Die Kunden bestehen auf ihrem Geld, und zwar "in bar". Aus schierer Geldnot und Angst vor einer Rückkehr der Drachme ziehen viele Griechen ihr Geld von der Bank ab. Der Aderlass ist so gewaltig, dass er das Überleben vieler Geldhäuser bedroht. Auch in anderen Krisenländern der Euro-Zone sieht es kritisch aus. Zwar ist ein plötzlicher Ansturm von Kunden, die ihre Ersparnisse abheben wollen, bislang ausgeblieben. Doch auch in Irland, Spanien und Italien ist längst ein unsichtbarer Bank Run in Gang, der nicht weniger bedrohlich ist. Die Menschen stehen zwar nicht Schlange vor den Bankfilialen, aber Milliarden von Euro fließen ab von den Konten irischer, spanischer, italienischer, ja sogar französischer Banken. Abzulesen ist der Exodus an den Statistiken der nationalen Notenbanken.
Das krasseste Beispiel ist Griechenland. Dort sind die Einlagen der Geschäftsbanken seit Ende 2009 um mehr als 60 Milliarden Euro auf rund 180 Milliarden Euro Ende Oktober zurückgegangen, das sind 25 Prozent. In Irland schrumpften die Einlagen ähnlich schnell. Auch in Spanien und Italien wenden sich Kunden von ihren Banken ab. Dort sind es weniger die Privatleute, die kalte Füße bekommen, sondern die Geschäftsleute. "Unternehmen haben begonnen, ihre Einlagen von Banken in Spanien, Italien, Frankreich und Belgien abzuziehen", sagt Kinner Lakhani, Bankanalyst der US-Großbank Citi.
So sanken die Einlagen von Unternehmen und institutionellen Anleger bei den beiden bedeutendsten spanischen Häusern BBVA und Santander allein im dritten Quartal um mehr als zehn Prozent. Die italienische Unicredit büßte ebenfalls zehn Prozent ihrer Einlagen ein, während ihr Rivale Intesa sogar ein Minus von 16 Prozent verkraften musste. Betroffen vom Misstrauen der Kundschaft sind allerdings auch französische Institute, allen voran Société Générale, aber auch Marktführer BNP Paribas.
Die Banken stecken in Schwierigkeiten, es fehlt an Liquidität, nicht nur weil die Einlagen schmelzen. Der Bank Run findet auch auf andere Ebene statt: Geldmarktfonds, die mit hohen Abflüssen ringen, kaufen den Banken keine kurzfristigen Papiere mehr ab; und langlaufende Bankschuldverschreiben will sich erst recht kein Anleger ins Depot holen. Seit Ende Juni wurden lediglich 17 Milliarden Euro unbesicherter Anleihen europäischer Banken verkauft, im Vorjahr waren es zur gleichen Zeit noch 120 Milliarden Euro. Viele europäische Kreditinstitute sind vom Interbankenmarkt praktisch ausgeschlossen: Die Banker leihen sich untereinander kaum noch Euro oder Dollar. Damit sind die wichtigsten Finanzquellen der Banken versiegt. Sie hängen am Tropf der Europäischen Zentralbank, die sie großzügig mit kurzlaufenden Krediten am Leben hält.
Wer kann, geht zur EZB
Von der Not der Banken in den sogenannten Piigs-Staaten (Portugal, Irland, Italien, Griechenland und Spanien) profitieren vor allem skandinavische Institute. "Die Leute flüchten aus der Euro-Zone", sagt Georg Andersen von Nykredit in Kopenhagen. "Die nordischen Ländern zeichnen sich als sicherer Hafen aus." Viel Geld von Unternehmen, Versicherungen und Pensionsfonds fließt namentlich den schwedischen Banken wie SEB und Swedbank zu. Als sicheren Hort fürs Geld schätzen die Anleger auch die Deutsche Bank und die niederländische ING.
Wer kann, schaufelt sein Geld gleich zur EZB. So sollen deutsche Autohersteller oder der Siemens-Konzern, die eine Banklizenz besitzen, Bargeldreserven still und heimlich bei der Notenbank in Frankfurt bunkern, wo es vor möglichen Bankpleiten geschützt ist.
Banken und Staaten stecken in einem Teufelskreis: Je weiter sich die Schuldenkrise zuspitzt, je mehr die Anleihen von hoch verschuldeten Euro-Mitgliedern an Wert verlieren, desto stärker geraten Banken ins Schlingern. Besonders hart trifft es Institute wie BNP Paribas, Société Générale oder auch die Commerzbank, die den Piigs-Staaten viel Geld geliehen haben. Schlechte Noten durch die Ratingagenturen verschärfen die Lage noch, denn klar ist: Anders als 2008 haben die westlichen Industriestaaten nicht mehr die Kraft, jede Bank zu retten und für die Einlagen der Kunden zu garantieren.
Die Kapitalflucht hat schon ihr erstes Opfer gefordert: Die Dexia Bank kollabierte, weil sie kurzfristig kein Geld mehr bekam. Das gemeinsame Einschreiten der Notenbanken in dieser Woche - Fed, EZB und andere haben den Geldhahn aufgedreht - schürt den Verdacht, dass es noch andere Häuser gibt, die in den Abgrund schauen. Je schwieriger es für die Banken wird, ihren Finanzbedarf zu decken, desto größer wird die Gefahr, dass eine große Bank fällt.
Noch haben die Menschen das Vertrauen in ihre Geldhäuser nicht verloren, noch nicht einmal in Griechenland. Ausgeschlossen ist es aber nicht, dass der Albtraum vom ungebremsten Bank Run wahr wird und die Kunden massenweise sagen: "Ich möchte mein Geld abheben."