge abführen soll, wird als Antwort auf die Wortmeldungen der Bürger angeboten.

Es finden sich durchaus auch Vorschläge, die nicht schon im Sozialstaatspapier der SPD stehen. Ein neue Kindergeld etwa, bei dem der Kinderzuschlag gleich mit ausgezahlt und erst bei steigendem Einkommen der Eltern automatisch abgeschmolzen wird. Der Vorschlag wiederum, persönliche Zeitkonten für Arbeitnehmer einzuführen, unabhängig vom jeweiligen Arbeitgeber, steht zwar auch in besagtem SPD-Papier, die Partei ist damit aber nicht allein, die FDP fordert letztlich das Gleiche. Trotzdem ist die Häufung sozialdemokratischer Lieblingsinstrumente zumindest auffällig.

Das kann natürlich daran liegen, dass die Bürger zufällig genau das wollen, was auch Heil und seine Partei schon lange fordern. Mit ziemlicher Sicherheit aber wären auch alternative Lösungen und Ansätze denkbar für das, was die Menschen im Land umtreibt und besorgt. Am Freitag jedenfalls, im Schöneberger Gasometer, wird Heil erst einmal weiterdiskutieren; mit Gewerkschaftern, Arbeitnehmervertretern, Sozialverbänden - und mit interessierten Bürgern.

© SZ vom 19.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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