Offener Brief:Ihr Wort hat Gewicht

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Fordern mehr Tempo bei der Digitalisierung: Kanzlerin Angela Merkel, die finnische Ministerpräsidentin Sanna Marin und ihre dänische Amtskollegin Mette Frederiksen (v.l.) bei einem EU-Gipfel in Brüssel. (Foto: Thierry Roge/imago-images)

Vier Regierungschefinnen verlangen von der EU-Kommission mehr Anstrengungen, um Europas Digitalbranche zu fördern. Kritiker finden, das sei nicht ohne Ironie - gerade in Bezug auf Angela Merkel.

Von Björn Finke, Brüssel

Das dreiseitige Schreiben an "Madam President, dear Ursula" kommt schnell zur Sache. Bereits im zweiten Absatz beklagen die Autorinnen "Abhängigkeiten und Mängel bei Europas digitalen Möglichkeiten, Fähigkeiten und Technologien". Auf der zweiten Seite beginnt dann die Wunschliste, was die liebe Ursula - Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen - alles anstoßen solle, um die EU bei diesem Thema zu stärken. Und das Wort der Autorinnen hat Gewicht. Unterzeichnet ist der offene Brief von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und drei weiteren EU-Regierungschefinnen: den Sozialdemokratinnen Mette Frederiksen aus Dänemark und Sanna Marin aus Finnland sowie der Liberalen Kaja Kallas aus Estland.

Das Schreiben, über das zuerst das Handelsblatt berichtete, geht zur passenden Zeit ein. Ohnehin will die zuständige Kommissions-Vizepräsidentin Margrethe Vestager kommenden Dienstag Digitalziele der EU für 2030 präsentieren. Schon im Dezember stellte die Dänin zusammen mit Binnenmarktkommissar Thierry Breton Vorschläge zweier womöglich wegweisender EU-Gesetze für die Branche vor: das Gesetz über digitale Dienste und das Gesetz über digitale Märkte. Die beiden Rechtsakte legen fest, welche Pflichten Verkaufsplattformen oder Anbieter digitaler Inhalte haben und wie sich mächtige Internetkonzerne verhalten dürfen, so dass sie kleineren Rivalen nicht schaden.

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Den vier Briefautorinnen reicht das aber nicht. Sie fordern mehr Anstrengungen, um die "digitale Souveränität der Europäischen Union zu stärken". Sprich: Die EU soll weniger abhängig von Anbietern und Technologien aus der Fremde werden, etwa aus China oder den Vereinigten Staaten. Denn im Moment finde "ein bedeutender Teil digitaler Wertschöpfung und Innovation außerhalb Europas statt". Und Daten, die zu "einer neuen Währung" geworden seien, würden "größtenteils außerhalb Europas gesammelt und gespeichert", monieren die Unterzeichnerinnen.

Die Politikerinnen fordern auch, Hindernisse für einen digitalen Binnenmarkt zu beseitigen

Wobei das Quartett betont, nicht Abschottung das Wort zu reden: "Bei digitaler Souveränität geht es darum, auf unsere Stärken aufzubauen und unsere strategischen Schwächen zu verringern, und nicht darum, andere auszuschließen oder einem protektionistischen Ansatz zu folgen." Der Brief bittet die Kommission, "kritische Technologien und strategische Sektoren" zu identifizieren - genau wie Abhängigkeiten von Nicht-EU-Staaten, die zu Lieferproblemen oder Hackergefahren führen könnten. Bestes Mittel gegen Abhängigkeiten seien offene Märkte, aber zur Not sollte die EU auch "Kompetenzen und Fähigkeiten aktiv fördern und erweitern". Damit meinen die Autorinnen Subventionen für wichtige Branchen und Technologien.

Daneben fordern die Politikerinnen, Hindernisse für einen digitalen Binnenmarkt zu beseitigen. Die Verwaltungen zu digitalisieren, sei ebenfalls hilfreich. Für all das solle die Kommission neue Initiativen entwickeln oder bestehende ausbauen. Empfängerin von der Leyen wird das gerne lesen: Die Deutsche hat es ohnehin zu ihren Prioritäten erklärt, den digitalen Wandel zu fördern und die EU weniger abhängig von fremden Akteuren zu machen.

Der Grünen-Europaabgeordnete Rasmus Andresen sagt allerdings, es entbehre "nicht einer gewissen Ironie", dass Merkel diesen Brief mitverfasst hat: "Deutschland liegt seit Jahren im digitalpolitischen Dornröschenschlaf."

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