Abgasskandal:Was Winterkorn wissen konnte

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Ex-VW-Chef Martin Winterkorn. (Foto: Bloomberg)

Im VW-Konzern des "Alten" ging nichts ohne Druck von oben. Ist es glaubhaft, dass der damalige Vorstandsvorsitzende vom Abgas-Skandal nichts ahnte?

Von Hans Leyendecker, Georg Mascolo, Klaus Ott, Nicolas Richter und Ralf Wiegand

Schlechter konnte der Ruf des Diesels in Amerika kaum sein. Laut sei er, dreckig, und er stinke "wie Kamelkacke". Mit diesem Klischee spielte noch 2015 ein Werbespot, mit dem VW in den USA für seinen Selbstzünder warb: Auf dem Rücksitz der Diesel-Limousine meckert eine ältere Dame mit Hund, die Diesel für das Allerletzte hält. Am Steuer sitzt ihre Freundin, die sie vom Gegenteil überzeugt: Dieser Diesel "Made in Germany" sei leise, sauber und geruchlos - was da so stank, war der Hund der Mitfahrerin.

Ein sauberer Diesel für die skeptischen Kunden auf dem US-Markt: Mit dieser Idee wollte VW einst zum Weltmarktführer unter den Autoherstellern aufsteigen, Toyota überholen. Heraus kam stattdessen der größte europäische Industrieskandal der jüngeren Zeit.

Seit 2015 publik wurde, dass VW in Wahrheit schmutzige Autos verkaufte, hat der Skandal den Autokonzern etwa 20 Milliarden Dollar gekostet. Sechs VW-Manager sind jetzt in den USA angeklagt worden. In Deutschland wird gegen etliche ermittelt, auch gegen den damaligen Konzernchef Martin Winterkorn. Der 69-Jährige, Haus-Name "der Alte", sagte am Donnerstag vor dem Untersuchungsausschuss im Bundestags sinngemäß, er könne sich gar keinen Reim darauf machen, wie der Abgas-Skandal in seinem Haus passiert sei - die personifizierte Ratlosigkeit.

Herrn Winterkorn kann geholfen werden: Süddeutsche Zeitung, NDR und WDR haben monatelang recherchiert und mit vielen Beteiligten gesprochen. Entstanden ist das Bild eines Betrugs, der klein anfing, sich aber fast epidemisch ausbreitete. Der sich verfestigte und am Ende mutmaßlich alle Ebenen des Weltkonzerns erreichte. Auch die oberste. Im VW-Konzern des "Alten" ging nichts ohne Druck von oben. Ist es da glaubhaft, dass der damalige Vorstandsvorsitzende vom Abgas-Skandal nichts wusste?

Immer wieder hätten Ingenieure empfohlen, das Vorhaben zu beerdigen

Das System VW - während seiner Regentschaft das System Winterkorn - war demnach eines, in dem die Angestellten mit Druck leben lernen mussten, solange sie sich in der strengen Hierarchie behaupten wollten.

Im Verlauf der Abgas-Affäre soll es nach Erkenntnissen von Ermittlern und Zeugen genügend Möglichkeiten zur Umkehr gegeben haben. Hausinterne Kritik an der manipulierten Motor-Software, mit der die US-Prüfer bei der Schadstoffmessung in die Irre geführt wurden, gab es von Anfang an. Aber die Kritiker seinen entweder nicht gehört oder ihrerseits als Bedenkenträger kritisiert worden. Manche hatten Angst um ihren Job.

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Von H. Leyendecker, G. Mascolo, Klaus Ott, N. Richter und R. Wiegand. Illustration: Jochen Schievink

Aussagen von Kronzeugen gegenüber US-Ermittlern legen nahe, dass Winterkorn nicht erst mit dem offiziellen Betrugs-Geständnis von Volkswagen in den USA mitbekam, was da gelaufen war, sondern früher.

Auch die Rolle anderer hochrangiger Manager haben die Ermittler ausgeleuchtet, sie nennen Namen, wer den kriminellen Vorgang ihrer Meinung nach hätte stoppen können - es aber nicht tat.

Im VW-Konzern herrschte anscheinend unter Ingenieuren ein erbitterter Streit darüber, was erlaubt ist und was nicht, die Entwickler waren entweder für oder gegen die Schummel-Software und haben sich entsprechend positioniert.

Es gab Streit auf offener Bühne über den zickigen Diesel-Motor, der selbst durch eine Verschiebung des Produktionsstarts und eine sehr kostspielige Nachrüstung nicht sauber genug für die US-Grenzwerte zu machen war.

Immer wieder hätten Ingenieure empfohlen, das Vorhaben zu beerdigen. So will einer von ihnen schon bei einer frühen Sitzung 2006 ganz explizit auf die illegale Komponente der Motorsoftware hingewiesen haben, um ein Bewusstsein dafür zu wecken und den Prozess des sich anbahnenden Betrugs zu stoppen.

Kollegen aus anderen Abteilungen sahen indes keine andere Lösung. Die Software kam. Und sie blieb, obwohl Motorentwickler anfangs angeblich behauptet hatten, sie nur für kurze Zeit zu benötigen. Doch aus dem dreckigen Diesel konnten sie auch im Laufe der Jahre auf legale Weise keinen sauberen machen.

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