Bad Fallingbostel (dpa) - Karin Drohla ist fasziniert von den jungen Straußenkindern im kleinen Freilandgehege auf dem abgelegenen Hof bei Bad Fallingbostel. „Es ist einfach toll hier, die kleinen sind so drollig“, sagt die Rentnerin aus Hildesheim, die den Weg mit ihrem Mann auf sich genommen hat, weil sie die exotischen Tiere kennenlernen will.
Die ungewöhnlichen Spreizfüße und der intensive Blick haben es der Hobby-Fotografin angetan. Mit den Enkeln will sie in den Sommerferien wiederkommen, auch wenn es rund 100 Kilometer Anreise sind.
„Bitte nicht füttern“, steht in großen Lettern am Zaun. Dahinter wuseln in Kleingruppen die wenige Wochen alten pelzigen Zweibeiner. Mit den ersten sommerlichen Regentropfen werden sie schnell in den Stall gescheucht - werden sie nass, droht schnell eine Erkältung. Hinter einer Glasscheibe schlafen die erstaunlich großen Ein-Tages-Küken im Brutkasten.
Beruhigende Wirkung der Zweibeiner
Die besondere Wirkung der Zweibeiner mit den langen Hälsen auf ihre Umgebung hat Laura Masu in ihrer Bachelor-Arbeit untersucht. „Die Leute kommen und sagen, dass die Strauße beruhigend auf sie wirken, je länger sie sie beobachten“, sagt die Sozialpädagogin, die für ihr Abschlusswerk Einzelinterviews auswertete.
Ihre Erklärung für den Effekt: Die elegante Bewegung auf zwei Beinen wirke exotisch und beruhigend. Die 33-Jährige will noch weiter forschen, um dann professionell mit den Tieren und Menschen zu arbeiten. „Die Strauße sind super aufmerksam“, findet sie.
Diese Beobachtung kann Christoph Kistner, Präsident des Berufsverbands Deutsche Straußenzucht, nur bestätigen: „Viele unserer Besucher bleiben einen halben oder dreiviertel Tag bei uns und schauen den Tieren einfach zu.“ Auf seiner Farm in Rülzheim in Rheinland-Pfalz mit 80 Alttieren empfängt er nach eigenen Angaben jährlich 100.000 Tierliebhaber.
Von Schweinemast zur Straußenfarm
Laura Masu gibt Schulklassen aus der Umgebung Einblicke in die Welt des Straußenhofs im Heidekreis, den ihr Freund Marcel Hambruch seit vier Jahren betreibt. Er übernahm den Betrieb von den Eltern und stellte radikal von Schwein um, 250 Säue wurden verkauft. „Ich habe mich in die Tiere verliebt“, erzählt der Landwirt.
Mit 20 Küken fing er an, inzwischen ist die Herde auf 180 ausgewachsene Tiere angewachsen. Elvis mit der berühmten Tolle auf dem Haupt ist der aggressivste, bringt aber auch mit fast 100 Prozent die beste Befruchtungsleistung, erzählt er.
Engelberth schnappt mit seinem rötlichen Schnabel immer wieder nach Hambruchs Hand - der lässt es einfach geschehen und lacht. Zwar sind auch die Waden leicht rot gefärbt - ein Zeichen für die Aggressivität - aber Engelberth gilt als weniger gefährlich als andere Zeitgenossen. Im Winter geht die Färbung sogar ganz zurück, da würden sie auch zurückhaltender. Und setzten mehr Speck an, den sie mit der Wetterveränderung im Sommer wieder verlieren.
Mit Flugsauriern verwandt
„Strauße kommen ursprünglich aus Zentralasien und sind extreme Bedingungen gewöhnt“, weiß Verbandspräsident Kistner. Sie seien sogar mit den Flugsauriern verwandt: „Das Atmungssystem und die langen Hälse sind fast identisch.“ Spuren von Knochenresten habe man in Europa bis Ende der letzten Eiszeit vor mehr als 10.000 Jahren gefunden, berichtet der Experte.
Erst über Europa seien sie nach Afrika gekommen. In Deutschland gibt es nur zehn professionelle Höfe, die von der Größe her ideal für die Haltung seien. „Die Haltungsvorschriften sind vorbildlich, wir sind da Vorreiter“, sagt Kistner. Maximal sieben Tiere pro Hektar seien erlaubt, das sei in anderen Ländern leider noch nicht so.
Alles selbst machen
Hambruch hält seine Straußenvögel auf dem weitläufigen Gelände und schlachtet auch selbst. Was ihm nicht leicht fällt. Aber er möchte alles selbst machen und ist besonders stolz, dass seine Tiere eigentlich nie krank sind oder Medikamente brauchen. Das Fleisch und auch die großen Straußeneier, die er im Hofladen und online vertreibt, seien cholesterin-ärmer als von vielen anderen Tieren.
Derzeit baut er zwei kleine Tiny-Häuschen, in denen bis zu vier Personen Urlaub auf dem Hof machen können. Er selbst nimmt sich höchstens mal eine Wochenendauszeit. „Ich fühle mich hier pudelwohl. Es war mein Herzenstraum“, sagt der Landwirt.
© dpa-infocom, dpa:220705-99-912314/5