Interview:"Es wird teuer"

Lesezeit: 3 min

Prof. Enzo Weber ist Leiter des Forschungsbereichs "Prognosen und Strukturanalysen" des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). (Foto: OH)

Arbeitsmarktökonom Enzo Weber erklärt, wie die Flüchtlinge die nötigen Jobs finden - und warum dafür nicht unbegrenzt Zeit bleibt.

Interview von Karl-Heinz Büschemann

SZ: Herr Weber, schafft Deutschland die Integration der Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt?

Enzo Weber: Das ist machbar, aber man muss sich auf einige Schwierigkeiten einstellen. Das wird Geld kosten. Ohne Anfangsinvestitionen ist diese Aufgabe nicht zu meistern. Das können etliche Milliarden sein, aber die werden sich rentieren.

Können alle nach Deutschland strebenden Flüchtlinge Arbeit finden?

Alle sicher nicht, aber auch nicht alle Deutschen haben einen Arbeitsplatz. Ich halte es für möglich, dass die Flüchtlinge im Arbeitsmarkt das Niveau von anderen Zuwanderern erreichen können. Dazu gehört auch eine gewisse Arbeitslosenquote, aber die muss nicht überdurchschnittlich hoch sein.

Was bedeutet das?

Die Arbeitslosigkeit liegt in Deutschland bei unter sieben Prozent, Ausländer sind davon etwas stärker betroffen. Wenn wir es schaffen, dass weniger als zehn Prozent arbeitslos sind, wäre das gut.

Welche Voraussetzungen bringen die Flüchtlinge mit, und reicht das für den deutschen Arbeitsmarkt?

Erst einmal reicht es nicht. Es muss auf beiden Seiten etwas passieren, dann kann die Integration gut verlaufen.

Was muss auf der Seite der Arbeitgeber passieren?

Es geht nicht allein um die Arbeitgeber, sondern auch um die Politik und um Aus- und Weiterbildung. Nennen wir es: die deutsche Seite. Wir müssen fragen, welche Kompetenzen die Flüchtlinge mitbringen und wie wir die in unserem System nutzbar machen können. Wir können nicht einfach nur darauf schauen, ob die Qualifikationen schon da sind. Man muss den Menschen entgegenkommen. Dazu braucht man gute Beratung, da sehe ich eine Bringschuld auf deutscher Seite. Wir müssen den Zuwanderern erklären, wo sie sich qualifizieren können, und wir müssen sie dabei finanziell unterstützen.

Und die Flüchtlinge? Was müssen die tun?

Die Motivation ist bei den meisten Flüchtlingen hoch. Die haben alles verloren und sehen, dass sie hier eine neue Chance bekommen. Aber man braucht Durchhaltevermögen. Viele müssen erst verstehen, dass sie hier nicht denselben Stand haben wie in der Heimat. Aber wenn die Leute erst einmal spüren, dass sich etwas für sie bewegt, dann läuft es.

Gibt es schon Erfahrungen zur Integrationsbereitschaft?

Wir haben bisher ungefähr 40 000 der jüngst zugewanderten Flüchtlinge in Arbeit. Auf breiter Ebene gibt es noch wenige Erfahrungen. Erste Studien zeigen aber, dass die Motivation vieler Flüchtlinge sehr hoch ist.

Wie steht es denn um die Abschlüsse? Werden die in Deutschland anerkannt, und was ist, wenn ein Flüchtling seine Ausbildung nicht belegen kann?

Es gibt eine große Gruppe, die keine Abschlüsse hat. Diese Menschen können deswegen trotzdem Kompetenzen haben. Das heißt, wir müssen feststellen, was diese Menschen können. Dafür werden Kompetenzfeststellungsverfahren weiterentwickelt. Aber das lässt sich auch in testweisem Arbeiten in den Betrieben herausfinden. In dieser Kombination muss man feststellen, was schon da ist und was noch dazukommen muss.

Müssen die Abschlüsse sein, die deutsche Arbeitgeber verlangen?

Ja. Abschlüsse müssen sein. Auf die darf man nicht verzichten, aber die Wege, wie man sie bekommt, müssen flexibler werden. Es wird nicht funktionieren, die Flüchtlinge einfach durch das deutsche Ausbildungssystem zu schieben.

Wer muss organisieren, dass Angebot und Nachfrage zueinander passen?

Das ist zunächst Aufgabe der Arbeitsmarktpolitik, und in der Folge die der Arbeitsagenturen und der Jobcenter. Auch die Bundesländer sind an der Gestaltung der Arbeitsmarktpolitik beteiligt. Das ist im wesentlichen Sache des Staates, aber viele Akteure müssen zusammenwirken.

Das klingt teuer.

Die staatliche Seite ist in der Hauptverantwortung, auch dabei, die privaten Anstrengungen zu unterstützen. Ja, es wird teuer.

Wie teuer?

Es sind in jedem Fall viele Milliarden. Aber wenn man sich klarmacht, was es kostet, einen Menschen ein Jahr lang in Arbeitslosigkeit zu haben, oder was es an Steuern und Sozialabgaben bringt, wenn ein Mensch in Arbeit ist, wird sehr schnell deutlich, dass die Investitionen sich lohnen werden.

Sind diese Mittel denn in den heutigen Etats schon eingeplant?

Einige schon, es wäre aber sinnvoll, noch mehr zu investieren. Es geht nicht nur um die Sprachkurse am Anfang. Man muss viele Flüchtlinge länger begleiten, das wird Geld kosten.

Die großen Konzerne haben Versprechen gemacht und nur wenige gehalten. Was läuft falsch?

Es ist gar nicht so vorrangig, auf die großen Unternehmen zu schauen. Die haben natürlich eine wichtige Signalfunktion, deswegen sind sie in einer besonderen Verantwortung, etwas zu tun. Die große Masse der Beschäftigten findet sich aber in kleinen und mittleren Firmen, die man normalerweise gar nicht kennt.

Wie lange wird es dauern, bis ein Flüchtling in den Arbeitsmarkt so integriert ist?

Bei manchen sind es nur einige Monate. Aber es gibt andere, das weiß man aus der Vergangenheit, da hat es auch nach zehn Jahren noch nicht geklappt. Das Ziel sollte sein, die wesentlichen Erfolge mittelfristig zu erreichen. Nicht in einem Jahr, aber in einigen Jahren. Wenn ein Mensch einmal länger in Arbeitslosigkeit ist, setzt oft eine Demotivierung ein. Das muss man verhindern.

Ist es denn realistisch zu sagen, dass die meisten Flüchtlinge in fünf Jahren integriert sein werden?

Das ist nicht illusorisch. In der Vergangenheit war nach fünf Jahren ungefähr die Hälfte der Flüchtlinge in Arbeit. Das ist zu wenig, aber früher waren auch die arbeitsmarktpolitischen Anstrengungen nicht so groß. Die Auffassung, dass Flüchtlinge grundsätzlich nicht in den Arbeitsmarkt passen, stimmt jedenfalls nicht.

© SZ vom 18.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: