Rettung von insolventer Drogeriemarktkette:Wie es mit Schlecker weitergeht

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11.000 Mitarbeiter haben ihren Job verloren, mehr als 2000 Filialen mussten schließen. Landen die Betroffenen jetzt in einer Auffanggesellschaft? Wie entscheiden sich die Bundesländer? Und was passiert mit den verbliebenen Standorten? Wichtige Fragen und Antworten.

Benjamin Romberg und Fabian Uebbing

Am Samstag hatten 11.000 Schlecker-Beschäftigte ihren letzten Arbeitstag. Als wäre das nicht schlimm genug, sorgte nur zwei Tage später ein Gutachten für Aufregung, das die Lage der insolventen Drogeriemarktkette schlechter darstellt als bislang angenommen. Insolvenzverwalter Arndt Geiwitz versucht, Optimismus zu verbreiten - und widerspricht den Befunden der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Pricewaterhouse-Coopers (PwC). Kann das auch die Bundesländer überzeugen, von denen die Finanzierung einer Transfergesellschaft für die entlassenen Beschäftigten abhängt? Wie läuft die Investorensuche und was passiert, wenn kein Geldgeber gefunden wird? Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Wie ist der aktuelle Stand?

Am Wochenende haben 2200 Schlecker-Filialen dichtgemacht. Seither blicken 11.000 der insgesamt etwa 25.000 Beschäftigten in Deutschland auf die Verhandlungen zwischen den Bundesländern, in denen es um die Finanzierung einer Auffanggesellschaft für sie geht. Wenn sich die Länder bis Mittwoch nicht einigen können und die Gründung einer Transfergesellschaft platzt, droht den Betroffenen die Kündigung - schon von kommender Woche an wären sie arbeitslos. Zeitgleich ist Insolvenzverwalter Arndt Geiwitz bemüht, den verbliebenen Filialen eine Zukunftsperspektive zu bieten. Hierfür sucht er einen Investor, mit dem der Neustart gelingen kann.

Was ist eine Transfergesellschaft?

Im besten Fall vermittelt sie gekündigten Arbeitnehmern eine neue Beschäftigung. Mindestens federt sie die finanzielle Not von Mitarbeitern ab, die ihren Job verlieren - und verhindert den direkten Fall in die Arbeitslosigkeit. Transfergesellschaften werden oft dann gegründet, wenn Massenentlassungen drohen. Vor Schlecker haben in den vergangenen Jahren auch die Telekom, Infineon, Siemens, Karstadt und Eon dieses Instrument genutzt. Im Fall von Schlecker ist eine Auffanggesellschaft für ein halbes Jahr vorgesehen. Das ist zwar kürzer als üblich, würde den Beschäftigten nach Ansicht von Verdi-Vorstandsmitglied Stefanie Nutzenberger aber dennoch helfen. Die bis zu 11.000 betroffenen Schlecker-Mitarbeiter müssten erst ein halbes Jahr später Arbeitslosengeld beantragen und erhielten zudem eine intensivere Qualifizierung als es die Bundesagentur für Arbeit leiste.

Haben Transfergesellschaften auch Nachteile?

Arbeitsrechtler warnen, dass der Wechsel in eine Transfergesellschaft für die Beschäftigten nicht ohne Risiko ist. "Es ist ganz eindeutig lukrativer, eine Abfindung anzunehmen", sagt Hilmar Schneider, Arbeitsmarktforscher am Institut zur Zukunft der Arbeit (IZA) der Deutschen Post in Bonn. Arbeitnehmer, die sich in eine Transfergesellschaft vermitteln ließen, würden ihren Anspruch auf eine Abfindung verlieren. Zudem könne eine Transfergesellschaft auch nicht mehr leisten als die Bundesagentur für Arbeit: "Wenn es keine Stellen gibt im ländlichen Raum, dann findet die Transfergesellschaft auch keine." Dennoch sind Transfergesellschaften beliebt: Der Politik bescheren sie einen Imagegewinn, weil die Gekündigten zunächst nicht in der Arbeitslosenstatistik auftauchen. Und die entlassende Firma muss nur die Verwaltungskosten übernehmen - das Kurzarbeitergeld zahlt der Staat.

Warum braucht Schlecker dann einen Hilfskredit?

Im Fall von Schlecker übernimmt die Bundesagentur für Arbeit die Zahlung des Transferkurzarbeitergeldes, der Europäische Sozialfonds würde Mittel für Fortbildungsmaßnahmen bereitstellen. Das Unternehmen selbst müsste aber für die Sozialbeiträge der Mitarbeiter aufkommen - 70 Millionen Euro, die Schlecker angeblich nicht hat. Hier kommen Bund und Länder ins Spiel: Die staatliche Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) könnte den nötigen Kredit bereitstellen, allerdings möchte der Bund nicht die Haftung dafür übernehmen. Das sollen die Länder tun.

Werden die Länder die Haftung übernehmen?

Die rot-grüne Regierung in Baden-Württemberg, wo besonders viele Schlecker-Filialen beheimatet sind, wäre bereit, mit einer Bürgschaft für den Kredit in Vorleistung zu gehen. Die Voraussetzung: Die anderen Länder müssen das Risiko mittragen, bis zu diesem Dienstag sollen sie schriftliche Erklärungen abgeben - am Mittwoch will man in Stuttgart dann eine Entscheidung treffen. Das Echo in den Ländern ist geteilt. Während der bayerische Finanzminister Markus Söder (CSU) sich zuversichtlich zeigte, hat Niedersachsen eine Beteiligung an der Transferlösung bereits abgelehnt. Das jüngste Gutachten, das vom Land Baden-Württemberg in Auftrag gegeben worden war, sorgt nun für zusätzliche Verunsicherung. Darin heißt es zwar, das Risiko für die Länder sei "noch vertretbar", aber eine Rückzahlung des Kredites aus dem operativen Geschäft sei "mit hohen Unsicherheiten verbunden". Konzerngesellschaften in Spanien und Frankreich könnten jedoch als Sicherheiten fungieren. Angesichts der Ergebnisse forderte Niedersachsens Wirtschaftsminister Jens Bode (FDP), alle bisherigen Überlegungen zur Zukunft Schleckers erneut auf den Prüfstand zu stellen. Das Gutachten lege nahe, dass schon die Hälfte des geforderten Darlehens ausreichen könnte. Neben Niedersachen lehnt auch Sachsen eine Rettung Schleckers bislang ab - in beiden Ländern regiert die FDP mit. Allerdings könnte Baden-Württemberg auch ohne die Zustimmung dieser Länder die Bürgschaft für die Transfergesellschaft übernehmen. Für den Fall, dass die Auffanggesellschaft nicht zustande kommt, gibt der Insolvenzverwalter sich dennoch zuversichtlich. Dann müsse er jedoch abwarten, wie viele Mitarbeiter vor Gericht ziehen, sagte Geiwitz kürzlich in einem Interview mit der Stuttgarter Zeitung.

Wie läuft die Investorensuche?

Für Unruhe sorgte am Montag das Gutachten der PwC. Darin heißt es, es sei "nicht gewährleistet", dass die Suche nach einem Investor in den kommenden sechs Monaten zu einem Erfolg führt. Eine Gewährleistung kann auch Insolvenzverwalter Arndt Geiwitz nicht geben - doch hat er endlich mal gute Nachrichten für die Mitarbeiter der insolventen Drogeriemarktkette: Die Investorensuche zeigt offenbar erste Erfolge. Es seien ernstzunehmende Angebote eingegangen, teilte Geiwitz nun mit. Die Bemühungen um den Verkauf des Unternehmens lägen "voll im Plan". Vergangene Woche hatte er bereits Hoffnung auf eine Lösung bis Pfingsten gemacht. Etwa zwei Dutzend Interessenten sollen sich gemeldet haben, aus denen werde eine Vorauswahl getroffen. "Dann beginnen intensive Verhandlungen", erklärte Geiwitz. Der Kaufpreis ist sicherlich eines der wichtigsten Kriterien bei der Entscheidung, der Insolvenzverwalter ließ aber durchblicken, dass auch die nötige Kompetenz bei einem möglichen Geldgeber nicht fehlen dürfe. "Am geeignetsten wäre sicherlich ein Investor, der Erfahrung im Handelsbereich hat und sich mit mittelständischen Führungsstrukturen auskennt."

Welche Bedeutung hat die Transfergesellschaft für einen neuen Investor?

Das Zustandekommen einer Transfergesellschaft wäre ein starkes Argument für Geiwitz in den Verhandlungen mit potentiellen Investoren. Die betroffenen Mitarbeiter würden in diesem Fall einen Aufhebungsvertrag unterzeichnen, durch den sie eventuelle Ansprüche gegen das Unternehmen verlieren. Das würde eine Übernahme der insolventen Drogeriemarktkette wesentlich attraktiver machen - einem neuen Investor bleiben Kosten für Abfindungen und mögliche Kündigungsklagen erspart. "Transfergesellschaften liefern einem möglichen Investor die Sicherheit, dass er sich am Ende nicht mit den von der Gewerkschaft Verdi prophezeiten vielen Tausenden von Kündigungsschutzklagen zu befassen hat", sagte Geiwitz der Stuttgarter Zeitung.

Kann Schlecker auch ohne Investor überleben?

Das Urteil des Insolvenzverwalters fällt hier abermals positiver aus als der Befund des PwC-Gutachtens. Auch ohne einen Investor könnte Schlecker den Betrieb der verbliebenen Filialen nach Ansicht von Geiwitz fortsetzen - die Weiterführung sei zwar anspruchsvoll, aber machbar. Ein Investor wäre jedoch sehr hilfreich. Das Gutachten nährt dagegen Zweifel daran, dass Schlecker den Betrieb auch ohne Geldgeber fortführen kann: Problematisch seien die vielen unrentablen Läden. Im schlimmsten Fall müssten auch die verbliebenen Filialen geschlossen werden - Tausende Arbeitsplätze stünden auf dem Spiel.

Mit Material von dpa und AFP.

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