Zahnschmuck:Grillz, das jüngste Update für die Zähne

Lesezeit: 3 Min.

Schauspieler Lars Eidinger trägt, wenn er auf Partys auflegt, was er gerne tut, seine Acht-Zahn-Grillz, sie sind sozusagen sein DJ-Kostüm. (Foto: mein_zahnschmuck/Instagram)

Nach Nasenringen und Halstattoos sind goldene Kauleisten das letzte Mittel, um im Gesicht zu überraschen. Auch wenn man damit aussieht wie die Kreuzung aus russischem Wodkabrenner und Terminator.

Von Jan Kedves, Berlin

Man weiß ja fast nicht mehr, wie man im Gesicht noch überraschen soll. Nasenringe und Lippenpiercings sehen längst spießig aus. Tattoos, die an Kehlen und Hälsen emporranken sind auch nichts Neues mehr. Wie lässt sich also auf den ersten Blick noch Eindruck schinden? Mit einem Grinsen, bei dem man seine blitzenden Grillz freilegt.

Grillz, so heißen die aus Gold, Silber oder Platin gefertigten, teils mit Diamanten veredelten Zahnleisten, die man sich über die Beißer vorne steckt, auf dass sie im Mund eine glitzernd-brutale Wirkung entfalten. Ursprünglich waren Grillz eine Spezialität aus dem Hip-Hop und kamen, noch bevor Rihanna, Madonna und Sportstars wie Ryan Lochte sie trugen, in den Achtzigerjahren in Mode. Beim Rapper Flavor Flav von Public Enemy zum Beispiel. Seine Markenzeichen waren eine riesige Umhänge-Uhr, die Worte "Yeeaahh booyy!" und dazu dieses rundum vergoldete Grinsen.

Zahnschmuck
:Grillz

Der wohl archaischste und erhabenst kaputte Luxusartikel, den es gibt: Zahnschmuck aus Gold.

Die Grillz von Flavor Flav waren aber noch nicht, wie heutige Modelle, zum Herausnehmen. Er hatte sich extra seine Zähne runterschleifen lassen, damit sie in die festen Goldkappen reinpassten. Diese Technik stammte damals von dem schwarzen Zahnarzt Eddie Plein. Dem New Yorker wird damit die eigentliche Erfindung der Grillz zugeschrieben.

Der eigene Mund kann eben auch so etwas wie ein Tresor sein

Heute sind herausnehmbare Grillz das jüngste Update in der langen Geschichte des Zahnschmucks: In Etrusker-Gräbern fand man mit Goldfaden umwickelte Zähne. Die Mayas bohrten Löcher in Zähne und füllten diese mit Schmucksteinen, zum Beispiel mit Jade. Zahnschmuck war immer ein Statussymbol. Wobei die modernen Grillz am wahrscheinlichsten auf die afroamerikanische Tradition des Goldzahns zurückgehen und auf den Umstand verweisen, dass befreite Sklaven in den USA nach dem Bürgerkrieg den Banken der Weißen misstrauten. Sie legten ihr Geld lieber im Gebiss an. Der eigene Mund kann eben auch so etwas wie ein Tresor sein. "I put my money where my mouth is", hieß es dann auch 2005 im Hit "Grillz" des Rappers Nelly.

Die Grillz-Mode hat sich seit den Hip-Hop-Anfängen stetig verfeinert, mittlerweile gibt es die krassen Kauleisten auch in Deutschland. Seit Juli 2016 verkauft Sebastian Gündel, ein Selfmade-Grillionär aus Berlin, mit seiner Firma Mein Zahnschmuck Grillz made in Germany. Gündel ist 30, ein tätowierter Ex-Football-Spieler aus Lankwitz mit Dreadlocks bis zum Po. Er wollte eigentlich Profisportler werden, eine schwere Herzmuskelentzündung machte ihm aber mit 21 einen Strich durch die Karriere.

Der Mann mit den Rastas und den Goldzähnen: Sebastian Gündel. (Foto: Screenshot: Instagram)

Er jobbte bei Europcar, verkaufte selbst importiertes Olivenöl ans KaDeWe und organisierte mit einem Kumpel Rap-Partys. "Ich bin mit Hip-Hop aufgewachsen", sagt er. Als Teenager ging er zwei Jahre lang in Kentucky auf die Highschool und kaufte sich dort, bei einem Pakistaner in einer Mall, seine ersten Grillz. "Miese Qualität", sagt Gündel. Er selbst wollte es besser machen.

Seine Firma residiert heute in einem repräsentativen Altbau im Berliner Westend. Im Labor sitzt dort ein gelernter Zahntechniker, der sich Produktionsleiter nennt und unter anderem gerade einen Auftrag von Jérôme Boateng bearbeitet. Bislang musste, wer in Deutschland Grillz wollte, einen selbstgemachten Silikonabdruck vom eigenen Gebiss in die USA schicken und bekam dann ein Modell in läppischen 10 Karat Gold zurück, das beim Einsetzen meist knirschte und den Zahnschmelz zerkratzte.

Der letzte Schrei unter Rappern: sich weiße Keramikschalen auf die Zähne kleben zu lassen

Wer bei Sebastian Gündel bestellt, muss dafür einen professionellen Abdruck vom Zahnarzt einsenden. Beste Abformung bedeutet später kein Kratzen. Sechs Zahnkappen in 18 Karat Gold kosten dann 1269 Euro. Ein Luxusartikel, klar. Wobei es wohl keinen anderen Luxusartikel gibt, der zugleich etwas so Archaisches und erhaben Kaputtes hat. Man sieht damit ja nicht einfach aus wie ein Rapper, sondern wie eine Kreuzung aus russischem Wodkabrenner und Terminator. Protzig und stolz.

Zum Essen zieht man den Zahnschmuck natürlich aus, man hebt ihn für besondere Anlässe auf. So wie Lars Eidinger. Der Berliner Schauspieler trägt, wenn er auf Partys auflegt, was er gerne tut, seine Acht-Zahn-Grillz von Mein Zahnschmuck, sie sind sozusagen sein DJ-Kostüm. "Lars ist so hängen geblieben auf die Teile", sagt Sebastian Gündel stolz. "Er meinte zu mir: Günne, du hast es geschafft, wieder den Hip-Hopper der Neunziger aus mir rauszuholen."

Allerdings ist Gündel Geschäftsmann genug zu wissen, dass es wirtschaftlich gar nicht so schlau ist, immer den Hip-Hop zu betonen. Seit den Achtzigerjahren unterlag die Grillz-Mode in den USA starken Konjunkturschwankungen. Der letzte Schrei unter Rappern war es zum Beispiel, sich beim Zahnarzt neue weiße Keramikschalen auf die Zähne kleben zu lassen, also: wieder weg vom Bling-Look.

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Gündel sagt daher lieber "Zahnschmuck", das klingt neutraler und lässt viel mehr Spielraum. Langfristig will er sein Sortiment deshalb mit deutschem Qualitätsverständnis ("nach dem Mercedes-Benz-Prinzip") erweitern und dezentere Variationen anbieten, filigraner werden. Es gibt in seinem Sortiment schon das sogenannte Fenster-Design, bei dem der Zahn nur von einem dünnen Goldrahmen umfasst wird. Oder die sogenannten Streifen, die schmal zwischen die Schneidezähne gesetzt werden.

Protzig oder dezent, das Geschäft mit dem hippen Zahngold läuft, schon im ersten Jahr habe er schwarze Zahlen geschrieben, sagt Gündel. Wer den Instagram-Account des Labels aufruft, sieht nicht nur Boateng und Eidinger, sondern auch Teenager auf dem Dorf in Mecklenburg-Vorpommern mit blitzenden Zähnen herumlaufen. "Dass ich damit meinen Hack verdienen kann, das ist natürlich übelst nice", sagt Gündel und grinst goldig.

© SZ vom 26.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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