Allianz:Zu viele Chefchen

Lesezeit: 3 min

"Das Ziel ist nicht Arbeitsplatzabbau, Effizienzgewinne um des Effizienzgewinns willen", sagt Allianz-Chef Oliver Bäte. (Foto: Christof Stqache/AFP)

Die Allianz will weniger Manager auf weniger Ebenen beschäftigen - und auch anderswo sparen.

Von Herbert Fromme, München

Braucht ein Versicherungskonzern sieben oder acht Ebenen von Chefs, Unter-Chefs und Unter-Unter-Chefs zwischen ganz unten und ganz oben, zwischen dem Mitarbeiter eines Callcenters und der Konzernspitze? Oliver Bäte, der seit fünf Jahren die Allianz leitet, glaubt das nicht. Vor zehn Jahren habe es sogar zwölf Managementebenen gegeben, sagte er bei der Bilanzpressekonferenz am Freitag. Heute seien es je nach Landesgesellschaft sieben bis acht Ebenen. Und: "Ich wette, in zehn Jahren sind es nur noch fünf oder sechs."

Bäte sagte das nicht ohne Grund. Er will die Strukturen in dem Konzern mit seinen 147 000 Mitarbeitern - 27 000 davon in Deutschland - grundlegend vereinfachen und so die Kosten senken. Mancher Mitarbeiter einer Zwischenholding wie der Allianz Deutschland wird sich da seine Gedanken machen, ob es diese Struktur noch lange geben wird.

Verstärkt werden die Zweifel durch eine Personalie: Klaus-Peter Röhler, Vorstandschef der Allianz Deutschland, wurde in den Vorstand der Obergesellschaft Allianz SE berufen. Seinen Posten bei der Allianz Deutschland behält Röhler.

Bisher hat die Allianz darauf geachtet, dass die Chefs der Landesgesellschaften nicht gleichzeitig in der Obergesellschaft im Vorstand sitzen. Dass Bäte dieses Prinzip aufgibt, nährt Spekulationen, dass die Deutschland-Holding geschlossen werden könnte und die Allianz SE künftig direkt die Töchter im Heimatmarkt steuert.

Bäte versuchte zu beruhigen. "Wir werden alle anderen Änderungen in nächster Zeit besprechen", sagte er. "Eine dramatische Wende, alle Länderholdings aufzulösen oder alle Länderchefs in die Holding zu nehmen, wird es nicht geben."

Klar ist: Die Allianz muss ihre Kosten senken. In Deutschland gehen bei den Münchnern 25 Prozent der Prämien, die Kunden für die Versicherung von Autos, Gebäuden oder Haftpflichtrisiken zahlen, drauf für Vertriebs- und Verwaltungskosten. Rivale HUK-Coburg, nicht ohne Grund seit 2011 hierzulande Marktführer in der Autoversicherung, kommt mit der Hälfte aus.

Es gehe nicht darum, die Indianer abzubauen, sagte Bäte auf die Nachfrage, ob mehr Häuptlinge oder mehr Indianer von Veränderungen betroffen wären. Aber jeder in der Branche weiß, dass Digitalisierung und geplante Kostensenkungen die Zahl der Belegschaft sinken lässt.

Dabei leidet der Konzern keine Not, im Gegenteil. "Umsatz plus acht Prozent, Gewinnplus drei Prozent, Gewinn pro Aktie plus acht Prozent", so fasste Bäte das Jahr 2019 zusammen. Der Umsatz machte satte 142 Milliarden Euro aus, der operative Gewinn 11,8 Milliarden Euro, unter dem Strich blieben 7,9 Milliarden Euro. 2020 soll der stetige Gewinnanstieg weitergehen, der Konzern will 500 Millionen Euro mehr verdienen.

Dass der Konzern dennoch unter Druck steht, liegt vor allem an den Auswirkungen der Digitalisierung und den niedrigen Zinsen. Der Versicherungsmarkt verändert sich: Plötzlich bieten Autohersteller wie VW oder Möbelhändler wie Ikea Versicherungen an. Dabei kooperieren sie mit etablierten Anbietern. Den Kunden, der bei Ikea eine Hausrat- und Haftpflichtversicherung abgeschlossen hat, interessiert nicht, wer die Risiken absichert, er hat seine Police von Ikea. Die großen Internetkonzerne Amazon und Google beobachten den Markt genau, Amazon ist in vielen Ländern auch als Versicherer oder Makler unterwegs.

Für viele kleinere Gesellschaften sind die Aussichten deshalb düster. Aber die Allianz ist groß und bekannt genug, sodass sie ihre Marktposition verteidigen kann, wenn sie denn schnell genug ist. Deshalb gibt sie Hunderte Millionen Euro für die Digitalisierung aus, gründet einen europaweit arbeitenden Direktversicherer für die Autoversicherung und will so schnell wie möglich ihre alten Computersysteme abschalten, weil sie mit ihnen die enge Betreuung der Kunden kaum organisieren kann. So kann sie stärker als die Konkurrenz wachsen - und so auch die Arbeitsplätze erhalten, argumentierte Bäte. "Der Traum, den ich schon habe, ist, dass wir die Digitalisierung übersetzen in das Wachstum von Marktanteilen und von Kunden, und dann sind auch unsere Arbeitsplätze sicher." Und weiter: "Das Ziel ist nicht Arbeitsplatzabbau, Effizienzgewinne um des Effizienzgewinns willen." Das mache auch keinen Sinn. "Damit kriegen Sie keine Leute motiviert." Noch in diesem Jahr dürfte Bäte der Belegschaft mitteilen, wohin die Reise bei Arbeitsplätzen und Struktur geht.

Wie schnell auch einstige Erfolgsgaranten ins Schlingern geraten können, hat gerade der Industrieversicherer Allianz Global Corporate & Specialty (AGCS) vorgemacht. Jahrelang war sie die Vorzeigetochter der Allianz - hohe Gewinne, tolle Expertise, großartiges Ansehen bei den Kunden. Doch 2019 meldete die AGCS einen operativen Verlust von knapp 300 Millionen Euro. Sie hatte ein Phänomen unterschätzt, das "soziale Inflation" genannt wird. Gerichte, Parlamente und Regierungen ändern plötzlich die Regeln für die Haftung von Unternehmen und Managern, weil sich die politische Stimmung gedreht hat. Die AGCS trafen vor allem Belastungen aus Australien und den USA.

Sie haben die Allianz nicht an ihrer Gewinnsteigerung gehindert. Die Aktionäre verwöhnt Bäte weiterhin. Sie erhalten eine Dividende von 9,60 Euro pro Aktie, ein Plus von sieben Prozent, und profitieren zudem von einem Aktienrückkauf, bei dem der Konzern für 1,5 Milliarden Euro eigene Papiere kauft und so den Kurs stützt.

© SZ vom 22.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: