Anderthalb Jahre vor dem Anfang vom Ende, da war die Welt in Dublin noch in Ordnung. Beim Word Economic Forum in den Schweizer Bergen in Davos zeichnete die Unternehmensberatung Oliver Wyman im Januar 2007 Anglo Irish als "beste Bank" der Welt aus. Innerhalb von sieben Jahren war es dem Vorstand gelungen, den Preis der Aktie um mehr als 2000 Prozent zu steigern. Wer einst 5000 Euro anlegt hatte, dessen Aktienpaket war nun mehr als 100.000 Euro wert. Sechs Jahre später hat man den Eindruck, als sei Anglo Irish die dreisteste Bank der Welt.
Seit die irische Tageszeitung Irish Independent interne Telefonmitschnitte aus dem Jahr 2008 veröffentlicht hat, erscheinen die damaligen Manager als unverfrorene, selbstgerechte Hasardeure. Doch warum schlitterte die Bank in der Krise und musste verstaatlicht werden? Was passierte im Herbst 2008, als sich das Schicksal der Anglo Irish entschied und mit ihr das Schicksal Irlands? Eine Rekonstruktion.
Prolog: Wilde Expansion
Bis die Krise kam, war Anglo Irish ein Schwergewicht. Im Jahr 2007 kostet das Unternehmen an der Börse 13 Milliarden Euro. Maßgeblich am Erfolg ist Sean Fitz-Patrick beteiligt, von 1986 bis 2004 Vorstandschef der Anglo Irish. Er ist der Doyen der irischen Finanzbranche. Ein Netzwerker durch und durch. Als er einmal gefragt wird, was seine Informationsquellen sind, da sagt er: "Für Nachrichten lese ich die Financial Times, für Analysen den Economist, aber am wichtigsten ist das 19. Loch." Fitz-Patrick spielt regelmäßig Golf mit Kunden, Freunden, Geschäftsleute, ja manchmal sogar Politikern.
In seinem ersten Jahr bei Anglo Irish macht die Bank einen Profit von läppischen 1,25 Millionen irischen Pfund. Der größte Kredit, den die Bank damals in ihren Büchern hat, sind 150.000 irische Pfund. Doch mit dem wirtschaftlichen Aufstieg Irlands, dem "keltischen Tiger", kommt der Erfolg.
Anglo Irish wächst rascher als das Land, Fitz-Patrick expandiert. 1998 schickt er David Drumm nach Boston, er soll das USA-Geschäft aufbauen, Drumm ist damals ein junger Kerl, gerade mal 31. Er mietet ein Appartement in der Gegend um die Back Bay und macht sich ans Werk. Die Bank finanziert bald Büros, Parkhäuser und kleinere Shopping-Zentren.
2004 beerbt er Fitz-Patrick, mit nur 37 Jahren wird er Vorstandschef und setzt weiter auf Wachstum, in Irland und den USA. Und immer geht es um Immobilien. 2007 hat die Bank Kredite über 70 Milliarden Euro in den Büchern: 60 Prozent des irischen Bruttoinlandsprodukts - gebündelt in einer einzigen Bank. Diese Bank, das ist klar, kann die Regierung niemals pleite gehen lassen. Niemals.
1. Akt: Die Krise erreicht Irland
7. September 2008: Irische Sonntagszeitungen berichten über Probleme bei der Irish Nationwide Building Society, einem Baufinanzierer, der nicht bloß konservative Eigenheimdarlehen vergeben hat, sondern hochspekulative Kredite. David Drumm ist damals zu Hause in seiner Villa, in einem schicken Dubliner Vorort als plötzlich das Handy klingelt, Pat Neary, der Chef der Finanzaufsicht ist in der Leitung und fragt, ob Anglo Irish einspringen und Irish Nationwide übernehmen könne. Drumm verspricht, mit dem Aufsichtsrat zu sprechen.
Doch zum Kauf kommt es nicht mehr. Denn am 15. September geht in New York die Investmentbank Lehman Brothers Pleite, die Kurse auf der ganzen Welt brechen ein. Panik breitet sich aus, Anleger haben Angst vor dem Totalverlust. Anglo Irish trifft die Krise gewaltig. Lehman Brothers hielt Aktien der Bank, viele Unternehmer, aber auch kleine Sparer in Irland und in den USA ziehen ihre Gelder bei Anglo Irish ab. An guten Tagen verliert die Bank 500 Millionen Euro an Kapital. An schlechten bis zu einer Milliarde. "Ein neuer Tag, eine neue Milliarde", hört man Drumm auf den Tonbändern. Anglo Irish blutet aus.
Dazu kommen schlechte Nachrichten aus London. Die Finanzaufsicht verpflichtet in Großbritannien tätige Banken, genug Geld bereit zu halten. Wer die Liquidität abzieht, dem droht Lizenzentzug. Die Maßnahme ist eine Reaktion auf die Geldflucht isländischer Banken. Anglo Irish hat in Großbritannien elf Milliarden Euro Kundengelder gebunkert - elf Milliarden die man nun nicht mehr einsetzen kann.
2. Akt: Milliarden "aus dem Arsch"
17. September 2008: David Drumm trifft sich mit dem Chef der Finanzaufsicht in den Räumen der Zentralbank in der Dubliner Dame Street, dort teilt Drumm ihm mit, dass die Bank dringend Geld braucht, und zwar sieben Milliarden. Warum genau sieben Milliarden Euro? Diese Summe habe er sich "aus dem Arsch gezogen", erklärt ein Abteilungsleiter später in einem der mitgeschnittenen Telefonate. Das Geld solle "zur Überbrückung dienen, bis wir es zurückzahlen . . . nämlich nie". Am Ende benötigt Anglo Irish insgesamt 30 Milliarden Euro.
3. Akt: Vor dem Kollaps
28. September 2008: An diesem Sonntag tagt das irische Kabinett. Angeheuerte Berater der amerikanischen Investmentbank Merrill Lynch warnen, Anglo Irish stehe am Abgrund. Den Montag wird die Bank wohl noch überleben, aber den Dienstag?
"Wenn sie uns das Geld nicht am Montag geben, dann haben sie möglicherweise einen Bankenkollaps, wenn uns das Scheißgeld weiter so davon rinnt", schimpft Drumm am Telefon und tönt: "Wir werden einfach ein wenig düster dasitzen und sagen, Burschen, wie sieht es aus mit den Krediten, oder wollt ihr die verdammten Schlüssel jetzt, ich kann sie euch geben."
Hinter den Kulissen diskutieren die Politiker, was sie die David-McWilliams-Lösung nennen. McWilliams ist einer der einflussreichsten irischen Wirtschaftsjournalisten, in drei Artikeln hat er in den Tagen zuvor eine hundertprozentige Garantie für die irischen Banken gefordert.
Am Montag herrscht wieder Panik an den Märkten. Banken in England sind in Not, in den USA, in Island, in Belgien. Und in Deutschland bereitet die Hypo Real Estate Probleme. Bei Anglo Irish hat man derweil ganz andere Sorgen. In Drumms Büro, im dritten Stock der Zentrale, mit Blick auf St. Stephen's Green geht es um die Finanzen des Finanzvorstands.