2010:Das Jahr des Vertrauens

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2010 wird ein Jahr des Übergangs - ideal, um sich alter Tugenden zu besinnen. Denn je mehr Maß und Verantwortung vorherrschen, desto belastbarer ist das Element Vertrauen.

Marc Beise

Am Ende eines Jahres blicken Menschen zurück, um nach vorne zu schauen. Das alte Jahr wird unter ein Motto gestellt, um dem neuen Jahr eine Struktur zu geben. In diesem Sinne war 2008 die Zeit der großen Krise. 2009 ging es um Schadensbegrenzung. 2010 wird, wenn nicht alles täuscht, ein Jahr des Übergangs.

Was bringt das Jahr 2010? Die Herausforderungen für Politik und Wirtschaft sind groß. (Foto: Foto: dpa)

Die Aufräum- und Sicherungsarbeiten sind noch nicht abgeschlossen, zugleich beginnt der Aufbruch. Die Herausforderung für Politik und Wirtschaft ist groß. Dabei kommt es auf Tugenden an, die übers Jahr hinaus gebraucht werden. Bereits vor Jahresfrist war viel von Vertrauen die Rede, und das Wort hat längst nicht ausgedient.

Ohne Vertrauen kann eine Gesellschaft nicht funktionieren, genauer: ohne Vertrauen darauf, das es erstens (geschriebene und ungeschriebene) Regeln gibt, die zweitens meistens eingehalten werden.

Wer sich tagsüber in den Straßenverkehr begibt und nachts ohne Alarmanlage schläft, wer seinen Kindern Freiheiten und der Bank sein Geld lässt, der vertraut darauf, dass die anderen sich an Straßenverkehrsordnung und Strafgesetz halten und ausgeliehenes Geld nicht veruntreuen.

Obwohl dieses Vertrauen im Finanzbereich grass missbraucht worden ist und Bürger viel Geld verloren haben oder über die Abzahlung der Staatsschulden noch verlieren werden, gab es keinen Bank Run. Die Menschen vertrauten der Kanzlerin (" Die Spareinlagen sind sicher"), und sie vertrauen dem System.

Das ist erstaunlich, weil im Crash-Jahr 2008 doch so offensichtlich so viel Vertrauen zerstört worden ist. Unmittelbar erkennbar ist das im Fall der Finanzindustrie, bei Derivatehändlern, Zockern, Bankvorständen. Auf den zweiten Blick zu erkennen ist das Fehlverhalten der öffentlichen Hand.

Gemeint sind Politiker und politische Beamte, die erst einer weitergehenden Deregulierung der Märkte das Wort redeten ("Wir dürfen nicht hinter London und New York zurückfallen") und dann in Aufsichtsräten etwa der Landesbanken diese in vorgeblich lukrative, aber hochriskante Geschäfte trieben. Gemeint sind aber auch Repräsentanten der öffentlich-rechtlichen Sparkassen, die dabei willig mitmachten.

Die Folgen dieses Versagens sind dramatisch. Allein die Summe der direkten Hilfsmaßnahmen für Banken und den Firmenfonds beträgt mehr als 600 Milliarden Euro; staatliches Geld, das vorgestreckt ist, also nicht verloren sein muss, aber im Feuer steht. Wie kann es sein, dass die Bürger trotzdem noch Zutrauen haben?

Offenbar ist das Vertrauen ein vielschichtiges Element: mit einer Oberfläche, die das konkrete Risikobewusstsein etwa der Banker betrifft (dieses Vertrauen ist weitgehend aufgebraucht), und einem tiefer liegenden Grundvertrauen, das das System insgesamt trägt. Dieses Vertrauen ist, trotz mancher Kritik an der Marktwirtschaft, noch intakt. Dazu haben einige Akteure einiges beigetragen; Ehre, wem Ehre gebührt.

Erstens die Politik: Ihre Krisenbewältigung gilt weithin als exzellent, Fehler werden in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen. Zweitens die Notenbanken: Sie haben für Ruhe gesorgt und den Geldkreislauf wieder in Gang gebracht. Namentlich der Europäischen Zentralbank wächst allmählich eine Reputation zu wie einst der Bundesbank.

Ihr Präsident Jean-Claude Trichet ist unangefochten; sein Wort zählt in der Politik wie in der Öffentlichkeit. Drittens die Unternehmen, die in der Krise mehrheitlich Weitblick bewiesen haben. Statt schneller Kosteneinschnitte ist häufig das von der Politik angebotene Instrument der Kurzarbeit genutzt worden.

Statt rascher Schnitte in die Investitionsbudgets ist überall sonst, aber nicht dort gespart worden. Als Folge sind die Auswirkungen der Finanzkrise auf die Realwirtschaft groß, aber nicht so groß wie befürchtet. Am Ende des Jahres meldet die Bundesanstalt im Jahresdurchschnitt 3,4 Millionen Registrierte - weit weniger als noch vor einigen Monaten befürchtet.

Politik und Realwirtschaft haben also geholfen, Vertrauen zu bewahren und neues Vertrauen aufzubauen. Wer seinen Teil häufig noch nicht beiträgt, sind die Banker selbst. Viele Akteure dort machen weiter wie bisher, und sie prägen das Bild.

Aktienhändler, die ihr dummes Machogehabe nicht abgelegt haben. Bankvorstände, die schon wieder ins Risiko gehen. Manager, die um ihre Boni feilen, bitte möglichst viel und ganz kurzfristig. Und der Dax steht schon wieder bei 6000 Punkten, plus 65 Prozent in neun Monaten. Insider warnen vor der nächsten Blase und dem nächsten Absturz. Vertrauensbildend sind solche Entwicklungen nicht, wohl aber die anhebende Debatte innerhalb der Wirtschaft.

Besonders im deutschen Mittelstand, wo Tugenden wie Anstand, Nachhaltigkeit und Glaubwürdigkeit noch zählen. brodelt es. Einer wie Franz Fehrenbach, der immerhin den größten europäischen Autozulieferer Bosch führt, sagt mit Blick auf Investmentbanker: "Wir dürfen nicht mehr zulassen, dass eine bestimmte Randgruppe die gesamte Soziale Marktwirtschaft an den Boden führt."

Je mehr Konzernlenker diese Debatte aufnehmen und bei Boni, Risiko und öffentlichem Auftreten Maß und Verantwortung zeigen, desto belastbarer ist das Element Vertrauen.

2010 wird ein Jahr, das - vorbehaltlich überraschender Katastrophen - nicht zu spektakulär zu werden verspricht. Die Wirtschaft wird sich ein Stück weit erholen, aber von niedrigem Niveau aus, der Dax wird sich beruhigen. Es könnte ein Jahr des Übergangs beginnen. Eine gute Zeit, sich alter Tugenden zu besinnen.

© SZ vom 31.12.2009/01.01.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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