Abgas-Affäre:Klagen gegen Daimler

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Bald strahlt der Stern wieder: Die Sonne steigt am Mercedes-Benz-Werk Sindelfingen. (Foto: Sebastian Gollnow/dpa)

Landgericht Stuttgart meldet Anstieg von Diesel-Verfahren und fordert Verstärkung. Daimler wehrt sich.

Von Stefan Mayr, Stuttgart

Wenn Andreas Singer aus dem Fenster seines holzvertäfelten Präsidiumssaals blickt, dann sieht der Präsident des Landgerichts Stuttgart den Mercedes-Stern, der sich auf dem Turm des Hauptbahnhofs dreht. Stuttgart ist Sitz des Daimler-Konzerns, und das treibt Singer und seinen 170 Richter-Kollegen seit Monaten den Schweiß auf die Stirn. Er spricht von einer "Klagewelle gegen Daimler", die das Landgericht seit Jahresbeginn "in Atem hält". Allein im ersten Halbjahr 2019 seien mehr als 1100 Klagen gegen den Hersteller von Premiumautos eingegangen - davon 800, die eine unzulässige Abschalteinrichtung in dessen Diesel-Fahrzeugen vermuten. Zudem seien etwa 250 Klagen gegen den Konzern wegen seiner Beteiligung am sogenannten Lkw-Kartell anhängig.

Dieser Anfall an Klagen hat sowohl für das Landgericht als auch das Unternehmen drastische Auswirkungen: "Klar ist, dass wir für eine auf Jahre angelegte strukturelle Mehrbelastung dringend Verstärkung brauchen", sagt Andreas Singer. Der Gerichtspräsident spricht von "Nachtarbeit" und "Wochenendschichten", die seine Kollegen einlegen, um die Masse an Verfahren zu bewältigen. Der Anstieg der Klagen um 30 Prozent sei eine "riesige Herausforderung". Wie viel zusätzliches Personal er genau benötigt, wollte er am Montag in Stuttgart nicht sagen. Auch, weil die Klagewelle "noch jung" sei und ihr Ausmaß noch nicht absehbar.

Der Daimler-Konzern hat bereits vor zwei Wochen reagiert und eine weitere Gewinnwarnung veröffentlicht. Er begründete diese mit zusätzlichen Kosten für all die Rechtsstreitigkeiten im Zusammenhang mit der umstrittenen Abgasreinigung in Mercedes-Motoren. Das Kraftfahrtbundesamt (KBA) geht von einer unzulässigen Technik aus und hat mehrere Rückrufe angeordnet. Daimler hat gegen diese Bescheide Widerspruch eingelegt und beteuert, die Technik sei rechtmäßig. Dennoch stockte das Unternehmen seine Rückstellungen um 1,6 Milliarden Euro auf.

Viele Mercedes-Fahrer und ihre Anwälte berufen sich auf die KBA-Bescheide und fordern mit ihren Klagen von Daimler Schadenersatz oder ein Rückgaberecht ihrer Autos ohne finanzielle Einbußen. Einige Kläger haben in der ersten Instanz auch recht bekommen. Allerdings hat Daimler gegen alle diese Urteile Berufung eingelegt. Der Konzern betont, bisher seien bundesweit 215 Klagen abgewiesen und nur 16 bestätigt worden. Und in zweiter Instanz habe es bislang keine einzige Entscheidung gegen den Hersteller gegeben. Vielmehr seien alle bisherigen Entscheidungen von Oberlandesgerichten zugunsten Daimlers ausgefallen. Dabei habe der Konzern keinen Vergleich zur Abwendung eines für ihn ungünstigen Urteils abgeschlossen.

Auch vor dem Landgericht Stuttgart gab es bisher Urteile pro und kontra Daimler. Jeder Einzelfall müsse eigens geprüft werden, betont Gerichtspräsident Singer. Dies sei auch bei den 1800 Klagen gegen Volkswagen der Fall, die seit Anfang 2018 eingereicht wurden. Doch im Fall Daimler seien die Verfahren "deutlich komplexer", da es bei dem VW-Motor EA189 unstreitig sei, dass eine Abschalteinrichtung verbaut ist. Daimler dagegen weise jede Trickserei von sich. Das macht die Verfahren langwieriger und teurer: In vielen Verfahren sind Gutachten von Sachverständigen nötig, die Singer zufolge "bis zu 100 000 Euro kosten".

Auch Daimler kommen die Klagen teuer, selbst wenn die meisten bislang abgewiesen wurden. Denn jeder Schriftsatz und jeder Gerichtstermin kostet Anwaltshonorar, und man darf davon ausgehen, dass der Konzern nicht die billigsten Kanzleien auswählt.

© SZ vom 30.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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