Al Gore und Cory Booker beim SXSW-Festival:Politiker unter Nerds

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Politiker Al Gore (links) auf dem SXSW-Festival: Technik kann die Welt verbessern (Foto: Bloomberg)

Wie gut sich Politiker und die Nerds aus dem Silicon Valley verstehen, zeigt sich derzeit auf dem SXSW-Festival, einem Treffen der Technikbegeisterten. Da preist Al Gore schon mal die Technik als Lösung für den Klimawandel an. Und ein Politiker, der sich kaputte Straßen per Tweet melden lässt, wird als zukünftiger US-Präsident gehandelt.

Von Matthias Kolb, Austin

Bescheidenheit ist eine Eigenschaft, mit der man in der amerikanischen Politik nicht weit kommt. Wenn Al Gore, einst Bill Clintons Vize und dessen Fast-Nachfolger, ein Buch über den aktuellen Zustand der Welt schreibt, dann nennt er es daher "The Future". Drunter macht es der Friedensnobelpreisträger nicht, der sein Werk beim Technik-Festival South-by-Southwest den Nerds und Geeks aus aller Welt vorstellte. Immer wieder sei er gefragt worden, welche Faktoren das 21. Jahrhundert prägen werden, erzählt er. Also habe er sich hingesetzt und über jene "sechs Faktoren des globalen Wandels" geschrieben.

In der Technik-Welt fühlt sich der Multimillionär wohl: Er ist Teilhaber bei Kleiner Perkins, einer der wichtigsten Investmentfirmen im Silicon Valley. Auch die Sprache hat er verinnerlicht. Als die Frage auftaucht, wieso Gore seinen TV-Sender Current jüngst an Al-Dschasira verkauft habe, obwohl dahinter doch der Ölstaat Katar stehe, nennt er einen der Trend-Begriffe des SXSW-Festivals. Er wolle für Creative Disruption sorgen und so Amerikas TV-Journalismus aufwirbeln.

Im Schnelldurchlauf nennt Gore dann die sechs Faktoren, die seiner Meinung nach die Zukunft prägen: Als Earth Inc . bezeichnet er das Phänomen, dass die Wirtschaft immer globaler werde und alles enger zusammenrücke. Änderungen im Konsumverhalten, Entscheidungen mancher Investoren, Outsourcing und Automatisierung von Jobs - die Auswirkungen seien überall spürbar. Global Mind ist die rasant wachsende Verbreitung von Smartphones sowie den Einsatz von Sensoren, was zu einer "Stalker-Wirtschaft" führe. Jeder Bereich des Lebens werde vermessen und in der Schweiz würden Kühe mittlerweile Sensoren eingepflanzt, wie dem Bauer mitteilten, wann das Tier fruchtbar sei.

Wachstum und Fortschritt nicht identisch

Die Menschen müssten zudem genau darauf achten, die bahnbrechenden Kenntnisse der Bio- und Gentechnik für gute Zwecke einzusetzen. Dabei geht es um die Neuerfindung von Leben und Tod, sagt der Politiker. Kritisch sieht er den globalen Wachstumswahn. "Wachstum und Fortschritt sind nicht identisch", ruft er und wünscht sich mehr Nachhaltigkeit. Selbstverständlich ist der Klimawandel, dem Gore den preisgekrönten Dokumentarfilm "An Inconvenient Truth" gewidmet hat, ebenfalls ein Faktor. Er hoffe sehr, dass der Ausstoß von Kohlendioxid bald besteuert werde.

Ausführlich widmet sich Gore der Machtverschiebung von West nach Osten, also dem Aufstieg Chinas und Indiens. "Das ist die wichtigste Veränderung seit mehr als 500 Jahren, seit Kolumbus Amerika entdeckt hat", so Gore. Die USA seien aber weiter am besten geeignet, in dieser veränderten Welt eine Führungsrolle zu übernehmen. Allerdings sei Washington unfähig, wichtige Entscheidungen zu treffen, klagt der Ex-Senator über das kaputte System: "The system is hacked."

Für diese Aussage wird Gore auf dem SXSW-Festival ebenso gefeiert wie für das Statement, dass die Waffenlobby NRA "der reine Betrug" sei und nur dazu diene, die Interessen der Hersteller zu verteidigen. Washington sei von Einzelinteressen durchsetzt, klagt Gore und fordert eine Reform der Wahlkampffinanzierung. "Ich habe früher ein Prozent meiner Zeit mit dem Einwerben von Spenden verbracht - heute ist ein Abgeordneter damit fünf Stunden pro Tag beschäftigt."

Die Bürger müssten ihre Demokratie zurückerobern und die Lobbyisten verdrängen, um etwa umfassende Gesetze zur Eindämmung des Klimawandels zu beschließen. Er habe als Senator wöchentliche Treffen mit seinen Wählern abgehalten, um deren Sorgen und Wünsche zu hören - mithilfe von Blogs, Twitter und Facebook könnten die Wähler für Veränderungen sorgen.

Großdenker Gore, der gern von "den siamesischen Zwillingen Chance und Gefahr" spricht, bleibt jedoch eine genaue Erklärung schuldig, wie soziale Medien die Politik verändern könnten.

Niemand nutzt Twitter wie Cory Booker

Ganz anders war dies einen Tag später beim Auftritt von Cory Booker, der im Programm als "New Media Politician" angekündigt wurde. Kein amerikanischer Politiker nutzt Twitter so virtuos wie der Bürgermeister von Newark. Der 43-Jährige hat 1,3 Millionen Follower - dabei leben nur 280.000 Menschen in seiner Stadt.

Der Schauspieler Ashton Kutcher, der bald als Steve Jobs zu sehen sein wird, habe ihn überzeugt, den Kurznachrichtendienst für drei Monate zu testen. Schon nach einem Monat habe er nicht mehr auf Twitter verzichten wollen. Für Booker, der lässig in Blue-Jeans, weißem Hemd und schwarzem Sakko auf der Bühne sitzt, ist jeder Mensch und vor allem jeder Politiker ein "Entrepreneur".

Er mache seinen Job als Bürgermeister schlecht, wenn er auf Investoren warte: "Ich muss überall im Land für meine Stadt werben." Booker rühmt sich, das schlechte Image der Industriestadt in New Jersey verändert zu haben: "Früher hatten die Leute Angst, Newark zu besuchen. Heute schicken mir Geschäftsleute Tweets wie 'Ich habe vier Stunden Aufenthalt in am Flughafen in Newark. Welches Restaurant soll ich besuchen?'" Er antworte dann nicht selber, sondern überlasse es per Retweet seinen Followern, dem Besucher zu helfen.

Als der Late-Night-Talker Conan O'Brien 2009 einen Witz über das schlechte Gesundheitssystem in der Stadt machte, nahm Booker ein Video auf. Darin verkündete er, dass der Talker künftig den Flughafen nicht mehr betreten dürfe.

Der Youtube-Hit nutzte sowohl der Stadt als auch dem ehrgeizigen Bürgermeister, der seinen Twitter-Account als Bürger-Hotline betreibt: Er fordert die Einwohner auf, ihm Schlaglöcher und kaputte Ampeln zu melden, damit diese repariert werden können. Als Hurrikan Sandy die Stromversorgung in Teilen der Stadt lahmlegte, lud er betroffene Bürger in sein Haus ein, um sich aufzuwärmen - natürlich per Tweet.

Booker liebt öffentlichkeitswirksame Aktionen: Kurz vor Weihnachten lebte er eine Woche lang von Essensmarken und 33 Dollar, um auf den harten Alltag von armen Amerikanern aufmerksam zu machen. Während die Medien den smarten Afroamerikaner lieben, machen sich immer wieder User unter #corybookerstories über den hyperaktiven Demokraten lustig:

Beim Technik-Festival in Austin wird Booker jedoch bejubelt für seinen Auftritt, der mitunter wie eine Predigt klingt. Es wäre schrecklich, sich mit der aktuellen Lage zufrieden zu geben: "Jeder von euch hatte jede Sekunde die Chance etwas zu ändern." Jede gute Tat inspiriere andere und es sei die Aufgabe seiner und der nächsten Generation, die Möglichkeiten des Internets dafür zu nutzen, die Welt zu verbessern. Bildung, Gefängnisse, demokratische Teilhabe, Gesundheitsversorgung - jeder Bereich könne profitieren.

Als ihn eine schwarze Mutter fragt, was er ihren zwölf und 13 Jahre alten Söhnen mit auf dem Weg geben würde, zitiert Booker die Autorin Alice Walker: "Die häufigste Art, wie Menschen ihren Einfluss aufgeben, liegt in dem Gedanken, dass sie gar keinen haben. Wenn ihr die Welt verändert wollt, fangt sofort damit an. Ihr müsst nicht warten, bis ihr 18 seid."

Die beiden Jungs waren dann auch die ersten, die sich mit dem Politiker fotografieren lassen durften. Nicht nur, weil einer von ihnen ein Barack-Obama-Shirt trug, dürften viele im Publikum Vergleiche zu Amerikas erstem schwarzen Präsidenten gezogen haben:

In gewisser Hinsicht folgt Booker Obamas Weg. Er bewirbt sich 2014 um einen Sitz im US-Senat, da der 88-jährige Frank Lautenberg nicht mehr antritt. Als Demokrat sollte Booker in New Jersey locker gewinnen, doch sein Image hat einige Kratzer bekommen, weil der Jung-Politiker sich vorwerfen lassen musste, bei seinem Umgang mit Parteikollegen und Journalisten mangele es an Respekt.

Ob es dem Politiker gelingen wird, die Politik und den Stil in Washington zu ändern, bleibt abzuwarten. Erst dann wird man wissen, ob Booker nicht doch dem Ex-Vizepräsidenten Al Gore ähnelt: Die Worte klingen toll, doch in der Praxis sind sie schwer umzusetzen.

Der Autor twittert unter @matikolb und berichtet in den kommenden Tagen für Süddeutsche.de vom South by Southwest Festival in Austin.

Linktipps: Ein ausführliches Interview mit Al Gore über sein neues Buch ist bei NPR nachzulesen und nachzuhören. Time hat Highlights von Bookers Auftritt gebündelt.

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