Abgasskandal:Beim Reden Sozialisten, beim Kaufen Neoliberale

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Autokonzerne schummeln beim Benzinverbrauch oder den Abgaswerten - egal. Warum Skandale auf das Kaufverhalten der Menschen so wenig Einfluß haben.

Kommentar von Jan Heidtmann

Was Volkswagen mit dem Wetterbericht zu tun hat? Also: Heute präsentiert der Konzern seine Verkaufsbilanz, und nach allem, was man weiß, sieht die ganz gut aus. Bereits im Januar hatte das Unternehmen knapp vier Prozent mehr Autos verkauft als im Vorjahresmonat. Aber VW - war da nicht etwas? Einer der größten Skandale in der Geschichte der Automobilbranche? Zwar konnte das Unternehmen in den USA zeitweise deutlich weniger Fahrzeuge losschlagen, dafür aber in Westeuropa mehr. Und selbst in Deutschland, wo die Manipulationen ausgekocht wurden, wo Manager trotzdem auf ihren Bonuszahlungen bestehen, da bleibt das Geschäft stabil.

Wie geht das zusammen? Schaut man auf die Unternehmens-Skandale der jüngsten Zeit, ist es, als würden zwei parallele Welten existieren. Seit Jahren ist bekannt, dass Arbeiter bei Amazon drangsaliert werden. Trotzdem verkauft das Unternehmen mehr Bücher und Kühlschränke als je zuvor. Jeder weiß, dass die niedrigen Preise bei Kleidung mit erbärmlichen Produktionsbedingungen erkauft werden. Es ist egal. Und die Deutsche Bank hat vielleicht Leitzinssätze frisieren lassen - Kunden verliert sie deshalb nicht. Dabei hat es der Mensch in seiner Rolle als Konsument in der Hand. Doch er lässt seine Macht ungenutzt.

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Der Konsument nutzt nicht die Macht, die er hat

So entsteht eine schizophrene Situation: Während das kritische Bewusstsein gegenüber Unternehmen zwar stetig zunimmt, übt sich der Einzelne in Verantwortungslosigkeit. Als Mensch agiert er wie ein Sozialist, als Kunde wie ein Neoliberaler. Konsumforscher nennen das den Kassentest: Auf dem Weg zum Bezahlen wird gerne ausgeteilt, abgerechnet wird jedoch zum Schluss. Der ADAC hat vielleicht die Wahl zum Lieblingsauto der Deutschen manipuliert, dem Geschäft schadete das aber nicht. Eine zuverlässige Pannenhilfe war den Mitgliedern wichtiger. So gesehen, müsste man nicht nur manche Unternehmen boykottieren, sondern den Kunden gleich mit.

Natürlich ist es nicht in Ordnung, wenn die deutschen Autobauer Abgastests frisieren, wenn Mitsubishi seit Jahren den Spritverbrauch seiner Wagen runterrechnet, wenn der Bio-Burger bei McDonald's nicht wirklich bio ist. Das ist Irreführung, in manchen Fällen sogar bewusster Betrug. Doch der Mensch lässt sich darauf auch nur allzu gerne ein. Er kauft vielfach zertifizierte Bananen aus Ecuador und fragt sich nicht, wie eigentlich die Arbeitsbedingungen für die Bauern vor Ort sind.

Er feiert 500 Jahre Reinheitsgebot, obwohl das vor allem mit Marketing und kaum mit sauberem Bier zu tun hat. Er schlägt ein bei dem Deal, den ihm die Automobilkonzerne in den vergangenen Jahren anboten: "BlueTec", "EfficientDynamics" oder "BlueMotion" heißen die Labels, unter denen die Autos immer mehr PS bekamen, man als Fahrer aber trotzdem kein schlechtes Gewissen haben musste. Und mit der gleichen Kraft der Selbstüberzeugung wird dann gegen TTIP und Glyphosat agitiert.

Es ist die dem Menschen eigene Irrationalität, die nach Rationalität sucht. Grenzwerte beim Feinstaub, Siegel wie "delfinfrei" oder "Made in Germany" schaffen eine vermeintliche Gewissheit in der Unübersichtlichkeit. Dass diese aber trügerisch sein kann, das nimmt der Kundenmensch in Kauf. So wie er am Montag den Wetterbericht vom nächsten Wochenende diskutiert, wo doch jeder weiß, dass der ziemlich unzuverlässig ist. So, wie er den echten Abgaswert seines VW Passats vielleicht gar nicht wissen will. Jeder hat seine Rolle in dem Spiel mit den Ungewissheiten, Kunden wie auch Unternehmen.

Der Staat sollte sich kümmern

Die Vorstellung vom mündigen Bürger ist natürlich schön, sie darf aber keine Ausflucht dafür sein, dass sich die Politik nicht in das Spiel einmischt. Politiker werden auch deshalb gewählt, damit sie etwas schlauer agieren, als die, die sie wählen. Die Einführung des Katalysators oder das Dosenpfand sind gute Beispiele dafür, wie sich die Regierenden gegen die zu Regierenden durchgesetzt haben. Problematisch wird es, wenn sich die Politik zu sehr mit den Interessen der Unternehmen gemein macht; wenn der Bundeslandwirtschaftsminister das millionenfache Töten von Küken nicht verbieten will, weil das den Hühnerbauern schadet; oder wenn ein Verkehrsminister nicht gegen die Autohersteller vorgeht, stattdessen aber im Beisein der Behörden bei den Abgastests massiv geschummelt wird.

Zu dieser Kumpanei zählt auch die nun beschlossene Kaufprämie für Elektroautos: Die Autohersteller haben in den vergangenen Jahren genug Geld verdient, um selber gute und bezahlbare Antriebe zu entwickeln. Der Staat sollte sich darum kümmern, dass der Strom dafür aus regenerativen Quellen stammt. Sonst ist auch das E-Auto eine Mogelpackung.

© SZ vom 28.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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