Abgasskandal bei VW:Volkswagen braucht Zerstörung

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Der neue VW-Chef Müller kündigt in Wolfsburg eine Revolution an. Ob er damit durchkommt?

Kommentar von Marc Beise

Seit vielen Wochen beschäftigt die Aufarbeitung des VW-Skandals nun das Land, alle Argumente sind ausgetauscht. Ja, der gigantische Dieselbetrug des deutschen Traditionskonzerns hat gegen Recht und Gesetz verstoßen und viel Schaden angerichtet, die Schuldigen müssen gefunden und bestraft werden; ein Heer von internen und externen Ermittlern ist dazu am Werk. Selbst wenn der Großbetrug das Werk einer kleinen Ingenieursclique gewesen sein sollte (was man bis heute nicht sicher weiß), so wurde er dennoch begünstigt durch schlechte Unternehmensführung und halbdiktatorische Managementstrukturen. Das alles muss geändert werden, und am besten geschähe das mit frischem, unverbrauchtem Personal.

Der Konzern hat sich aber für einen anderen Weg entschieden und Menschen mit der Neuorganisation betraut, die über Jahrzehnte in dem jetzt desavouierten System mitgelaufen sind. Das ist zu Recht kritisiert worden, aber nun muss es auch mal gut sein. Meistens geht eine Erneuerung dieser Art zwar schief, aber es kann ja auch mal anders kommen. Dass es anders, also besser, kommen könnte, dazu hat immerhin der erste große Auftritt des neuen Konzernchefs ein wenig Hoffnung gegeben.

Ehre, wem Ehre gebührt: Matthias Müller hat die richtigen Worte gefunden; nicht einmal das war bisher selbstverständlich bei VW. Spannender als das Versprechen bedingungsloser Aufklärung (was auch sonst?) ist etwas anderes: wie der Chef die Krise instrumentalisiert. "Wir nutzen sie als Katalysator für den Wandel, den Volkswagen braucht", hat er am Donnerstag gesagt, "der Wandel, den wir anstreben, ist umfassend." Neben besseren Testprozessen - hier fand der Betrug statt - will Müller den Konzern dezentral organisieren. Marken und Regionen sollen mehr Spielraum erhalten, die Zentrale in Wolfsburg soll sich auf das konzentrieren, was der Job von Zentralen ist: Strategie, Steuerung, Kostenmanagement. Eigentlich selbstverständlich, aber bei VW seit Jahrzehnten gering geschätzt. Lieber wurde durchregiert bis zur letzten Schraube.

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Was der neue Chef sagt, wäre anderswo nicht originell

Und noch ein Müller-Zitat: "Wir brauchen ein Stück mehr Silicon Valley." Darunter kann man spezifische Aufgaben verstehen, zum Beispiel die Vernetzung des Autos mit dem Datenuniversum (auch wichtig). Aber darüber hinaus einen Kulturwandel in der Organisation. Volkswagen braucht Kreativität, Spontaneität, Zerstörung. Für sich genommen ist es nicht sonderlich originell, was Müller sagt - die Silicon-Valley-Worthülse findet sich mittlerweile in so ziemlich jeder ambitionierten Chefrede. Bei VW aber mit seinen Uralt-Führungsmethoden bedeutet das die Ankündigung einer Revolution.

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Von Thomas Fromm, Wolfsburg

Kann nur sein, dass der Revolutionär Müller, schneller als er denkt, von der Konterrevolution erfasst wird. Die Familien Piëch und Porsche dominieren den Konzern, außerdem mischt noch das Land Niedersachsen mit. Diese Eigentümerstruktur ist alles andere als Silicon Valley. Eher deutsches Kaiserreich.

© SZ vom 11.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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