Abgasskandal:"Elementare Schwachstellen"

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Im Untersuchungsausschuss werden Zweifel an der Ahnungslosigkeit deutscher Behörden laut.

Von Markus Balser, Berlin

Der Beginn des Konzepts reichte ins Jahr 2008 zurück. Der Abgasskandal war noch viele Jahre entfernt, als ein Beamter des Bundesumweltministeriums mit Kollegen vom Umweltbundesamt an einem brisanten Papier feilte, das für die Autobranche höchst gefährlich werden konnte. Es listete moderne Fahrzeugelektronik auf, die bemerkte, ob sich ein Auto auf dem Rollenprüfstand befinde. So wie in der VW-Affäre. Es ging im Kern darum, endlich realistische Abgastests auf der Straße zu entwickeln. Denn den üblichen Labortests traute man offenbar nicht mehr.

Die Ziele waren ehrgeizig. Im Verlauf der nächsten Monate allerdings wurde das Konzept immer weiter aufgeweicht. Prüfer des Abgas-Untersuchungsausschusses fanden handschriftliche Anmerkungen wie "Tretminen" an Passagen des Ministeriums. Ganze Bausteine zu nötigen Tests wurden gestrichen. Dabei wussten die Experten, dass sie auf der richtigen Spur waren. Selbst Hersteller hätten bestätigt, dass es "elementare Schwachstellen" bei den bislang üblichen Tests auf dem Rollenprüfstand gab.

Schon vor Jahren habe man die beobachtete Luftverschmutzung in deutschen Städten für relativ hoch gehalten, erklärte die für die Luftqualität zuständige Abteilungsleiterin des Umweltbundesamts. (Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa)

Die jüngste Sitzung des Abgas-Untersuchungsausschusses des Bundestags machte am Donnerstag klar, dass der Verdacht falscher Abgaswerte bei Experten viele Jahre zurückreicht. Freimütig sprachen Zeugen über die schon damals klare Erkenntnis, dass die Prüfung von Emissionen im Labor wenig mit den realen Tests auf der Straße zu tun hatte. Schon damals wollten die Experten der schmutzigen Wahrheit auf die Spur kommen. Dennoch stand am Ende der Abstimmung innerhalb der Bundesregierung ein Konzept für Tests im Straßenverkehr, das Manipulationen nicht aufdecken konnte. Man habe das solchen Tests gegenüber kritische Verkehrsministerium auf seine Seite ziehen wollen, erklärte ein Beamter aus dem Umweltministerium das Einlenken.

Es hätten deutsche Behörden sein können, die den Fall VW aufdeckten. Stattdessen machten 2015 US-Prüfer den Skandal publik. Selten wirkten Ministerien und Ämter so düpiert wie in der Affäre um Abgasmanipulationen. Die Bundesregierung zeigte sich vollkommen überrascht: Man habe nicht geahnt, was die VW-Konstrukteure sich da ausgedacht hatten. Dabei entsprach die Täuschung dem frühen Verdacht. Die Betrugssoftware von VW täuschte im Testzyklus eine Abgasreinigung der Dieselautos vor und sorgte dafür, dass die Grenzwerte im Labor eingehalten wurden. Allerdings nur dort. Das System konnte den Rollenprüfstand erkennen. Schließlich lief die Prüfung nach dem immer gleichen Schema und im gleichen Zeitfenster ab. Auf der Straße stießen die manipulierten Fahrzeuge dann aber ein Vielfaches der erlaubten Schadstoffmenge aus. Die sauberen Vehikel wurden in der Praxis dann oft zu Dreckschleudern.

Die Befragung von Zeugen machte am Donnerstag deutlich, wie folgenreich der laxe Umgang der Autoindustrie mit den jahrelangen Überschreitungen der Grenzwerte ist. Schon vor Jahren habe man die Luftverschmutzung in deutschen Städten für relativ hoch gehalten, erklärte die für die Luftqualität zuständige Abteilungsleiterin des Umweltbundesamts. Studien machten klar, dass überhöhte Abgaswerte aus dem Straßenverkehr etwa Lungenkrankheiten auslösen könnten. An vielen Stellen in Deutschland würden die Grenzwerte überschritten. Nach Einschätzung der Experten wird sich daran auch in den nächsten Jahren wenig ändern. Das Einhalten der Grenzwerte auf viel befahrenen Straßen sei mit der aktuellen Technik bis 2030 nicht möglich, notierte man im Umweltbundesamt. Das Gremium, das Grüne und Linke im Bundestag angestoßen haben, hat im vergangenen Monat mit der Befragung von Zeugen begonnen. Die Parlamentarier um den Ausschussvorsitzenden Herbert Behrens (Linke) wollen bis Ende dieser Legislaturperiode im kommenden Jahr herausfinden, ob die Bundesregierung bei Gesetzgebung oder Kontrolle versagt hat und dazu einen Bericht vorlegen. Neben Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) will es in den nächsten Monaten auch Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) als Zeugen laden. Daneben könnten Automanager wie der frühere VW-Chef Martin Winterkorn von dem Gremium geladen wehren.

© SZ vom 21.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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