Arbeitsmarkt:Der Fachkräftemangel ist hausgemacht

Lesezeit: 3 min

Ein Schweißer bei der Arbeit in Brandenburg (Foto: dpa)

Die Lösung für das Problem auf dem deutschen Arbeitsmarkt ist eigentlich offensichtlich. Doch es bräuchte ein grundsätzliches Umdenken: Bei Politikern, Unternehmen - und bei einigen Bürgern selbst.

Kommentar von Alexander Hagelüken

Lange Jahre war die Debatte am deutschen Arbeitsmarkt von Angst dominiert. Angst, dass viele Menschen auf Dauer ohne Beschäftigung bleiben. In den Nullerjahren waren zeitweise mehr als fünf Millionen arbeitslos. Vergleiche zur Massenarbeitslosigkeit der 1930er-Jahre und dem folgenden politischen Extremismus lagen da nicht mehr fern. Wie war der Mangel an Arbeitsplätzen zu beheben? Der bisher letzte Kanzler mit SPD-Parteibuch, Gerhard Schröder, opferte seinen einschlägigen Reformideen am Ende sogar die Macht.

Wenig kennzeichnet den Wandel in Deutschland besser als die Tatsache, dass inzwischen intensiv über den entgegen gesetzten Mangel debattiert wird: den Mangel an Arbeitskräften, die man noch vor einem Jahrzehnt nicht unterzubringen glaubte. Nach einer neuen Studie kostet der Engpass bei Fachkräften bereits heute reichlich Wirtschaftswachstum. Andere Untersuchungen legen nahe, dass in zehn Jahren mehr als drei Millionen Beschäftigte fehlen werden.

Umdenken müssen Unternehmen, Politiker und manche Bürger selbst

Allerdings, der viel beschworene Mangel an Fachkräften macht nicht jeden in Deutschland zu einem begehrten Objekt. Noch immer sind in der Bundesrepublik mehr als zwei Millionen Bürger arbeitslos, Hunderttausende länger als ein Jahr. Es gibt viele Menschen, bei denen Fachkräfteklagen der Unternehmen Bitterkeit auslösen. Etwa, weil sie sich bei der Jobsuche wegen ihres Alters unerwünscht vorkommen. Oder weil sie als Mutter Beruf und Kinder vereinbaren möchten, ohne dass eines von beiden übermäßig leidet. Oder weil ihnen schlicht die begehrten Qualifikationen fehlen.

Hartz IV
:Langzeit-Arbeitslose bleiben länger arbeitslos

Ihre Zahl ist zwar auf 800 000 gesunken. Wer allerdings länger als vier Jahre Grundsicherung bezieht, kommt immer schwerer heraus.

Von Thomas Öchsner

Diese Beispiele zeigen, wie sehr allen Beteiligten geholfen wäre, wenn in der Bundesrepublik grundsätzlich umgedacht würde. Umdenken müssten die Unternehmen, die Politiker und auch manche Bürger selbst.

Die Firmen etwa, die jetzt fehlende Fachkräfte bejammern, waren (und sind teilweise immer noch) schwer vom Jugendwahn befallen. Wie sieht der aus? Ältere Mitarbeiter in Frührente entsorgen, um sich für deren höheres Gehalt doppelt so viele Berufseinsteiger zu holen. Arbeitsverträge zum üblichen Rentenalter kategorisch beenden, auch wenn manche Beschäftigte weitermachen wollen. Und: Bewerbungen von Kandidaten 50 plus sofort in den Papierkorb klicken. "Ältere Menschen sind das größte Reservoir des Arbeitsmarkts", sagt der Forscher Bernd Raffelhüschen, "die sind schon da, und man braucht sie nicht qualifizieren". Würden Firmen das ernst nehmen, müssten sie weniger über Fachkräfte klagen.

Jeder siebte junge Deutsche hat keine Berufsausbildung - das ist ein Skandal

Ähnlich verschwenderisch wie mit älteren geht Deutschland mit weiblichen Arbeitnehmern jeden Alters um. Da wirkt das jahrzehntelange Dogma nach, eine Frau solle Kinder haben oder einen Beruf. Vor 30 Jahren arbeiteten die Hälfte der deutschen Frauen, aber 80 Prozent der Schwedinnen. Inzwischen gehen etwa wegen des Kitaausbaus mehr Deutsche einem Beruf nach. Doch mehr als die Hälfte der Mütter tut das in Teilzeit, was langfristig oft zum B-Job wird - der Anteil ist doppelt so hoch wie im Durchschnitt der Industriestaaten.

Damit mehr weibliche Fachkräfte überhaupt und länger arbeiten, müsste der Staat aufhören, Zweitverdiener durch das Ehegattensplitting und den Wegfall der kostenlosen Krankenversicherung zu bestrafen. Und die Unternehmen müssten Müttern (und Vätern) den Alltag erleichtern, statt Kinder als Hindernis zu behandeln.

Wer über einen Mangel an Fachkräften redet, kommt auch nicht an dem Skandal vorbei, dass beinahe jeder siebte junge Deutsche keine Berufsausbildung hat. Das sind zwei Millionen Menschen, aus denen Fachkräfte werden könnten. Was hindert die Regierung eigentlich daran, dies zu einem Schwerpunkt ihrer Politik zu machen? Und sozial Benachteiligte sogar schon viel früher, im Kitaalter, konsequent zu fördern?

Natürlich liegt es auch in der Verantwortung jedes Einzelnen, seinen Lebensunterhalt sicherzustellen, in dem er sich um eine Ausbildung bemüht. Wenn Lehrer, Arbeitgeber, Politiker eines tun können, dann keinen Schüler, Lehrling, Bürger aufzugeben. Sondern jeden zu unterstützen, damit er nicht mit einem Handicap im Berufsleben landet. Denn ja, aus dem Mangel an Arbeitsplätzen in den Nullerjahren ist einer an Arbeitskräften geworden. Doch für Ungelernte hat sich nichts verändert. Und ihre Situation verschärft sich noch, weil Roboter immer mehr übernehmen. Kümmert sich Deutschland nicht frühzeitig darum, entsteht da ein digitales Proletariat.

© SZ vom 17.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Arbeitslosigkeit
:Hartz IV ist besser als das solidarische Grundeinkommen

Besonders die SPD liebäugelt mit der alternativen Versorgung für Langzeit-Arbeitslose. Dabei wäre eine solche Gesetzesänderung eine politische Bankrotterklärung.

Essay von Ulrich Walwei

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: