Kirche als Arbeitgeber:Recht scheinheilig

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Die Kirchen geben sich gerne fürsorglich. Nicht ganz so besorgt sind sie allerdings, wenn es um die eigenen Angestellten geht: Die Kirchen sparen die Basis kaputt.

Sibylle Haas

Die Laien spielen in den beiden großen Kirchen stets dann eine besondere Rolle, wenn es um die Arbeit an der Basis geht. Auch beim 2. Ökumenischen Kirchentag in München sieht das derzeit nicht anders aus.

Wären die Kirchen Wirtschaftsunternehmen, würden sie sicher der Ausbeutung bezichtigt angesichts der Selbstverständlichkeit, mit der sie unentgeltliche Arbeit einstecken. (Foto: Foto: ddp)

Tausende Freiwillige helfen bei Auf- und Abbauarbeiten, sind als Einlasskontrolleure, beim Ordnungsdienst und an Infoständen dabei. Andere begleiten Menschen mit Behinderung oder versorgen Gäste, die in den Schulen der Stadt übernachten. Ohne die ehrenamtlichen Helfer wäre der Ökumenische Kirchentag nicht machbar.

Die Kirchen bedienen sich ihrer aber nicht nur bei solchen gesellschaftlichen Ereignissen. Gerade so, als hätten sie ein von oben gegebenes Recht, stopfen sie mit vielen Ehrenamtlichen ihre personellen Lücken. Damit federn sie den drastischen Sparkurs ab, den sie nicht verhindern können.

Weil die Zahl der Kirchenbesucher, der Steuerzahler und der Pfarrer sinkt, müssen die Kirchen rationalisieren, nicht anders als weltliche Konzerne. Also legen sie Pfarreien zusammen, streichen Gottesdienste, schließen Kindergärten und Altenheime.

Qualität bleibt auf der Strecke

Das spart Arbeitsplätze in den Pfarrbüros, bei Kirchenmusikern, Kirchendienern und in anderen Bereichen. Doch wie Wirtschaftsunternehmen, die den Bogen überspannen, sparen die Kirchen ihre Basis kaputt. Die Qualität ihrer Angebote - dazu gehört besonders die Seelsorge - bleibt auf der Strecke. Manche Pfarrer sind derart überarbeitet, dass sie selbst einen Seelsorger brauchen.

Besonders beschämend ist, dass es viele soziale Dienste ohne unbezahlte Helfer gar nicht mehr gäbe: Besuche bei alten und kranken Menschen, Hausaufgabenhilfe für lernschwache Schüler oder die Organisation von Pfarrfesten halten die Basis zusammen. Ganz zu schweigen von den ehrenamtlichen Mitarbeitern in den Wohlfahrtsverbänden. Bei der katholischen Caritas und der evangelischen Diakonie kommt im Schnitt auf jeden hauptberuflichen Mitarbeiter ein ehrenamtlicher. Wären die Kirchen Wirtschaftsunternehmen, würden sie sicher der Ausbeutung bezichtigt angesichts der Selbstverständlichkeit, mit der sie unentgeltliche Arbeit einstecken.

Auch mit ihren festen Mitarbeitern gehen die Kirchenoberen nicht immer vorbildlich um. Mit weit mehr als einer Million Beschäftigten sind die katholische und die evangelische Kirche nach dem Staat die größten Arbeitgeber Deutschlands.

Doch ihr Arbeitsrecht ist in vielen Dingen nicht von dieser Welt. Die Kirchen haben ein Selbstbestimmungsrecht, das im Grundgesetz (Artikel 140) garantiert ist, damit haben sie einen in Europa einmaligen Freiraum. Die kirchlichen Arbeitgeber beschreiten daher den sogenannten dritten Weg, nennen sich nicht Arbeitgeber, sondern Dienstgeber. Ihre Mitarbeiter sind nicht Arbeitnehmer, sondern Dienstnehmer. Es gibt auch keine Arbeitsverhältnisse, sondern christliche Dienstgemeinschaften.

Das klingt nach viel Fürsorge. Doch der arbeitsrechtliche Schutz der Beschäftigten ist eher gering: Tarifverträge und Betriebsverfassung werden durch kirchliche Regeln ersetzt, selbst der Kündigungsschutz unterliegt eigenen Maßstäben. Weil in der christlichen Dienstgemeinschaft die Loyalität groß geschrieben wird, ist ein Verstoß dagegen besonders gravierend. Wer durch schwerwiegende sittliche Verfehlungen auffällt, dem droht der Rausschmiss. Die katholische Kindergärtnerin, die einen geschiedenen Mann heiratet, muss mit der Kündigung rechnen. Ebenso der katholische Organist, dessen Ehe geschieden wird.

Wenn es um die "freie Wirtschaft", den "ungezügelten Marktkapitalismus" geht, heben die Kirchenoberen immer gerne den Zeigefinger und verweisen auf die christliche Sozialethik. Im unmittelbaren Umgang mit ihren Angestellten verstoßen sie selbst aber leider oft gegen das Gebot der christlichen Nächstenliebe. "Damit ihr Hoffnung habt", lautet das Leitwort des Ökumenischen Kirchentages - eine Einladung für den Weg in die Ökumene. Es wäre auch ein schönes Leitwort für die Kirchenführer selbst - eine Einladung zu mehr Verständnis für die Basis und zu mehr Mut, die eigenen Regeln zu hinterfragen.

© SZ vom 14.05.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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